# taz.de -- Der Chefredakteur von Deutschland | |
In der kommenden Woche erscheint eine Biografie über den Spiegel-Chef | |
Stefan Aust, die zeigt, wie sich beim Hamburger Nachrichtenmagazin die | |
Kritik an den Mächtigen zur eigenen Lust an der Macht gewandelt hat. Ein | |
Vorabdruck | |
VON OLIVER GEHRS | |
Es gibt ein paar Dinge, die liegen Spiegel und Spiegel TV unter Stefan Aust | |
sehr am Herzen. Zum Beispiel, ob die Landstraße B 73 zwischen Hamburg und | |
Cuxhaven, über die Aust zu seinen Pferden kommt, durch eine Autobahn | |
entlastet wird. Oder wie man am schnellsten von Hamburg in die | |
Bundeshauptstadt Berlin kommen kann – eine Strecke, die Aust oft | |
zurücklegen muss: mit dem Transrapid, mit dem Superzug Metropolitan oder | |
mit dem ICE auf ausgebauten Gleisen? | |
Auch eine andere Gruppe, obwohl gesellschaftlich eher irrelevant, findet | |
sich ständig im Spiegel wieder: die Reiter. Seit seiner Kindheit ist Stefan | |
Aust ein großer Pferdefreund. Damals durften er und seine Geschwister auf | |
den Ponys des Stader Augenarztes reiten, und als sein Vater mal ein | |
bisschen mehr Geld hatte, kaufte er drei Vollblutstuten, die in der Zeitung | |
angeboten wurden. In den Siebzigerjahren fing Aust dann an, eine eigene | |
Zucht aufzubauen. 1974 kaufte er ein braunes Stutenfohlen namens Prudenzia, | |
später ein weiteres, das Abendluft hieß. Die genossen auch seine Freunde | |
und Kollegen, die er gern mit in das Landhaus nach Lamstedt nahm, das er | |
und seine Geschwister 1972 gepachtet hatten und viel später kauften. Hier | |
konnten sie beim Ausmisten der Ställe und beim Zäuneziehen durchs Alte Land | |
helfen. Frische Luft tut gut. Zum Dank gab es Deftiges, oft Grünkohl mit | |
Pinkel und Kartoffeln mit Zuckerkruste. Ein Bernhardiner zum Streicheln | |
sprang auch noch rum. | |
In der Reiterszene ist Aust ein viel geschätzter Mann, weil die Reiter mit | |
dem Spiegel ein wichtiges Medium an ihrer Seite wissen, das sich dem | |
Pferdesport ausgiebiger widmet als der Rest der Massenblätter. Im Kreis | |
anderer Pferdefreunde erzählt Aust schon mal, dass seine Sportredakteure | |
leider nicht verstehen, wie wichtig der Reitsport ist, und stattdessen | |
lieber Artikel über Fußball und Doping schreiben. Als er noch | |
ausschließlich bei Spiegel TV war, bemühte er sich selbst, wenigstens | |
einmal im Jahr etwas über Pferde zu machen, aber bei den störrischen | |
Kollegen vom Magazin ist das nicht so einfach. Gut, dass es den Sender XXP | |
gibt, der sogar ein eigenes Pferdemagazin im Programm hat und dessen | |
Kamerateam selbst noch die stimmungsvollen Kutschfahrten zum Auftakt eines | |
ländlichen Reitturniers im Bild einfängt. „Die meisten wissen gar nicht, | |
wie viele Leute sich mit Pferden beschäftigen“, sagt Aust – beim Spiegel | |
sind es inzwischen jede Menge. | |
Aust weiß sogar, was diese Leute sonst noch so umtreibt, schließlich wenden | |
die sich gern an ihn, wenn sie Probleme haben, die sich mit einem Bericht | |
im Spiegel vielleicht lösen ließen. Unter Pferdefreunden gewissermaßen. So | |
schreibt ihm die Frau des deutschen Olympiareiters Klaus Balkenhol, Judith | |
Balkenhol, im Mai 2003 einen Brief („An die Redaktion Der Spiegel Herrn | |
Stefan Aust Persönlich“), in dem sie Aust darum bittet, etwas gegen die | |
Windkraft zu unternehmen, die den Reitern nicht nur beim Reiten in Form | |
großer Windkrafträder im Weg steht, sondern sie auch sonst nicht zur Ruhe | |
kommen lässt – wegen eines Phänomens, das Experten Infraschall nennen und | |
