| # taz.de -- Herausforderung Dschungelcamp: Brecht hätte Langhans gesehen | |
| > Mehr als C-Prominenz ohne Make-up und Manager: Warum das Dschungelcamp | |
| > diesmal eine intellektuelle Herausforderung darstellt. | |
| Bild: Jeder spielt die Person, die er gern wäre. Und acht Millionen Menschen w… | |
| Vermutlich hätte Bertolt Brecht das Dschungelcamp verfolgt, wenn er noch | |
| leben würde. Denn die fünfte Staffel ist ein Drama ganz in seinem Sinne. | |
| Dieses Dschungelcamp ist anders. Es ist nicht wie in den vergangenen vier | |
| Staffeln, dass der Sender RTL zehn Möchtegern-Stars in den Urwald karrt mit | |
| dem Vorsatz: Schauen wir mal, wie sich die C-Prominenz so schlägt ohne | |
| Make-up und Manager. | |
| Es ist etwas passiert, das so nie vorgesehen war: Das Dschungelcamp ist | |
| unfreiwillig in eine Metaebene gerutscht und reflektiert sich plötzlich | |
| selbst als Format, und das vor laufender Kamera. Der Zuschauer wird | |
| permanent daran erinnert, dass er es mit einer Inszenierung zu tun hat. Die | |
| Teilnehmer sind nicht mehr die Privatleute, die sie anfangs noch vorgegeben | |
| haben zu sein. Sie sind erkennbar als das, was sie auch in den vergangen | |
| Staffeln immer schon waren: Darsteller der eigenen Person. Ausgelöst wurde | |
| diese Wende mit den Enthüllungen der Sarah Knappik, ehemaliges | |
| Beinahetopmodel. Am Lagerfeuer vor versammelter Gruppe sagt sie: "Die | |
| Liebesgeschichte von Indira und Jay ist nur inszeniert." Jay Khan, | |
| Ex-Boygroup-Sänger, habe ihr vor der Staffel das Angebot gemacht, eine | |
| Lovestory wie im Englischen Vorbild "Im a Celebrity, Get Me Out of Here!" | |
| zu inszenieren. | |
| Mit ihren Lagerfeuerenthüllungen gab sie die Absichten aller preis. Sarah | |
| hat die Wahrheit gesprochen, und nun fragen sich alle Boulevardblätter, wer | |
| denn nun eigentlich lügt. Dramaturgisch gesehen war sie die einzige Person, | |
| die diese Funktion erfüllen konnte. Denn sie war die Außenseiterin in der | |
| Dschungelgemeinschaft - und hat diese zu Fall gebracht. Sie hat einen Virus | |
| ins Lager eingeschleppt. Sie hat die Inszenierung ins Camp geholt. Oder wie | |
| Mitinsasse Mathieu Carrière es ausdrückte: "Du bist sehr, sehr gefährlich." | |
| Seit diesem Zeitpunkt steht nun die Dramaturgie des Formats als solche | |
| nicht mehr außen vor wie ein geheimer Vertrag, von dem das Publikum nur die | |
| offizielle Version kennt. Der Zuschauer realisiert nun, wer welche Rolle | |
| spielt. Indem die Verstellung als solche auch gekennzeichnet wird, lassen | |
| die Darsteller gerade ihr wahres Ich erkennen. In dieser Verstellung geben | |
| sie viel mehr von ihrem wirklichen Wesen preis, als wenn sie sie selbst | |
| wären, wie sie stets betonen. Die spannende Frage lautet daher: Wer gibt | |
| sich wie? Der vielleicht schwule Boygroup-Sänger inszeniert sich als | |
| sympathischer Partner der schönen und ebenso liebenswerten Indira, die | |
| Hartz-IV-Empfängerin Katy Karrenbauer (bekannt aus "Der Frauenknast") sähe | |
| sich am liebsten als Camp-Psychologin. Der erfolglose Schauspieler Mathieu | |
| Carrière gibt den Intellektuellen. Jeder spielt die Person, die er gern | |
| wäre. Damit entlarvt sich die Show selbst als das, was sie ist: eine | |
| Plattform gescheiterter Pseudoprominenz, die sich durch Selbstinszenierung | |
| wieder ins Gespräch bringen will. Die Sendung hat sich durch ihr eigenes | |
| System selbst an diesen Punkt gebracht. Und acht Millionen Menschen wollen | |
| das sehen. | |
| Jedem Teilnehmer der Dschungelshow dürfte nach der vierten Staffel klar | |
| gewesen sein, dass die Show eine riesige PR-Maschinerie ist. Wie sich jetzt | |
| zeigt, ist diese Maschine offenbar unkontrollierbar. Denn indem sich die | |
| Lagerinsassen so auf ihre Performance eingeschossen haben, hat sich die | |
| Sache derartig verselbständigt, dass sie weder von den Teilnehmern noch von | |
| RTL zu bändigen ist. | |
| Figuren wie die Enthüllerin Sarah mussten in diesem System zwangsläufig | |
| produziert werden - und sie hat schließlich das System Dschungelcamp zum | |
| Kippen gebracht. Jetzt ist nur noch die Selbstreflexion möglich. Es ist ein | |
| Drama im brechtschen Sinne: absolut aufklärend. Das ist die Erkenntnis. Das | |
| hat auch Rainer Langhans gesehen und fand es wohl darum so schade, dass er | |
| gehen musste, gerade als es richtig spannend wurde. | |
| 27 Jan 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Nadja Alexandra Mayer | |
| ## TAGS | |
| taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rainer Langhans in seltsamer Gesellschaft: Plaudern mit Neonazis | |
| Rainer Langhans gibt dem rechtsextremen Magazin "Zuerst!" ein Interview. | |
| Nicht zum ersten Mal redet der Ex-Kommunarde mit der Redaktion. Warum? | |
| Kolumne Langhans im Dschungelcamp: Rainer war die Seele der Sendung | |
| Urkommunarde Rainer Langhans ist aus der RTL-Kommune von "Ich bin ein Star | |
| – Holt mich hier raus" herausgeflogen. Zwei seiner Gefährtinnen ziehen | |
| gemeinsam Bilanz. | |
| Kolumne Langhans im Dschungelcamp: Rainer bei der Meute | |
| Ur-Kommunarde Rainer Langhans sitzt für "Ich bin ein Star, holt mich hier | |
| raus" (RTL) wieder in einer Wohn- und Lebensgemeinschaft: Hier schreiben | |
| zwei seiner Gefährtinnen. | |
| Kolumne Langhans im Dschungelcamp: Politik der Ekstase | |
| Urkommunarde Rainer Langhans sitzt für RTL und "Ich bin ein Star – Holt | |
| mich hier raus" wieder in einer Wohn- und Lebensgemeinschaft. Hier | |
| schreiben zwei seiner Gefährtinnen. | |
| Kolumne Langhans im Dschungelcamp: Rassismus gegen Rainer | |
| Urkommunarde Rainer Langhans sitzt für RTL und "Ich bin ein Star - Holt | |
| mich hier raus" wieder in einer Wohn- und Lebensgemeinschaft. Hier | |
| schreiben zwei seiner Gefährtinnen. | |
| Kolumne Langhans im Dschungelcamp: Warum diese Verachtung? | |
| Viele Taz-LeserInnen haben in Briefen und Emails die Kolumne zum | |
| Dschungelcamp und ihre Schreiberinnen beschimpft – teils fernab eines | |
| höflichen Umgangs. Eine Antwort. |