| # taz.de -- Die Wurzel des Blöden | |
| > Götterdämmerung in Athen: Griechenland nach dem Eklat um eine | |
| > antisemitische Äußerung des Komponisten Mikis Theodorakis bei einer | |
| > Buchpräsentation | |
| Jetzt hat auch Griechenland seinen Antisemitismusskandal: Mikis Theodorakis | |
| hat auf einer Veranstaltung in Athen von der „Aggressivität der Juden“ | |
| gesprochen, von ihrem aufgeblasenen Selbstbewusstsein. Und er sprach nicht | |
| nur von der Regierung Scharon. Nein, Theodorakis hat die Juden als „Wurzel | |
| des Bösen“ bezeichnet. Prompt verurteilte der Zentralrat der Juden | |
| Griechenlands diese Äußerung, und fühlte sich „in finsterste Zeiten zurüc… | |
| versetzt. | |
| An diesen Skandal schließen sich zwei Fragen an: Wie kommt der | |
| antisemitische Topos in den Mund eines weltweit anerkannten Künstlers, der | |
| seine Prominenz vor allem seinem internationalistischen Engagement | |
| verdankt? Und warum kann sich ein solcher Mensch nicht öffentlich dafür | |
| entschuldigen? | |
| Die erste Frage zielt auf eine politische Kultur, die Theodorakis | |
| repräsentiert, der er aber auch ausgeliefert ist. In Griechenland gab es | |
| schon immer tiefe Sympathie für „die Palästinenser“ und ein ebenso tiefes | |
| Misstrauen gegenüber der Politik Israels. | |
| Hinzu kommt ein Antiamerikanismus, der nicht nur ausgeprägter, sondern auch | |
| sehr viel schlichter gestrickt ist als im Rest Europas. Hier hat eine | |
| genaue Diskussion über die komplexen Beziehungen zwischen Israel, jüdischer | |
| Diaspora und proisraelischer Lobby in den USA nie statt gefunden. | |
| Dieses Defizit der politischen Kultur wurde nach dem 11. September 2001 | |
| besonders deutlich. Als arabische Zeitungen die Legende in die Welt | |
| setzten, am Tag des Attentats seien alle im World Trade Center arbeitenden | |
| Juden zu Hause geblieben, weil sie gewarnt worden seien, wurde das in | |
| Griechenland von mehr Menschen geglaubt als in jedem anderen Land Europas. | |
| Für solchen Verschwörungstheorien ist Theodorakis sicher nicht anfällig. | |
| Aber seine jüngsten Äußerungen zeigen, dass er zum Resonanzboden für solche | |
| Stimmungen werden konnte. Dabei ist Theodorakis gewiss kein Antisemit im | |
| eigentlichen Sinne. Er hat, mit dem Liederzyklus „Mauthausen“, vor Jahren | |
| ein eigenes Requiem auf die Verbrechen des Holocaust komponiert. | |
| Wenn Theodorakis sich nun aber unfähig zeigt, einen Fehler zuzugeben, gibt | |
| es dafür nur eine Erklärung: Er ist zum Opfer seines Ruhms geworden. Die | |
| Idolisierung seiner Person durch die griechische Öffentlichkeit hat ihn zu | |
| einem Selbstbild verleitet, das Kritik nicht mehr zulässt. Er kann nur noch | |
| argumentieren: Wer mich kennt, weiß, das ich kein Antisemit bin. Und nur | |
| wer mir gezielt übel will, kann unterstellen, dass ich das israelische Volk | |
| oder die Juden mit der israelischen Regierung gleichsetze. | |
| Dabei hat er genau dies in präzisen Worten getan. Damit führt Theodorakis | |
| eine politische Anmaßung ad absurdum, die nicht wenige bedeutende und | |
| unbedeutende Künstler verkörpern: Weil man berühmt ist, äußert man sich zu | |
| Themen, für die man weder kompetent noch sensibel ist. Und wenn es schief | |
| geht, beruft man sich auf die eigene Persönlichkeit, deren Integrität doch | |
| außer Frage stehe. | |
| Bei Theodorakis findet sich diese Haltung ins Extrem gesteigert, weil er es | |
| nie geschafft hat, den Genieverdacht gegen sich selbst nur auf den Musiker | |
| zu beschränken. Die Veranstaltung, bei der er „die Juden“ mit „den | |
| Griechen“ verglichen hat, war eine Buchpräsentation, bei der er gesammelten | |
| Schriften vorstellte, in drei Bänden. Der Präzeptor aller Griechen hat eben | |
| über alle Probleme dieser Welt etwas zu sagen. | |
| Ebenso bezeichnend war, dass Theodorakis bei seiner Selbstfeier von zwei | |
| Ministern eingerahmt wurde, zuständig für die Kultur und für das | |
| Erziehungswesen. Und dass sich Kulturminister Venizelos zu der Aussage | |
| verstieg: „Dieser Mann ist wie die Akropolis, nicht nur im Hinblick auf | |
| seine musikalisches Werk, sondern für die griechische Kultur im | |
| allgemeinen.“ Mikis Theodorakis hat diesem Vergleich nicht widersprochen. | |
| NIELS KADRITZKE | |
| 15 Nov 2003 | |
| ## AUTOREN | |
| NIELS KADRITZKE | |
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