bei dem es sich um so tiefe Töne handelt, dass sie für das menschliche Ohr | |
nicht wahrnehmbar sind. Im Gegensatz zu Giraffen und Elefanten, die können | |
sich damit über Kilometer hinweg verständigen. Judith Balkenhol jedenfalls | |
weist in ihrem Brief an Aust auf die Familie Grothoff hin, die im | |
Münsterschen ansässig ist, Pferde hat und nachts nicht mehr zur Ruhe kommt. | |
„Wir vibrieren uns so langsam in die Matratzen rein“, sagen sie. Auch die | |
robusten Kinder und die stämmigen Pferde seien ruhelos und unausgeschlafen. | |
Zum Glück gibt es ja nicht nur Gerichte, die für Gerechtigkeit sorgen, und | |
so mündet der Brief von Judith Balkenhol in der Bitte an Aust, „uns gegen | |
die Geißel Windwahn zu unterstützen“. Als Argumentationshilfe belehrt Frau | |
Balkenhol den Spiegel-Chef noch, dass „die Windmühlen energiepolitisch | |
nicht relevant sind“ und durch „alle 14.000 bisher errichteten WKAs bisher | |
kein konventionelles Kraftwerk abgeschaltet“ worden sei, weil „der Wind | |
unstet ist“. Am Schluss heißt es: „Wir hoffen, Sie beim CHIO in Aachen zu | |
treffen, und verbleiben …“ CHIO (Championat Hippique International) ist das | |
größte Springreitturnier Deutschlands. | |
Drei Monate später erscheint im Spiegel eine Geschichte unter der | |
Überschrift „Erdbeben auf der Matratze“ zur Problematik Infraschall. Darin | |
wird ausführlich das Leiden der Familie Grothoff gewürdigt, aber auch der | |
Sportsfreund Balkenhol persönlich kommt zu Wort, der „eine eigenartige | |
Spannung“ und Konzentrationsstörungen bei seinen Pferden bemerkt hat, seit | |
sich in der Umgebung seines Reiterhofs die Rotoren drehen: „Der Schall geht | |
in den Wald“, so Balkenhol, „und kommt von dort als Echo zurück.“ Als Be… | |
für die Existenz von Infraschall führt der Spiegel unter anderem britische | |
Forscher an, die als Ursache von Beklemmungsgefühlen in Spukschlössern | |
ebenfalls Infraschall vermuten. Nur in Deutschland, so der Spiegel | |
vorwurfsvoll, werde „als Spinner abgetan, wer über Störungen durch derlei | |
geheimnisvolle Basstöne klagt“. So aufopfernd kümmert sich der Spiegel | |
selten um Minderheiten. | |
Manchmal kommt es Stefan Aust so vor, als ob die anderen Journalisten | |
nichts vom Spiegel lernen würden. Zum Beispiel, wenn ihn Reporter besuchen | |
und dumme Fragen stellen oder über Fehler sprechen wollen, die er angeblich | |
mache. Dann wird er schon mal ungehalten und ist kurz davor, das Gespräch | |
abzubrechen. Manchmal droht er auch mit dem Anwalt. Oder wenn einer kommt | |
und ihn porträtieren will, dann schreibt er vorsichtshalber einen Brief, | |
dass er „natürlich davon ausgehe“, „dass Sie den ohnehin geschützten | |
Privatbereich respektieren werden“. Das klingt, als sei er nicht nur seit | |
zehn Jahren Chefredakteur des Spiegels, sondern inzwischen Chefredakteur | |
von Deutschland. | |
Als Chefredakteur von Deutschland hat es Aust nicht leicht. Es ist | |
praktisch eine politische Funktion, ein bisschen so wie die des | |
Innenministers. Wenn er seinen alten Bekannten Otto Schily trifft, dann | |
sind das Gespräche auf Augenhöhe. Hier der frühere RAF-Anwalt, der mit | |
betretener Miene an Ulrike Meinhofs Grab stand und in geschliffenen | |
Plädoyers hart mit dem Rechtsstaat ins Gericht ging. Der heute für einen | |
starken Staat und eine restriktive Ausländerpolitik kämpft, aber dennoch | |
nicht als gewendeter 68er gilt, weil er schon immer feine Anzüge mit Weste | |
