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# taz.de -- Das Urteil über die Gewalt
AUS FRANKFURT AM MAINHEIDE PLATEN
Die Erde wird nicht beben, die Welt wird nicht untergehen, wenn die 27.
Große Strafkammer den ehemaligen Frankfurter Polizeivizepräsidenten
Wolfgang Daschner (61) heute Vormittag freisprechen sollte. „Die Würde des
Menschen ist unantastbar“ steht auch dann noch immer in bronzenen Lettern
am Flügel C des Gerichtsgebäudes. Gewiss ist: Sie werden nicht
herunterfallen, möglicherweise aber substanziellen Schaden nehmen. Zwei
Monate lang wurde im Saal E 1 des Landgerichts gegen Daschner und seinen
Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit (51), verhandelt. Daschner ist der
Verleitung Untergebener zur Nötigung in einem besonders schweren Fall
angeklagt. Ennigkeit sollte dem Kindesentführer und Mörder des 11-jährigen
Bankierssohnes Jakob von Metzler, Magnus Gäfgen, auf Befehl seines Chefs am
Morgen des 1. Oktober 2002 durch Drohung mit Gewalt ein Geständnis
abpressen. Ultima Ratio, letztes Mittel, sei die Drohung mit körperlichen
Schmerzen gewesen, sagte Daschner gegen Ende der Beweisaufnahme. Er
rechtfertigte seine Tat juristisch. Er sei sich keiner Schuld bewusst und
habe aus „übergesetzlichem Notstand“ heraus gehandelt. Staatsanwalt Wilhelm
Möllers signalisierte in seinem Plädoyer Verständnis. Er forderte eine eher
symbolische Geldstrafe und lobte Daschner und Ennigkeit als „gewissenhafte,
tadelfreie Beamte“.
Die Anträge der drei Verteidiger am vergangenen Donnerstag gerieten zu
einem Parforceritt durch die Rechtsgeschichte. Sie bemühten den Römer
Cicero, den Philosophen Kant und eine schier unüberschaubare Fülle an
Fundstellen aus rechtstheoretischen Abhandlungen und Kommentaren. Sie
beschworen ethische und moralische Aspekte, die sie den Paragraphen 240 und
343 des Strafgesetzes, die Nötigung und Aussageerpressung verbieten, und
dem Grundgesetz, das die Unantastbarkeit der Menschenwürde festschreibt,
entgegenstellten. Recht, argumentierten sie, sei nicht immer identisch mit
Gerechtigkeit. Unisono setzten sie die Teile zu einem Ganzen zusammen, das
passgerecht einen Freispruch der Angeklagten begründete, weil diese „in
einer Zwangssituation“, in Notwehr und Nothilfe dem „eiskalten Mörder“
Gäfgen körperliche Schmerzen nur angedroht hätten, um das „Leben eines
unschuldigen Kindes“ zu retten. Leben, so ihre Argumentation, habe gegen
Leben gestanden, Gäfgen aber durch seine Tat Menschenwürde und Rechtsschutz
verwirkt.
Wolfgang Daschner, meist ohne Regung, hörte auch das unbewegt an,
gestattete sich kaum eine Geste der Zustimmung. Er habe, sagte Rechtsanwalt
Eckart Hild, ausdrücklich verlangt, seine persönliche Betroffenheit, seine
angeschlagene Gesundheit nicht zu erwähnen. Aber Daschner sei „ein
gebrochener Mann“. Nahe kommt auch Hild diesem Führungsbeamten nicht, der
sich vom Streifenpolizisten über ein Studium auf der Polizeiakademie
hocharbeitete. Stocksteif sitzt der hagere Mann auf der Anklagebank, seine
Sprache wirkt gestanzt wie ein Polizeibericht. Nur manchmal lässt er
flüchtig erkennen, dass er sich ungerecht behandelt fühlt. Das gilt für
seine Versetzung aus dem aktiven Dienst ebenso wie dafür, dass sein Fall
exemplarisch Furore machte und dafür, dass auch seine Familie unter der
öffentlichen Debatte gelitten habe.
