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# taz.de -- Der Gewinner kriegt sie alle
> „Good Bye, Lenin!“ wird mit Auszeichnungen überschüttet: Am Samstagabend
> sind in Berlin die europäischen Filmpreise verliehen worden
Am Einlass werden die Karten kontrolliert, nicht die Taschen oder gar die
Körper. An den Tischen darf geraucht werden, Flaschen mit irischem Whisky
stehen bereit. In der Arena, dem ehemaligen Busdepot in Berlin-Treptow, ist
die Stimmung am Samstagabend entspannt, und das scheint den Gastgebern
gerade recht zu sein. Noch bevor die Verleihung der europäischen Filmpreise
offiziell beginnen wird, tritt Nik Powell auf: der Vorsitzende der European
Film Academy als Nikolaus, auf den Lippen eine Mischung aus trockenem Humor
und Albernheit. Wim Wenders, der Präsident der Academy, macht Scherze über
Heino Ferch, den noch abwesenden Moderator: „We don't call him the German
Bruce Willis for nothing.“ Die Grußreden fallen kurz aus, Christina Weiss
schöpft „neues Vertrauen in die europäische Idee“ und freut sich über die
neue Kraft des deutschen Films: „Es sind Kunstwerke, nicht nur Waren für
den internationalen Markt.“
Schaut man sich die Liste der nominierten Schauspieler und
Schauspielerinnen an – unter ihnen Charlotte Rampling, Helen Mirren, Luigi
Lo Cascio, Daniel Brühl und Jean Rochefort –, dann weiß man, dass die
Stärke des europäischen Kinos unter anderem in den Eigenheiten dieser
Gesichter liegt. Und in Regisseuren wie Claude Chabrol, der für sein
Lebenswerk geehrt wird. Isabelle Huppert tritt auf die Bühne, um ihren
Brief an den anwesenden Chabrol zu verlesen: „Ich liebe Sie“, hebt sie an,
„Sie sind das Kino“. Chabrol sitzt unterdessen vor der Bühne, sein Gesicht
ist in Großaufnahme auf Leinwänden zu sehen. Während Huppert ihre Homage
vorträgt, bildet sich in seinen Augen ein Glanz, der von einer Träne
herrühren könnte.
Nicht minder bewegend ist der Augenblick, in dem der Kameramann Carlo Di
Palma, der unter anderem mit Michelangelo Antonioni und Woody Allen
zusammengearbeitet hat, seinen Preis entgegennimmt: Ein bald 80 Jahre alter
Mann, fast verborgen hinter seinem roten Schal, haucht mit schwacher
Stimme: „Grazie, grazie, grazie ancora.“
In diesen Augenblicken erhärtet sich der Eindruck, dass es jenseits von
Europudding-Filmen eine reiche Tradition europäischer Filmkunst gibt. Am
deutlichsten macht dies Jeanne Moreau: In einem hellen, mit silbernen Fäden
durchwirkten Kostüm tritt sie auf die Bühne, und sobald sie den ersten Satz
spricht, hat ihre knisternde Stimme das Publikum so elektrisiert, dass es
sich geschlossen erhebt. Moreau ist Patin von „Dirty Pretty Things“ von
Stephen Frears, einem der für den Hauptpreis, den „European Film Award“,
nominierten Filme. Außer Frears’ Film konkurrieren in dieser Kategorie
„Good Bye, Lenin!“ von Wolfgang Becker, „Dogville“ von Lars von Trier, …
this World“ von Michael Winterbottom, „Swimming Pool“ von François Ozon …
„Mi vida sin mí“ von Isabel Coixet.
„Goob Bye, Lenin!“ wird zum großen Gewinner des Abends: Den Preis für den
besten Schauspieler, für das beste Drehbuch und für den besten Film erhält
die deutsche Produktion, dazu drei Publikumspreise. Wenn die Veranstaltung
in der Arena ein Problem hat, dann liegt es in dieser Anhäufung. Nicht nur
sind in den wichtigen Kategorien immer wieder dieselben Filme nominiert,
die Preise gehen zudem immer wieder an Filme und Schauspieler, die im
Verlauf des Festivaljahres schon reich mit Auszeichnungen versehen wurden.
Daniel Brühls Leistungen in allen Ehren: Hätte nicht auch mal ein anderer
Schauspieler zum Zug kommen können – Tómas Lemarquis vielleicht, der die
Hauptrolle in der isländischen Tragikomödie „Nói Albinoi“ innehat? Und
warum erhält Marco Bellochios „Buongiorno notte“ zwar den Preis des
Filmkritikerverbandes Fipresci, taucht aber unter den Produktionen, die für
den besten Film nominiert sind, erst gar nicht auf?
Liegt es möglicherweise daran, dass die Masse der Akademiemitglieder gar
nicht alle Filme gesehen haben kann? Vor diesem Hintergund sollte der Plan,
den Deutschen Filmpreis von der neu gegründeten Deutschen Filmakademie
vergeben zu lassen statt von der von Christina Weiss bestellten Jury, noch
einmal genau überprüft werden.
Und was macht nun Lars von Trier, dessen „Dogville“ in künstlerischer
Hinsicht den Hauptpreis verdient hätte? Er begnügt sich mit dem Preis für
die beste Regie, und auch sein Kameramann, Anthony Dod Mantle, wird
ausgezeichnet. Von Trier, der Reisemüde, ist denn auch gar nicht
erschienen, sondern grüßt trickreich qua Videoeinspielung.
CRISTINA NORD
8 Dec 2003
## AUTOREN
CRISTINA NORD
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