und eine Taschenuhr trug. An seiner Seite der streitbare Journalist, der | |
gegen die USA, gegen Springer und gegen die Atomkraft anschrieb und der | |
heute ein Blatt macht, das ein großes Herz für die Wirtschaftskapitäne hat | |
und ein eher kleines für Minderheiten. Ein Journalist, der auch nicht als | |
gewendeter Linker gelten kann, weil er zwar über Jahrzehnte links | |
gehandelt, aber wohl nie gedacht hat. Wer daraus einen ideologischen | |
Zusammenhang zimmert, ist selbst schuld. | |
Es sind nicht unbedingt die großen Politiker, die Aust faszinieren, sondern | |
die großen Unternehmer, und darunter vor allem die, die aus dem Nichts | |
kommen. Die sich von ganz unten nach ganz oben durchgebissen haben. Die | |
also ein bisschen so sind wie er selbst. Nur noch erfolgreicher. | |
Es ist eine Welt der Selfmademen, der Privatflugzeuge, der großen | |
Bürofluchten, der achtstelligen Jahresgehälter. Eine Welt, in die Stefan | |
Aust bei allem Erfolg nicht vordringen kann, was nicht nur an ihm liegt, | |
sondern am Spiegel und den Bremsern dort. In regelmäßigen Abständen dürfte | |
Stefan Aust von dem unangenehmen Gefühl heimgesucht werden, dass der Posten | |
des Spiegel-Chefredakteurs nicht alles sein kann. Dass dieser Job für einen | |
wie ihn ein bisschen wenig ist, weil beim täglichen Ausdenken von | |
Titelbildern ein Talent brachliegt, mit dem man es andernorts und vor allem | |
in den USA (wohin es Aust oft zieht) zu Milliarden, mindestens aber zu | |
einem Privatflugzeug bringen kann. Hierzulande aber steht dem Glück als ins | |
wirklich Mächtige changierender Fernsehunternehmer das Bedenkenträgertum | |
der anderen Spiegel-Mitarbeiter im Weg, die Aust immer dann reinreden, wenn | |
es den Spiegel-TV-Macher zu Großtaten auf dem Fernsehmarkt drängt. | |
Ein Dilemma für Aust, der vom Journalisten längst zum Medienunternehmer | |
gereift ist und in seiner Funktion das „Wie es sein könnte“ ständig vor | |
Augen hat. So muss er mit ansehen, wie sein Freund Karlheinz Kögel mit dem | |
Billigreiseanbieter L’tur und der Einschaltquotenmessanlage Media Control | |
so reich wird, dass er es sich leisten kann, einen völlig sinnlosen | |
Medienpreis zu verleihen, oder wie Haim Saban, der Hauptaktionär der | |
ProSiebenSat.1 Media AG, es mit wenigen klugen Akquisitionen vom | |
ägyptischen Basszupfer zum milliardenschweren Medienunternehmer geschafft | |
hat. | |
Tatsächlich nimmt sich der Spiegel von Sabans Büro im sechsundzwanzigsten | |
Stock eines Geschäftshauses in Beverly Hills oder vom hohen Schuldenberg | |
Leo Kirchs aus besehen als eine eher mickrige Angelegenheit aus. Insofern | |
trägt Austs ständige Hinwendung zu den Männern mit den unbegrenzten | |
Möglichkeiten fast schon masochistische Züge. Die Redakteure wissen darum | |
und nehmen auf das Faible ihres Chefs für Männer mit großer Brieftasche | |
nobel Rücksicht. Als grobe Arbeitsmaxime gilt, dass man lieber nichts | |
Schlechtes über Menschen schreibt, die mehr verdienen als Aust oder sogar | |
ein eigenes Flugzeug haben. | |
Am liebsten würde er sie wohl mal mitnehmen zu so einem echten Tycoon, | |
damit sie alle mal sehen, wozu von Politik und Mitarbeitern ungebändigter | |
Schaffensdrang führen kann. Mitnehmen zu einem Typen wie dem amerikanischen | |
Medieninvestor Herbert Allen, der einmal im Jahr ein mythisches Treffen auf | |
seinem Anwesen in Sun Valley, Idaho, veranstaltet, bei dem sich | |
Unternehmungslustige vom Schlage eines Rupert Murdoch oder Bill Gates so | |
nahe kommen, dass danach die Wirtschaftszeitungen ganz voll sind mit | |