Tatsächlich hat er wie kaum ein anderer in den vergangenen zwei Jahren die
Gemüter der Menschen bewegt, Diskussionen, Meinungsumfragen, Foren, wütende
Leserbriefe provoziert. Darf ein deutscher Polizist einem Entführer
Schmerzen zufügen, wenn er das Versteck seines Opfers nicht preisgeben
will? Waren Grundgesetz, Europäische Menschenrechtkonvention, UNO-Charta
gegen Folter am Abend des 30. Septembers 2002 für ihn außer Kraft? Über
drei Tage lang war der Frankfurter Bankierssohn Jakob von Metzler
verschwunden, der Tatverdächtige Magnus Gäfgen (29) verriet nicht, was mit
ihm geschehen war. Er hatte den Jungen nach der Schule abgepasst, in seine
Wohnung gelockt und dort erstickt. Er entledigte sich der Leiche und
kassierte das Lösegeld. Nach seiner Festnahme erzählte er Lügengeschichten,
beschuldigte Dritte und führte die Polizei in die Irre. Unbestritten ist,
dass Daschner schon am Abend des 30. September 2002 Untergebene mit die
Idee konfrontierte, Gäfgen mit Gewalt zu zwingen, das Versteck des Kindes
preiszugeben. Er habe verlangt, Gäfgen mit Schmerzen zu drohen und sie ihm
im Notfall im Beisein eines Arztes auch tatsächlich zuzufügen. Daschner
fertigte darüber eine Aktennotiz. Er hat nie geleugnet, auch nach
Bekanntwerden der Drohung dazu gestanden und mehrfach in Interviews gesagt,
er sei auch bereit gewesen, diese umzusetzen.
Fest steht auch, dass sich einige Untergebene gegen die Order verwahrten,
auf das Folterverbot hinwiesen und die Anordnung schlicht ignorierten.
Daschner, sagten sie im Zeugenstand aus, habe damals mit seinem Ansinnen
ziemlich allein dagestanden. Auch der Polizeipsychologe hatte eindringlich
abgeraten und stattdessen die Konfrontation Gäfgens mit der Schwester des
entführten Kindes vorgeschlagen. Aber auch in einer zweiten Besprechung
habe Daschner an seinem Vorhaben festgehalten, die Einsatzleiter
unterlaufen und Ennigkeit aufgetragen, sein Konzept umsetzen.
Die Vorsitzende Richterin der 27. Strafkammer, Bärbel Stock, führt das
Verfahren ruhig, unaufgeregt und manchmal fast im Stil einer
verständnisvollen Sozialarbeiterin. Für sie ist das tote Kind nicht einfach
eine Leiche, sondern fast immer „der kleine Jakob“. Daschner steht seit
Beginn des Verfahrens nicht mehr ganz so vollmundig hinter seiner Tat.
Keinesfalls will er sein Tun als „Folter“ verstanden wissen. Zum einen habe
er nur drohen wollen, die Misshandlung sei nur „angedacht“ gewesen. Dabei
sei es geblieben, weil Gäfgen danach schließlich gestanden habe. Außerdem
sei Schmerz, ausgeübt als „unmittelbarer Zwang“ im Polizeidienst, noch
längst keine Folter. Ihm sei es ausschließlich um die Rettung des Kindes
gegangen. Sicher ist zwar, dass der Mitangeklagte Ennigkeit die Order
seines Chefs kannte, als er das Vernehmungszimmer betrat. Er habe, sagte er
aus, aber nicht vorgehabt, sie wirklich auszuführen. Stattdessen habe er
Gäfgen nur „sehr eindringlich ins Gewissen geredet“ und ihm eher allgemein
mitgeteilt, dass es bei der Polizeiführung Überlegungen gebe, ihn härter
anzufassen. Daraufhin habe Gäfgen schnell reagiert und das Versteck der
Leiche des Kindes preisgegeben. Was zwischen den beiden wirklich geschah,
wissen nur Gäfgen und Ennigkeit.
