# taz.de -- „Verweigerung wäre mir peinlich“ | |
> MALEREI Chef der Nullerjahre: Ein Gespräch mit dem Malerstar Daniel | |
> Richter über seine Wende, den Kunstmarkt und warum er bei der Ausstellung | |
> „60 Jahre, 60 Werke“ mitmacht | |
INTERVIEW ANDREAS FANIZADEH | |
taz: Herr Richter, erinnern Sie sich noch an Ihr letztes Tauschgeschäft? | |
Daniel Richter: Ich hab ein wenig Kunst gegen gutes Gewissen gegeben. | |
Bilder für Benefiz-Auktionen und gutes Essen. | |
Wie schätzen Sie die Lage auf dem Kunstmarkt gegenwärtig ein, hat zum | |
Beispiel Ihre Galerie wegen der Finanzkrise schon abspecken müssen? | |
Die Galerie, Contemporary Fine Arts, gehört ja nicht mir, sondern den | |
Galeristinnen. Alle reduzieren, und die weitere Entwicklung ist gegenwärtig | |
schwer abzuschätzen. | |
Über Ihre Galerie wollen Sie nicht direkt sprechen? | |
Natürlich hat es überall Entlassungen gegeben. Aber zuvor hat es auch eine | |
Boomphase gegeben mit einer wahnsinnigen Personalaufstockung. Es ist sehr | |
viel Kapital unterwegs gewesen. Welche Werte sich etablieren und | |
durchsetzen, das hat oft nichts mit Qualität zu tun. | |
Von Ihnen hieß es jahrelang, Sie könnten die große Nachfrage nach Ihren | |
Bildern gar nicht bedienen. Wie ist das jetzt mit der Finanzkrise? | |
Im Juni habe ich die erste Verkaufausstellung seit einem Jahr. Insofern | |
könnte ich hier nur spekulieren. | |
Sie wurden vom Markt gemacht, nicht von staatlichen Agenturen. Was sind das | |
für Menschen, die – wie viel sind es derzeit, 300.000 Euro – für eines | |
Ihrer großen Werke hinlegen? | |
Menschen, die das Geld haben. | |
Warum wird in diesem Maße in Kunst investiert? Aus Feinsinn, als | |
Geldanlage? | |
Die meisten Kunden kenne ich nicht persönlich. Ich bin kein Händler, | |
sondern Künstler. Die Kunst verkauft die Galerie. Am Anfang meiner | |
künstlerischen Tätigkeit kannte ich noch viele Käufer. Es gibt Leute mit | |
ernsthaften Interesse an Malerei und natürlich gibt’s auch welche, die | |
haben ein temporäres, spekulatives Interesse. Was nicht schlimm ist. Viele | |
der Sammler finanzieren neue Kunsteinkäufe durch Verkäufe früherer | |
Erwerbungen. Ganze Museumsbestände kommen so zusammen. | |
Ihre Kunstproduktion ist relativ unabhängig vom Handel? | |
Theoretisch ja, praktisch nein. Im Prinzip kannst du Kunst machen, ohne mit | |
den Interessenten zu tun zu haben. Heute mag das schwieriger sein, aber es | |
hat immer Künstler gegeben, die zu ihrer Ausstellung nicht erscheinen und | |
keine Interviews geben. Dennoch wird Kunst oft sehr stark über die Person | |
des Künstlers interpretiert. Interessanterweise ist dies gerade bei Werken, | |
die über Befragungen und Ironisierungen laufen, sehr wichtig. Der Künstler | |
als Interpretator seiner selbst, als authentische Figur, das gibt es in der | |
Konzept- und Medienkunst viel häufiger als in der Malerei. Die Behauptungen | |
in der konzeptionellen Kunst werden oft an der Glaubwürdigkeit des | |
Künstlers gemessen und weniger an dessen Kunstsprache. Ein merkwürdiges | |
Verfahren, eine pervertierte Form der Wiederkehr des authentischen | |
Künstleregos, der kein Produkt, sondern nur eine Idee zu verkaufen hat. | |
Weil die Sprache zu abstrakt ist? | |
Weil das behauptete Werk ohne die Sprache des Behauptenden nicht möglich | |
ist. Ein Bild braucht die Vermittlung und diese nachgereichte | |
Glaubwürdigkeit nicht. Wo die Aufführungspraxis die Hauptrolle spielt, wird | |
die Kunst selber unwichtig. Dabei ist es für den Bilderkanon unwichtig, ob | |
jemand dick oder dünn, links oder schwul ist. | |
Was ist der Resonanzboden Ihrer Malerei, wie kommunizieren Sie mit der Welt | |
und wie schlägt sich das in Ihren Arbeiten nieder? | |
Das ist sehr unterschiedlich. Ich hab mal ein Bild gemalt über den | |
Barmbeker Arbeiteraufstand 1927 in Hamburg. Der bringt ein sehr deutsches | |
Dilemma auf den Punkt. Damals hatte sich in der KP schon der | |
Thälmann-Flügel durchgesetzt, der den Weisungen der KPdSU aus Moskau | |
anhing. Anfang 1927 gab es Hungersnöte und Revolten in Deutschland. Von | |
Seiten der KPD und der KPdSU beschloss man, dass die Zeit reif für die | |
Revolution sei. Die Revolution blieb aber aus. Die Situation änderte sich. | |