Meldungen über bahnbrechende Firmenzusammenschlüsse. Dorthin wird Aust zwar | |
nicht eingeladen, aber er durfte Allen bei anderer Gelegenheit | |
gegenübersitzen. Menschen, die dabei waren, erzählen, der Termin habe etwas | |
Weihevolles gehabt. Vor allem für Aust. | |
Obwohl er selbst im Vergleich zu den so häufig im Spiegel gewürdigten | |
Harakiri-Unternehmern gern unter nahezu planwirtschaftlichen Bedingungen | |
arbeitet. Eigenes Kapital musste er, abgesehen von der Pferdezucht, nie | |
aufs Spiel setzen, was von einem Sicherheitsdenken zeugt, das womöglich mit | |
seiner Herkunft zu tun hat. Bloß nicht nach Stade zurück! | |
Wenn Aust der kleine König ist, dann ist Gabor Steingart sein Kronprinz. | |
Noch vor zehn Jahren war Steingart ein Jungredakteur unter vielen, dessen | |
besondere Forschheit im Gewimmel der Spiegel-Talente nicht weiter auffiel. | |
Höchstens sein Gesicht, das immer noch eine Spur mokanter wirkte als das | |
der anderen, selbst wenn es Rudolf Augstein war, dem er gegenübersaß. | |
Richtig steil wurde der Weg, als Aust kam, unter dem sich Steingart schnell | |
zum Ressortleiter der Wirtschaftsabteilung hochdiente. Aust schätzt an | |
Steingart wohl nicht nur dessen Fähigkeit, in der Konferenz schlagfertig | |
die Kollegen aus dem Feuilleton bloßzustellen, sondern auch die effiziente | |
Arbeitsweise. So erwies sich Steingart ein ums andere Mal als Mann für die | |
ganz harten Fälle, etwa für den, dass am Freitagmorgen die Titelgeschichte | |
aus was für Gründen auch immer abstürzt und bis zum Redaktionsschluss am | |
Abend Ersatz hermuss. Steingart verschwindet dann in sein Zimmer und kommt | |
pünktlich mit vielen beschriebenen Seiten wieder heraus, bei deren Lektüre | |
nur ganz geübte Leser merken, dass es sich um einen Schnellschuss handelt. | |
Das Thema ist eigentlich egal, aber je näher es an der Wirtschaft ist, | |
desto besser. | |
Mit anderen Worten: Steingart ist Austs beste Kraft, weswegen er | |
wahrscheinlich auch nicht sein Stellvertreter wurde. „Aust würde keinen | |
selbstbewussten Mann neben sich dulden“, so sagt ein Spiegel-Hierarch, „und | |
ein selbstbewusster Mann würde auch nicht neben ihm arbeiten wollen.“ | |
Es gibt sogar nicht wenige, die behaupten, Steingart sei im Grunde genommen | |
wichtiger als Aust, weil der sich aus Politik nicht so viel mache. Es | |
heißt, Aust habe sich 1998 eine große Koalition gewünscht mit seinem | |
Bekannten Volker Rühe als Vizekanzler. Das sage alles. | |
Dass Steingart wer ist beim Nachrichtenmagazin, zeigt auch der häufige | |
Abdruck seines Fotos und seines Namens. Denn zuweilen ist das, was im | |
Spiegel steht, weniger ein Abbild der Welt als eines vom Innenleben des | |
Blattes. Das Erste, was viele Spiegel-Redakteure in ihrem Magazin lesen, | |
sind nicht die Texte, sondern die Autorennamen: Welcher Kollege hat viel | |
geschrieben, welcher wenig, welcher schon lange nicht mehr, welcher auf | |
einmal doch. So sind alle über die Hackordnung auf dem Laufenden. | |
Am allerwichtigsten aber ist für die Redakteure die Hausmitteilung und die | |
Frage, wessen Foto dort erscheint. Selbst altgediente Reporter können sich | |
von Herzen freuen, wenn ihnen die Ehre zuteil wird, mit Bild im Spiegel zu | |
erscheinen, am besten an der Seite eines Prominenten. Wenn zwei Redakteure | |
auf dem Bild sind, kommt es darauf an, wen der Promi anschaut. So gerät | |
schon mal ein Bild ins Blatt, auf dem ein Redakteur an der Seite von Thomas | |
