# taz.de -- In schlechter Gesellschaft | |
> In seiner gerade erschienenen Max-Schmeling-Biografie geht Martin Krauß | |
> vor allem der Frage auf den Grund, wie der kürzlich verstorbene Boxer zum | |
> größten Sportidol des Landes werden konnte | |
VON MATTI LIESKE | |
Die Flut der Würdigungen, die sich nach dem Tod des Boxers Max Schmeling, | |
über die Medienlandschaft ergoss, nährte einerseits die Lust auf mehr, | |
andererseits den Wunsch nach anderem. Zu glatt, zu heroisch, zu makellos | |
kamen die Texte meist daher, der viel beschworene „gute Mensch von | |
Hollenstedt“ hatte einen klaren Punktsieg über die Geschichte gefeiert, Max | |
Schmeling sich ein für alle Mal in der neutralen Ecke positioniert, | |
zeitlebens sein bevorzugter Platz. | |
Voilà! Hier ist er, der ersehnte Lesestoff. Eigentlich dazu gedacht, den | |
100. Geburtstag des größten deutschen Sportidols im September literarisch | |
vorzubereiten, ist das Buch „Schmeling. Die Karriere eines | |
Jahrhundertdeutschen“ nun zum ausführlichen Nachruf geworden. Der Autor | |
Martin Krauß beschränkt sich nicht darauf, einfach das Leben und die | |
Karriere Schmelings nachzuerzählen, was dieser selbst und andere Biografen | |
bereits mehrfach erledigt haben. Sein Buch kreist, dem Untertitel gemäß, | |
vor allem um die Frage, was Max Schmeling eigentlich zum | |
Jahrhundertdeutschen werden ließ. Diese lässt sich eher politisch als | |
sportlich beantworten. Daher bilden den Kern des Buches von Martin Krauß | |
auch jene Jahre, in denen der Mythos Schmeling geschaffen wurde, vom Gewinn | |
der Schwergewichts-Weltmeisterschaft 1930 bis zur vernichtenden | |
K.-o.-Niederlagen im WM-Kampf gegen Joe Louis im Juni 1938. Im Zentrum | |
dieses Zeitraums steht natürlich der Fight seines Lebens, der Triumph über | |
Joe Louis im August 1936, unmittelbar vor den Olympischen Nazi-Spielen in | |
Berlin. | |
Trotz dieses sensationellen Sieges im Nicht-Titelkampf gegen den damals | |
22-jährigen Louis ist Max Schmeling sportlich gesehen bloß eine Fußnote der | |
Boxgeschichte. Ihn zu den besten fünf Schwergewichtlern aller Zeiten zu | |
zählen, wie es der Schriftsteller Wolf Wondratschek tut, ist mehr als | |
vermessen. Wenn man ihn unter die besten fünf seiner Ära einreiht, ist das | |
schon sehr viel. Auch der WM-Gewinn von 1930 unter dubiosen Umständen | |
sorgte keineswegs für Euphorie in Deutschland, wie Martin Krauß | |
detailfreudig nachweist. Der Sieg durch Disqualifikation des Gegners Jack | |
Sharkey nach Tiefschlag war Schmelings Reputation sowohl in der Heimat als | |
auch in den USA eher abträglich, zumal er später zugab, auf Anweisung | |
seines Managers Joe Jacobs am Boden geblieben zu sein, bis der Ringrichter | |
den Kampf abbrach. „Es ist da die merkwürdige Unstimmigkeit, dass der | |
Besiegte auf seinen eigenen Beinen fortging, während der Sieger, dem es | |
auch in den vier Runden nicht gut gegangen war, halb ohnmächtig auf der | |
Bahre abgeschleppt werden musste“, zitiert Krauß keinen geringeren Spötter | |
als Carl von Ossietzky. Zu einem Schaukampf Schmelings in München | |
erschienen kurze Zeit später nur 2.000 Zuschauer. Im übernächsten Kampf | |
verlor er den Titel schon wieder. Seinen Ruf polierte er in diesem | |
Rückkampf gegen Sharkey aber gewaltig auf, denn er boxte stark und verlor | |
nach allgemeiner Einschätzung zu Unrecht nach Punkten. Fortan war Schmeling | |
auch in den USA ein bekannter und respektierter Boxer. | |
Sein Aufstieg zum Jahrhundertdeutschen wäre jedoch ohne die Nazis niemals | |
möglich gewesen. Die neuen Machthaber erkannten schnell, welch nützliches | |
Propagandainstrument sie in Schmeling besaßen. Ausführlich stellt Krauß | |
dar, wie die höchsten Chargen der NSDAP, vor allem Goebbels und Hitler | |
selbst, den Boxer und seine Gattin, die Schauspielerin Anny Ondra, | |
hofierten und für ihre Zwecke einspannten. Vor allem im Vorfeld der | |
Olympischen Spiele 1936 in Berlin war sein Einsatz Gold wert. Weltweit, | |
aber vor allem in den USA gab es eine breite Bewegung zum Boykott der | |
Spiele in Nazi-Deutschland. Wären die USA ferngeblieben, hätten sich viele | |
andere Länder angeschlossen. Zwar hatten die Nazis den NOK-Präsidenten der | |
