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# taz.de -- Schicksalhafte Duelle
VON STEFAN OSTERHAUS
Victor „Young“ Perez war Boxer, ein Fliegengewichtler, der damals, in den
frühen Dreißigerjahren, in Europa kaum noch Gegner fand. Von seinem
Kampfrekord existieren zwei Versionen: Eine wähnt Perez 140-mal in Serie
als Sieger – eine unglaubliche Quote. Es waren keine gewöhnlichen Duelle.
Die Boxer waren sich im Klaren darüber, dass sie eine Niederlage das Leben
kosten könnte. Perez war ein Jude sephardischer Herkunft, er war einer von
jenen Kämpfern, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten
boxten, um den Wachmannschaften die Zeit zu vertreiben. Wer siegte, der
verbesserte die Chance, zumindest noch eine Weile zu überleben. Perez war
nicht der einzige Klasseboxer, der zur Unterhaltung der KZ-Belegschaft
kämpfte. Salomo Arouch war ein weiterer, der, anders als Perez, auf einem
der Todesmärsche ums Leben kam. Perez überlebte den Holocaust. Vor zwanzig
Jahren nahm sich Hollywood seiner Geschichte an und verfilmte mit Daniel
Dafoe in der Hauptrolle unter dem bizarr anmutenden Titel „Triumph of the
Spirit“ die Biografie Arouchs.
Das Schicksal dieser Klasseboxer steht exemplarisch für das etlicher
anderer Kämpfer, die in den Lagern starben. Obwohl es Hunderte, wenn nicht
sogar Tausende gewesen sein müssen, ist nur wenig bekannt über die
Todeskämpfe in den Lagern der Nazis. Ein kleines literarisches Fundstück
ist die Erzählung „Der Boxer und der Tod“ von dem polnischen Schriftsteller
Jozef Hen. Darin tritt ein Gefangener gegen den Lagerkommandanten an, einen
ehemaligen deutschen Spitzenboxer. Deshalb dürfte der kürzlich im Verlag
„Die Werkstatt“ veröffentlichten Biografie des ehemaligen Schwergewichtlers
Hertzko Haft einiges an Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. „Eines
Tages werde ich alles erzählen“ lautet der Titel des Lebensberichts. Es ist
das einzige in deutscher Sprache verlegte Buch, in dem dieser Missbrauch
des Boxsports ausführlich von einem Augenzeugen beschrieben wird.
Haft wurde von einem SS-Offizier zum Boxer gemacht. Der Gefangene machte
einen physisch starken Eindruck; er wurde in eine Reihe von Duellen
geschickt. Die Regeln waren klar definiert: Geboxt wurde ohne Handschuhe,
ansonsten war das Reglement identisch mit dem eines regulären Kampfes. Der
Ringrichter hatte uneingeschränkte Autorität, Tiefschläge waren verboten,
nachschlagen war nicht gestattet. Allerdings gab es kein Rundenlimit, ein
Kampf war zu Ende, wenn ein Boxer ihn nicht mehr fortsetzen konnte. Haft
gewann 75 Kämpfe, das Schicksal der Unterlegenen versuchte er beiseite zu
schieben. Bevor ihm die Flucht gelang, stellte man ihn gegen einen
ebenfalls noch unbesiegten Gegner auf. Haft schlug ihn k.o.: „Hertzko sah,
wie man den Franzosen aus dem Ring zog und fortbrachte. Inmitten des
Jubelgeschreis glaubte er zwei Gewehrschüsse zu hören. Aber er war sich
nicht sicher.“
Die Lebensgeschichte des Überlebenden wurde von seinem Sohn Alan Scott Haft
aufgezeichnet. Das Buch ist vor allem ein Dokument. Der Autor pflegt keinen
ausgefeilten Stil, doch der nüchterne, bisweilen lakonische Tonfall ist dem
Gegenstand in vielen Passagen angemessen. Und er betrachtet die Erzählung
seines Protagonisten nicht ohne Vorsicht. Der Chronist unterschlägt nicht,
dass Haft ein gewalttätiger Mensch war. So ergibt sich auch das Bild eines
Antihelden. In den USA legte sich Haft den Vornamen Harry zu. Als
Profiboxer ging er 22-mal in den Ring, 14-mal verließ er ihn als Sieger.
Das ist kein eindrucksvoller Rekord, und doch gibt es etwas, das Haft
deutlich aus der Masse seiner damaligen Konkurrenten heraushebt: Er ist
einer derjenigen, die sich mit dem legendären Schwergewichtschampion Rocky
Marciano anlegten. Der ist bis heute das Synonym für Unschlagbarkeit: In
seinen 49 Profikämpfen konnte den Mann, dessen Rechte vermutlich auch einen
Truck erschüttert hätte, kein Gegner bezwingen. Haft nahm das Angebot,
gegen den „Brockton Blockbuster“ zu boxen, zunächst stoisch hin. Chiffriert
verwies er auf seine Vergangenheit im Vernichtungslager. Die Schläge
Marcianos könnten ihn nicht erschrecken – nach all den Erinnerungen, die er
mit sich herumtrage. Haft berichtet auch davon, dass der Kampf manipuliert
worden war. Doch diese Erklärung wird nicht ohne Skepsis vom Autor
betrachtet. Die Fakten zeichnen das Bild eines typischen Marciano-Kampfes:
Der Champ schlug seinen Kontrahenten in nur wenigen Runden und beendet am
26. Juni 1949 die kurze Profilaufbahn des Mannes, der in seinem früheren
Leben zum Kämpfen gezwungen worden war.
■ Alan Scott Haft: „Eines Tage werde ich alles erzählen. Die
Überlebensgeschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft“. Die Werkstatt,
Göttingen 2009, 16,90 €
5 Jun 2009
## AUTOREN
STEFAN OSTERHAUS
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