Gottschalk steht – stolz lächelnd, als wollte er den Lieben daheim | |
signalisieren, wie weit er es gebracht hat. | |
Die Lohnnebenkosten müssen runter, die Sozialausgaben gekappt und der | |
Föderalismus weitgehend abgeschafft werden – das ist, kurz gesagt, | |
Steingarts Programm, und weil das doch wieder so hartherzig klingt, hat | |
sich Steingart für seinen Bestseller „Deutschland – Abstieg eines | |
Superstars“ eine Metapher aus dem Tektonischen ausgesucht. Im produktiven, | |
glühenden Inneren unserer Volkswirtschaft, so Steingart, finde derzeit eine | |
Kernschmelze statt. Gemeint ist, dass es durch Abwanderung und Pleiten von | |
Firmen bald zappenduster wird, obwohl ja bei Kernschmelzen ungeheure | |
Energie frei wird. Aber Steingart ist kein Atomwissenschaftler. | |
Normalerweise sind Kündigungen beim Spiegel selten, weil das geliehene | |
Prestige und das gute Gehalt darüber hinwegtrösten können, dass man schon | |
lange keinen Artikel mehr im Heft hatte. Doch seitdem Steingart der Chef im | |
wichtigsten Spiegel-Büro ist, gehen viele freiwillig. Gleich sechs | |
Redakteure verließen innerhalb kurzer Zeit das Haus. Manche, so heißt es, | |
wurden regelrecht rausgemobbt, ihre Themen abgelehnt, ihre Artikel nicht | |
gedruckt. So erging es auch dem stellvertretenden Büroleiter Ulrich | |
Deupmann. Deupmann wechselte später zur Bild am Sonntag und kam dort bei | |
der Affäre um Florian Gerster und dessen seltsames Gebaren in der | |
Bundesagentur für Arbeit dem Spiegel zuvor. | |
Weil die Fluktuation so hoch ist, führt Steingart viele | |
Bewerbungsgespräche. Er fühlt sich dann wie ein Fußballtrainer, der für | |
seine Mannschaft die Besten will, die auf dem Markt sind. „Wir sind der FC | |
Bayern München“, sagt er und meint damit offensichtlich den alten FC | |
Bayern, der noch auf die Meisterschaft abonniert war, nicht den neuen, bei | |
dem nicht alles zusammenpasst. | |
Das Problem aber ist, dass die besten Journalisten nicht unbedingt einem | |
Fußballtrainer im Bewerbungsgespräch gegenübersitzen wollen. Das macht es | |
schwierig. | |
„Die Währung des Spiegel ist Angst“, zitiert Steingart den Reporter einer | |
Wochenzeitung, „Angst nach innen und Angst nach außen.“ Er findet den Satz | |
sehr treffend. Mit der Angst nach außen ist die Angst der Politiker gemeint | |
vor den Geschichten, die der Spiegel so ausgräbt. Aber – das müsste | |
Steingart selbst sehen: Da ist nicht mehr viel. Rudolf Scharping, Florian | |
Gerster, Helmut Kohl, Bundesbankpräsident Ernst Welteke – da waren andere | |
mehr oder weniger schneller, auch wenn Aust darauf beharrt, dass der | |
Spendenskandal der CDU mit dem Panzerdeal von Karlheinz Schreiber losging, | |
den der Spiegel als Erstes im Blatt hatte. | |
Das mit der Angst nach innen jedoch stimmt uneingeschränkt. „Einmal im Jahr | |
werden alle ans Fenster gerufen, dann wird eine Leiche auf den Hof | |
geschmissen, und alle schauen, wer da liegt“, sagt ein eher unängstlicher | |
Redakteur. | |
Wer Aust kritisiert hat, ist gegangen, und nicht mal seine Stellvertreter, | |
von Augstein einst mit viel Macht ausgestattet, wagen noch Widerspruch. Der | |
eine, Martin Doerry, ist ein Intellektueller, der in einer völlig anderen | |
Welt als Aust lebt. Eine Welt, in der man studiert, das Feuilleton liest | |
und vor der Banalisierung des Holocausts warnt. Es ist eine Welt ohne | |
Stallgeruch. Der andere, Joachim („Jockel“) Preuß, ist eher wie Aust. Nur | |
dass er sich ständig zu wundern scheint, warum Aust Chef ist und nicht er | |
