| # taz.de -- Monate des Massenmords | |
| > An den Grenzen des Vorstellbaren: „Hotel Rwanda“ und „Sometimes in Apri… | |
| > nähern sich dem Völkermord in Ruanda – zwei Filme, wie sie | |
| > unterschiedlicher nicht sein können (beide Wettbewerb) | |
| VON DOMINIC JOHNSON | |
| Endlich. Bisher musste, wer in Deutschland an Ruanda und am Völkermord an | |
| 800.000 Menschen dort 1994 interessiert war, schwere Bücher lesen und | |
| komplizierte Dokumentarfilme gucken. Jetzt hat es der ruandische Genozid | |
| auf die große Leinwand geschafft, mit einer umwerfenden Kraft. | |
| „Hotel Rwanda“ stand am Anfang der Berlinale, „Sometimes in April“ steh… | |
| ihrem Schluss. „Hotel Rwanda“ des irischen Regisseurs Terry George ist ein | |
| klassischer Hollywood-Spielfilm, eine aufwühlende Geschichte eingängig | |
| erzählt, mit perfekt inszenierter Emotion, viel Schrecken und einem Happy | |
| End. „Sometimes in April“ des Haitianers Raoul Peck ist ein düsteres | |
| Monument, das den Zuschauer nicht schont und an das Äußerste dessen geht, | |
| was mit filmischen Mitteln überhaupt über einen Genozid gezeigt werden | |
| kann. „Hotel Rwanda“ animierte die Journalisten zu lebhaften Diskussionen | |
| über das Verhindern von Völkermord. „Sometimes in April“ verschlug ihnen | |
| die Sprache. | |
| Der Todesmut einer realen Person steht im Mittelpunkt von „Hotel Rwanda“. | |
| Den Hotelmanager Paul Rusesabagina gab und gibt es wirklich: Er machte | |
| während der drei Monate des Massenmordes sein Nobelhotel „Mille Collines“ | |
| im Zentrum der ruandischen Hauptstadt Kigali zu einem Zufluchtsort für | |
| hunderte gejagte Menschen. Rusesabagina lebt heute in Belgien; in Kigali | |
| ist er ein Held, weil er sich Militärs und Mordmilizen entgegenstellte und | |
| viele Leben rettete. Den Film darüber hat er mitgestaltet und bezeichnet | |
| ihn selbst als „90 Prozent korrekt“, bevor er verschmitzt anfügt: „Ein | |
| Koch, der ein Steak brät, muss ja auch Salz und Pfeffer dazutun.“ | |
| Besonders eindrücklich gelingt es Terry George, zu Beginn seines Films das | |
| Klima der Angst vor dem Genozid nachzuvollziehen, mit den pausenlosen | |
| Aufmärschen von Milizen und der Zuversicht der radikalen Hutu-Extremisten, | |
| dass sie „ihr“ Ruanda bald für sich allein haben würden, ohne die | |
| „Tutsi-Kakerlaken“. Auch die Hilflosigkeit der UN-Blauhelme und die Wut | |
| ihres zur Untätigkeit verurteilten Kommandanten Dallaire, wunderbar | |
| gespielt von Nick Nolte, ist selten so deutlich zu sehen gewesen. | |
| Schließlich aber zieht sich der Film ganz bewusst auf den Hotelmanager und | |
| das Schicksal seiner Familie zurück. | |
| Die Gewalt der Massaker selbst kommt nicht vor – eine bewusste Entscheidung | |
| Georges. „Es gibt keinen Mittelweg, wenn man den ruandischen Völkermord | |
| dreht“, erklärt der Regisseur. „Man geht entweder bis zu dem Punkt, direkt | |
| bevor die Gewalt anfängt, oder man bleibt bei der Wirklichkeit. Ich wusste, | |
| dass ich die Wirklichkeit nicht erreichen konnte. Ich konnte keinen Weg zum | |
| Ausdruck dieser Gewalt finden, außer dass die Zuschauer sie sich | |
| vorstellen.“ So zwingt „Hotel Rwanda“ die Menschen zum gedanklichen | |
| Ausmalen von Dingen, die eigentlich unvorstellbar sind. | |
| „Sometimes in April“ nimmt den Zuschauern diese schwierige Arbeit ab. „Me… | |
| erstes Ziel war, einen Film zu machen, der so weit geht wie möglich“, sagt | |
| Peck. Nichts bleibt einem also erspart: nicht das Massaker im | |
| Klassenzimmer, nicht die gezielte Erschießung an der Straßensperre, nicht | |
| das Verrotten der Leichen im Sumpf. Peck arbeitete mit ruandischen | |
| Völkermordüberlebenden und verbrachte Monate damit, sie und sich und die | |
| Schauspieler vorzubereiten. Seine Dreharbeiten in Ruanda 2004 waren ein | |
| Ereignis an sich. | |
| So erscheint „Sometimes in April“ beinahe unerträglich real. Vor allem, | |
| weil so oft eben kein gutes Ende kommt. In quälender Echtzeit entsteht und | |
| erlischt immer wieder neu eine lächerliche Hoffnung, dass es diesmal | |
| vielleicht nicht so schlimm kommt. Wie 1994 auch. | |
| „Alle Geschichten dieses Films sind wahr“, betont Peck, dessen Name zuletzt | |
| mit dem Kongo-Film „Lumumba“ um die Welt ging. Die zentrale Geschichte | |
| musste er sich aber selbst zusammenstellen: Sie handelt von zwei Brüdern – | |
| der eine Soldat, der sich dem Morden per Flucht ins Hotel „Mille Collines“ | |
| entzieht, der andere Journalist des ebenfalls „Mille Collines“ genannten | |
| Völkermord-Hetzradios, der heute vor dem UN-Ruanda-Tribunal angeklagt ist. | |
| Ohne die Vorblenden vom Genozid 1994 zum UN-Gericht 2004, die eine | |
| Atempause vom Horror bieten, wäre dieser Film wohl gar nicht auszuhalten. | |
| Damit geht er, anders als „Hotel Rwanda“, über das Grauen von 1994 hinaus … | |
| in das Leben von Menschen, für die mit dem Ende der Massaker keine | |
| Normalität einkehrte. | |
| Zwei Filme, die unterschiedlicher nicht sein könnten – vielleicht | |
| gewährleistet das, dass sich möglichst viele Menschen dem Geschehen von | |
| Ruanda nähern. Noch nie haben sich jedenfalls so viele Journalisten mit | |
| Ruanda beschäftigt wie während der Berlinale 2005. Nicht einmal im April | |
| 1994. | |
| „Sometimes in April“: 18. 2. 12/20.30 Uhr; 20. 2. 15 Uhr, alle Urania | |
| 18 Feb 2005 | |
| ## AUTOREN | |
| DOMINIC JOHNSON | |
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