Die Revolution sollte also abgesagt werden, was man bei einem | |
Delegiertentreffen in Berlin beschloss. Doch dann gab es ein typisches | |
Hamburg-Berlin-Problem. Und das war? Der Zug blieb auf der Strecke nach | |
Hamburg mit dem Agenten hängen. Und so wurde sich am Hamburger Hafen | |
bewaffnet, die Polizeiwache gestürmt und der Revolution geharrt. Tausende | |
waren im Ausstand. Doch statt der Revolution kam das Militär. Die | |
Aufständischen schafften es aber, sich bis nach Barmbek durchzuschlagen und | |
in diesem Arbeiterbezirk zu verschwinden. Keine Gefangenen, keine Toten. | |
Ein reiner Geisteraufstand, beruhend auf Autoritätshörigkeit und der | |
schlechten Bahnverbindung Hamburg–Berlin. | |
Und wie haben Sie diese historischen Verwicklungen malerisch umgesetzt? | |
Es ist eine Allegorie. | |
Also nicht direkt lesbar? | |
Vorlage war ein ganz schlechtes historisches Foto, von einer schäbigen, | |
leeren Barrikade in Hamburg. An einer Bahnunterführung liegen Baumaterial | |
und Zäune, davor staffelt sich das Personal. Das kann man entschlüsseln, | |
wenn man sich mit der Malereigeschichte und der Rolle des Affen darin | |
auskennt. | |
Des Affen? | |
Der Schimpanse ist der menschliche Mensch. Der Affe hat die Rolle von dem | |
sich nicht begreifenden, sich suchenden Menschen. | |
Er zieht sich durch Ihr Werk. | |
Ein bisschen. Aber in dem betreffendem Bild sitzt er im Rollstuhl. Es ist | |
ein Porträt des weißen Gorillas, der gerade im Zoo von Barcelona gestorben | |
war. Dazu die gescheiterte Revolte, der rote Stern überblendet mit der | |
Krone aus der amerikanischen Freiheitsstatue. Niederlage der | |
Arbeiterbewegung, aufziehendes „Drittes Reich“, Exil, Amerika. Das | |
behandelt das Bild, um von da aus in die Zukunft zu sehen. | |
Wie viel von solch konkreten Auseinandersetzungen soll man in Ihren Bildern | |
lesen, wie frei ist das Ganze?Das sind auch Experimente. Ich habe relativ | |
wenige solch konkrete Bilder gemalt. Sie zwingen zu einer Allegorisierung, | |
die schnell unpräzise und manchmal auch blödsinnig werden kann. Deswegen | |
habe ich den Versuch, historische Ereignisse zu schildern und gleichzeitig | |
über sie zu spekulieren, derzeit weitgehend eingestellt. | |
Es geht nun mehr ins Alltägliche, Traum, Subkultur … | |
Ins Evidente, Offensichtliche. Das Problem der allegorischen Bildsprache | |
ist das große Wissen, das man zur Rezeption braucht. Das ist nicht | |
erstrebenswert. Man neigt zur Spökenkiekerei. Aber so etwas musst du erst | |
herausfinden. Für mich war es ein wichtiger Versuch, das Historienbild neu | |
zu beleben. Sich wortwörtlich ein Bild von der Geschichte zu machen. | |
Sie haben gerade an der Ausstellung „60 Jahre, 60 Werke“ in Berlin | |
teilgenommen. Warum? | |
Ich könnte gar nicht verhindern, daran teilzunehmen. Das Bild gehört mir ja | |
gar nicht mehr. Ich hätte versuchen können, Einspruch zu erheben, was ich | |
in diesem Fall aber nicht wollte. | |
Eine Kritikerin sprach von einem „abgehangenen Mainstream“, Meese, Rauch | |
und Sie als „Chefs der Nullerjahre“? | |
Jonathan Meese, Neo Rauch und mir bleibt also noch ein ganzes Jahr! Aber | |
tatsächlich kann man gegen eine Greatest Hits Compilation grundsätzlich | |
argumentieren, dabei sein will ich trotzdem.Also, mitmachen? Mit der Kunst | |
ist das heute wie mit Underground und Popmusik: Wo sie funktioniert, wird | |
sie umarmt. Wenn du nicht mitmachst, müsstest du den ganzen Akt der | |
Verweigerung zelebrieren, das wäre mir peinlich. Lieber sage ich: Toll, | |
dass man sich nun auch auf kritische Positionen wie Kippenberger oder | |
Oehlen bezieht, auch wenn man sie damit zahnlos macht. | |
Sie wurden berühmt mit Ihren großen, wuchtigen Werken, nun zeigen Sie | |
kleinere Bilder. Warum der Wechsel? | |
Reine Geldgier. Nein, das Großformat stand auch in Relation zu der Schwere | |
der Themen. Es ist wie das Verhältnis von Romanen zu Gedichten. Jetzt mache | |
ich Gedichte, Landschaftsbilder usw. | |
Unpolitischere Kunst? | |
Ein radikaler Künstler ist nicht automatisch der, der sich explizit | |
politisch äußert. Darin sehe ich nicht die Qualität von Kunst. | |
13 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
ANDREAS FANIZADEH | |
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