selbst. Dass es so ist, auch dafür zollt er ihm wohl Respekt. | |
Auf Kritik von außen reagiert Aust so gereizt, weil es Kritik innerhalb des | |
Spiegels kaum noch gibt. Wenn nicht mal mehr die Spiegel-Redakteure bei ihm | |
nachfragen, warum sollte es dann jemand dürfen, der nicht vom Spiegel | |
kommt. So gesehen ist Aust vielleicht der Einzige, der wirklich glaubt, der | |
Spiegel sei unabhängig. Selbst von ihm. | |
So zerfällt das „Sturmgeschütz der Demokratie“ unter Aust in drei Lager: | |
Die erste Gruppe klagt, dass der Spiegel unpolitisch geworden sei, | |
herumeiere, heute dies und morgen jenes schreibe. Mal werde das Dosenpfand | |
unterstützt, dann wieder nicht. Mal der Kanzler auf den Schild gehoben, | |
dann wieder fallen gelassen. In der Ressortleiterkonferenz werde nur noch | |
das besprochen, „was auf der zweiten Seite der Bild-Zeitung oben, unten und | |
in der Mitte steht“, wie ein Redakteur aus dem Parlamentsbüro klagt. „Wir | |
werden bei den Politikern nicht mehr ernst genommen.“ | |
Die zweite Gruppe hält dagegen, dass der Spiegel noch nie weiter gedacht | |
habe als die Bundeswehrführung, dass eh niemand mehr wisse, was links oder | |
rechts bedeute. Sie freuen sich, dass nun nicht mehr nur die zuständigen | |
Redakteure über die Politik berichten, sondern ausgezeichnete Reporter aus | |
dem Gesellschaftsressort, die zwar weniger Hintergrundwissen haben, dafür | |
aber besser schreiben können. Und habe nicht Hans Magnus Enzensberger schon | |
1957 konstatiert: „Das Blatt hat keine Position. Die Stellung, die es von | |
Fall zu Fall zu beziehen scheint, richtet sich eher nach den Erfordernissen | |
der Story, aus der sie zu erraten ist: als deren Pointe. Sie wird oft | |
wenige Wochen später durch eine andere Geschichte dementiert, weil diese | |
einen anderen ‚Aufhänger‘ verlangt.“ Aust nahm Enzensbergers Diagnose 19… | |
noch mal ins Blatt, in eine Jubiläumsnummer zum Fünfzigsten. Für ihn war es | |
wohl ein Lob. | |
Die dritte Gruppe ist mit Abstand die größte. Es sind die, die gar nichts | |
sagen. Die sich schon deshalb ganz wohl fühlen, weil das Gehalt hoch ist, | |
reichlich Spesen gemacht werden dürfen, der Kaffee aufs Zimmer gebracht | |
wird und es im Bekanntenkreis noch immer am besten ankommt, wenn man beim | |
Spiegel ist. | |
Es ist irgendetwas schief gelaufen in Austs Amtszeit: Im Spiegel selbst | |
sind die kritischen Stimmen verstummt, er ist innen hohl. Aber drum herum | |
werden die Kollegen plötzlich frech. Die Journalisten, aus denen er | |
Spiegel-Leute machen sollte, sind keine mehr – dafür führen sich diejenigen | |
wie Spiegel-Leute auf, für die er eigentlich gar nicht zuständig ist. | |
So gesehen hat der Chefredakteur von Deutschland einen guten Job gemacht. | |
OLIVER GEHRS, 36, Herausgeber des Magazins Dummy, hat selbst von 1999 bis | |
2001 unter Stefan Aust gearbeitet, als Wirtschaftsredakteur im Berliner | |
Spiegel -Büro. Schon als taz-Medienredakteur hat er zuvor Austs Karriere | |
verfolgt, später dann bei der Berliner Zeitung und der SZ. Für sein Buch | |
„Der Spiegel-Komplex – wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete“ | |
(München, Droemer/Knaur, 336 Seiten, 19,90 Euro) hat Gehrs mit Spiegel | |
-Redakteuren und Weggefährten des Spiegel -Chefredakteurs gesprochen. Aust | |
selbst hat Gehrs für das Buch zweimal in seinem Büro besucht, beides eher | |
unergiebige Treffen. | |
12 Mar 2005 | |
## AUTOREN | |
OLIVER GEHRS | |
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