Daschner hingegen muss sehr wohl gewusst haben, dass er etwas Verbotenes
befahl. Dies aber gerade hat der Polizeivize im Vorfeld des Verfahrens
immer wieder bestritten. Er sei sich keiner Schuld bewusst. Zum Beginn des
Verfahrens behauptete er außerdem, sein Handeln sei vom Innenministerium
gedeckt gewesen. Er habe telefonisch die ausdrückliche Erlaubnis eingeholt.
Sein Gesprächspartner habe gesagt: „Machen Sie das! Instrumente zeigen!“
Das Ministerium dementierte umgehend. Daschners Verteidiger Eckart Hild sah
sich gezwungen, schleunigst zurückzurudern. Daschner, erklärte er, habe
weder mit dem Innenminister noch mit dessen Staatssekretär gesprochen. Aber
auch die nächst tieferen Ränge wiesen Daschners Behauptung empört zurück.
Moralische Rückendeckung hatte der Polizeivize allerdings schon unmittelbar
nach Bekanntwerden der Tat von zahlreichen Politikern, unter anderem vom
hessischen Ministerpräsidenten Koch bekommen, der Folter zwar nicht
explizit befürwortete, aber dennoch Verständnis bekundete.
Der zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung
verurteilte Magnus Gäfgen (29), wirkte am dritten Verhandlungstag in seiner
Rolle als Zeuge und Opfer kühl, weniger selbstmitleidig als als
Angeklagter. Er berichtete, dass ihm Kriminalkommissar Ennigkeit mit der
Zufügung von Schmerzen, „wie ich sie noch nie erlebt hätte“, gedroht habe.
Der Kriminalhauptkommissar habe auch die Anreise eines Folterspezialisten
per Hubschrauber angekündigt.
Der renommierte Strafverteidiger Eckart Hild und der Rechtsprofessor,
Philosoph und Theologe Lutz Simon, der Ennigkeit vertritt, verwahrten sich
zwar dagegen, Rechtsgeschichte schreiben zu wollen. Dennoch verlangten sie
in der Quintessenz eine Gesetzesänderung. Angesichts der Legalisierung des
finalen Rettungsschusses, des Luftsicherheitsgesetzes, das den Abschuß von
entführten Passagiermaschinen erlaube, sei es nachgerade „absurd“, wenn
Polizeibeamte nicht das Recht auf Notwehr und -hilfe hätten, das jeden
anderen Bürger zustehe. Der Mörder Gäfgen, so Simon, dürfe nicht „der
lachende Dritte sein“. Hild argumentierte: „Es ist nicht alles
unantastbar.“ Mit einem emotionsgeladen Appell an das
„Gerechtigkeitsgefühl“ setzte er die 27. Strafkammer unter den Druck, die
Freiheit des Gerichtes zu nutzen, diese Werteverschiebung im Urteil
vorwegzunehmen. Hilfsweise verlangte er, zu berücksichtigen, dass Daschner
unter Zeitdruck stand, „verzweifelt“ und überfordert gewesen sei und sich
anders nicht zu helfen gewusst habe. Außerdem habe er sich in „einem
Verbotsirrtum“ befunden, es handele sich um einen „Einzelfall“, er habe a…
lauteren Motiven und nicht „verwerflich“ gehandelt. Auch bei einer
Verurteilung könne von einer Strafe abgesehen werden. Er riet dem Gericht,
sich nicht vor Schlagzeilen zu fürchten: „Folter in Deutschland erlaubt!“
Staatsanwalt Möllers sah sich mit seinem milden Antrag düpiert. Er hatte
argumentiert, dass „jede staatliche Aktion von geltendem Recht bestimmt“
sein müsse, der freie Wille „des Subjekts“ auch und gerade in
Polizeigewahrsam nicht gebrochen werden dürfe und vor „Dammbrucheffekt“ und
„Aushöhlung unumstößlicher Rechtsgarantien“ gewarnt.
20 Dec 2004
## AUTOREN
HEIDE PLATEN
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