Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Halbgott Blixa Bargeld
> SEELE BRENNT Potenzierung von Verzweiflung: Ein Dokumentarfilm über das
> erste Ostberliner Konzert der Einstürzenden Neubauten, Dezember 1989
Dieser Film kann ein bisschen melancholisch stimmen. Er legt Zeugnis ab von
einer Zeit, in der Popkultur noch dazu imstande war, immense Sehnsüchte und
Energien zu triggern, eine Bedeutung zu haben, die das individuelle
Wellness-Bedürfnis überstieg, hin zu etwas Größerem, Politischerem,
Utopischerem. Uli M. Schueppel („Planet Alex“, „Berlin Song“) hat einen
Dokumentarfilm gemacht zu einem Tag, an dem Subkulturgeschichte
zusammenfiel mit großer Historie.
21. Dezember 1989: Schueppel ist mit der Kamera dabei, als die Westberliner
Avantgardeband Einstürzende Neubauten – die Mauer ist zwar seit einigen
Wochen offen, aber noch steht sie – in Kreuzberg ihre Instrumente in einen
VW-Bus packt, mit viel Papierkram-Aufwand den Checkpoint Charlie passiert,
durch den Ostteil der Stadt kutschiert und schließlich im Kultursaal des
VEB Elektrokohle in Berlin-Lichtenberg eintrifft. Zu ihrem ersten Konzert
in der DDR. Schueppel filmt beiläufig und in skizzenhaften Schnipseln: die
Musiker im schwarzen Lotterlook, ihre betont nonchalanten Kommentare beim
Durchqueren der fremden eigenen Stadt („Jetzt ’ne Cola!“). Den von Vopos
begleiteten Soundcheck. Die Saal-Ordnerinnen mit Ost-Frisuren und
Smiley-T-Shirts.
Blixa Bargeld, dessen auftoupiertes Haar einen ganz ähnlichen Schatten
wirft wie die Topfpalme im Wilhelm-Pieck-Saal. Und diese irre und von einer
wirklich fundamental offenen Umbruchsituation berichtende Szene, wie Heiner
Müller eine französische Delegation um Kulturminister Jack Lang spontan zum
Meet and Greet mit der Underground-Band schleppt.
## Ein Gefühl für diesen Tag
Parallel zu diesen Archivaufnahmen montiert Schueppel Interviews mit über
einem Dutzend damaliger Ostberliner Konzertbesucher, jubiläumsschwangere 20
Jahre später. Vor der Kamera gehen, fahren und radeln sie ihren Weg zum
Konzert nach und rekapitulieren, welche Bedeutung Band und Auftritt für sie
hatten. Mit dabei: ein ehemaliger Palasthotel-Koch, der heutige
Filmkritiker und Ostpunk-Experte Claus Löser und ein damaliger
DDR-Offiziersanwärter, der sich unerlaubt aus einer 300 Kilometer weit
entfernten Kaserne davonstahl, um sich dem „Marsch der Subkulturen auf den
VEB Elektrokohle“ anzuschließen.
In der filmischen Montage entsteht ein sehr kristallines Gefühl für diesen
Tag vor 20 Jahren: wie irreal es war, Halbgott Bargeld endlich live sehen
zu können, wie viel an Umbruchwollen durch dieses Konzert schon in
Erfüllung ging, wie viel Seelenverwandtschaft in die bislang nur von
kopierten Kassetten bekannte Band projiziert wurde. „Die Neubauten hatten
uns durch Potenzierung von Verzweiflung gut geholfen“, sagt der
Offiziersanwärter. Und berichtet auch von der Befremdung, die die
Reallife-Konfrontation mit den exzentrischen Westberlinern auslöste: „Wir
haben gespürt, dass uns diese Ästhetik, von der wir dachten, dass wir sie
teilten, schon längst wieder enteilt war, dass wir auf eigenartige Weise
old-fashioned waren.“
Und so erzählt dieser Film nicht nur von einem bemerkenswerten Ereignis,
sondern auch von einem kulturellen Clash, dessen Verarbeitung die
Überstürztheit der Wende schließlich für beide Seiten schwer gemacht hat.
KIRSTEN RIESSELMANN
„Elektrokohle (Von wegen)“. R.: Uli M. Schueppel, D.: Einstürzende
Neubauten, Heiner Müller, Claus Löser u. v. m. D 2009, 91 Min. Im
Moviemento, Lichtblick und Central
3 Jun 2009
## AUTOREN
KIRSTEN RIESSELMANN
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.