USA, Avery Brundage, später auch IOC-Präsident, auf ihrer Seite, der | |
unbedingt in Berlin antreten wollte und wenig gegen das dortige Regime | |
einzuwenden hatte, doch die Entscheidung war knapp. In dieser Situation | |
brauchte Hitler dringend deutsche Sportler, die des Nazitums unverdächtig | |
waren, aber trotzdem versicherten, es sei alles nicht so schlimm in | |
Deutschland, vor allem, was die weithin kritisierte Verfolgung von | |
jüdischen Sportlern und Arbeitersportlern betraf. Max Schmeling, der | |
einzige wirklich bekannte deutsche Athlet in den USA, war dafür ideal | |
geeignet, kooperierte bereitwillig und traf sich in New York mit Brundage | |
und anderen Funktionären. Wie entscheidend sein Einfluss bei der mit einer | |
Stimme Mehrheit getroffenen Entscheidung des US-NOK gegen einen Boykott | |
war, wagt auch Martin Krauß nicht endgültig zu beantworten. Es ist jedoch | |
bezeichnend für Schmeling und seinen Umgang mit der Nazizeit, dass er | |
später zwar „grenzenlose Naivität“ einräumt, sich aber dennoch rühmt, d… | |
Olympischen Spiele in Berlin gerettet zu haben. Auf die Idee, dass ein | |
Boykott vielleicht besser gewesen wäre, kommt er nicht. | |
Kaum passender für Hitler und Konsorten hätte kurz vor Olympia der | |
Zeitpunkt des Sieges von Schmeling gegen Joe Louis kommen können. Der | |
haushohe Favorit hatte den taktisch klug boxenden Deutschen maßlos | |
unterschätzt und war in der 12. Runde ausgeknockt worden. Ein unverhofftes | |
Geschenk für das Nazi-Regime, das den Kampf vor allem im Nachhinein, als | |
klar war, wer gewonnen hatte, zum Duell des „arischen Helden“ mit dem | |
„wilden Neger“, so zitiert Krauß deutsche Pressestimmen, stilisierte. | |
Hitler persönlich ordnete, nachdem er Schmeling empfangen hatte, an, den | |
Film des Kampfes mit dem rassistischen Kommentar von Arno Hellmis unter dem | |
Titel „Max Schmelings Sieg – ein deutscher Sieg“ in den Kinos zu zeigen. | |
Weiterleben kann der Mythos vom deutschen Helden auch nach der Vernichtung | |
der Nazi-Herrschaft, weil sich Schmeling, auch das legt der Autor | |
ausführlich dar, trotz vieler Berührungen mit den Machthabern nie komplett | |
vereinnahmen ließ. Unbeirrt hält er so lange wie möglich an seinem | |
jüdischen Manager Joe Jacobs fest, mutig hilft er alten, oft jüdischen | |
Freunden, konsequent nutzt er seinen Einfluss, um in Bedrängnis geratene | |
Menschen zu retten. Trotzdem nagt etwas an seinem Gewissen: Nach Kriegsende | |
ist er stets emsig bemüht, seine Verbindungen zu den Nazis zu verniedlichen | |
und seine Reibereien mit ihnen zu dramatisieren. Nach der Niederlage gegen | |
Louis 1938 hatten die NS-Machthaber ohnehin das Interesse an ihm verloren | |
und ließen ihn später sogar als Soldaten in den Krieg ziehen. Nicht nur | |
dass er gegen den „Neger“ schmählich in der ersten Runde K. o. gegangen | |
war, auch die Zeit der Maskerade und des Goodwill war vorbei. Die Stimmung | |
in den USA war gekippt seit 1936. Damals hatten viele weiße Amerikaner | |
Schmelings „Lektion“ für den schwarzen Emporkömmling noch bejubelt, 1938 | |
wurde er in New York als Sendbote der Nazis attackiert. Was er bis an sein | |
Lebensende nie verstehen konnte. | |
Die offenkundige Unfähigkeit, seine eigene Rolle im politischen Spiel zu | |
erkennen, zeigt, warum Max Schmelings Popularität so ungebrochen anhalten | |
konnte, bei ewig gestrigen Nationalisten wie bei erklärten Antifaschisten, | |
in Deutschland und sogar in Amerika. Er blieb, das zeigt diese Biografie in | |
eindrucksvoller Weise, stets das, was er immer war: ein schlichter, | |
bescheidener, etwas argloser und freundlicher Mann, der es am liebsten | |
allen recht machen wollte – wenn es sein musste, eben auch den Nazis. Dabei | |
stets bemüht, nichts Unrechtes, sondern möglichst Gutes zu tun, aber immer | |
auch auf seinen Vorteil bedacht. Eine Mischung aus Opportunismus und | |
Integrität, wie man sie von einem Jahrhundertdeutschen nicht anders | |
erwartet. | |
Martin Krauß: „Schmeling. Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen“. Verlag | |
Die Werkstatt 2005, 264 S., 18,90 € | |
1 Mar 2005 | |
## AUTOREN | |
MATTI LIESKE | |
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