| # taz.de -- Der Chefredakteur von Deutschland | |
| In der kommenden Woche erscheint eine Biografie über den Spiegel-Chef | |
| Stefan Aust, die zeigt, wie sich beim Hamburger Nachrichtenmagazin die | |
| Kritik an den Mächtigen zur eigenen Lust an der Macht gewandelt hat. Ein | |
| Vorabdruck | |
| VON OLIVER GEHRS | |
| Es gibt ein paar Dinge, die liegen Spiegel und Spiegel TV unter Stefan Aust | |
| sehr am Herzen. Zum Beispiel, ob die Landstraße B 73 zwischen Hamburg und | |
| Cuxhaven, über die Aust zu seinen Pferden kommt, durch eine Autobahn | |
| entlastet wird. Oder wie man am schnellsten von Hamburg in die | |
| Bundeshauptstadt Berlin kommen kann – eine Strecke, die Aust oft | |
| zurücklegen muss: mit dem Transrapid, mit dem Superzug Metropolitan oder | |
| mit dem ICE auf ausgebauten Gleisen? | |
| Auch eine andere Gruppe, obwohl gesellschaftlich eher irrelevant, findet | |
| sich ständig im Spiegel wieder: die Reiter. Seit seiner Kindheit ist Stefan | |
| Aust ein großer Pferdefreund. Damals durften er und seine Geschwister auf | |
| den Ponys des Stader Augenarztes reiten, und als sein Vater mal ein | |
| bisschen mehr Geld hatte, kaufte er drei Vollblutstuten, die in der Zeitung | |
| angeboten wurden. In den Siebzigerjahren fing Aust dann an, eine eigene | |
| Zucht aufzubauen. 1974 kaufte er ein braunes Stutenfohlen namens Prudenzia, | |
| später ein weiteres, das Abendluft hieß. Die genossen auch seine Freunde | |
| und Kollegen, die er gern mit in das Landhaus nach Lamstedt nahm, das er | |
| und seine Geschwister 1972 gepachtet hatten und viel später kauften. Hier | |
| konnten sie beim Ausmisten der Ställe und beim Zäuneziehen durchs Alte Land | |
| helfen. Frische Luft tut gut. Zum Dank gab es Deftiges, oft Grünkohl mit | |
| Pinkel und Kartoffeln mit Zuckerkruste. Ein Bernhardiner zum Streicheln | |
| sprang auch noch rum. | |
| In der Reiterszene ist Aust ein viel geschätzter Mann, weil die Reiter mit | |
| dem Spiegel ein wichtiges Medium an ihrer Seite wissen, das sich dem | |
| Pferdesport ausgiebiger widmet als der Rest der Massenblätter. Im Kreis | |
| anderer Pferdefreunde erzählt Aust schon mal, dass seine Sportredakteure | |
| leider nicht verstehen, wie wichtig der Reitsport ist, und stattdessen | |
| lieber Artikel über Fußball und Doping schreiben. Als er noch | |
| ausschließlich bei Spiegel TV war, bemühte er sich selbst, wenigstens | |
| einmal im Jahr etwas über Pferde zu machen, aber bei den störrischen | |
| Kollegen vom Magazin ist das nicht so einfach. Gut, dass es den Sender XXP | |
| gibt, der sogar ein eigenes Pferdemagazin im Programm hat und dessen | |
| Kamerateam selbst noch die stimmungsvollen Kutschfahrten zum Auftakt eines | |
| ländlichen Reitturniers im Bild einfängt. „Die meisten wissen gar nicht, | |
| wie viele Leute sich mit Pferden beschäftigen“, sagt Aust – beim Spiegel | |
| sind es inzwischen jede Menge. | |
| Aust weiß sogar, was diese Leute sonst noch so umtreibt, schließlich wenden | |
| die sich gern an ihn, wenn sie Probleme haben, die sich mit einem Bericht | |
| im Spiegel vielleicht lösen ließen. Unter Pferdefreunden gewissermaßen. So | |
| schreibt ihm die Frau des deutschen Olympiareiters Klaus Balkenhol, Judith | |
| Balkenhol, im Mai 2003 einen Brief („An die Redaktion Der Spiegel Herrn | |
| Stefan Aust Persönlich“), in dem sie Aust darum bittet, etwas gegen die | |
| Windkraft zu unternehmen, die den Reitern nicht nur beim Reiten in Form | |
| großer Windkrafträder im Weg steht, sondern sie auch sonst nicht zur Ruhe | |
| kommen lässt – wegen eines Phänomens, das Experten Infraschall nennen und | |
| bei dem es sich um so tiefe Töne handelt, dass sie für das menschliche Ohr | |
| nicht wahrnehmbar sind. Im Gegensatz zu Giraffen und Elefanten, die können | |
| sich damit über Kilometer hinweg verständigen. Judith Balkenhol jedenfalls | |
| weist in ihrem Brief an Aust auf die Familie Grothoff hin, die im | |
| Münsterschen ansässig ist, Pferde hat und nachts nicht mehr zur Ruhe kommt. | |
| „Wir vibrieren uns so langsam in die Matratzen rein“, sagen sie. Auch die | |
| robusten Kinder und die stämmigen Pferde seien ruhelos und unausgeschlafen. | |
| Zum Glück gibt es ja nicht nur Gerichte, die für Gerechtigkeit sorgen, und | |
| so mündet der Brief von Judith Balkenhol in der Bitte an Aust, „uns gegen | |
| die Geißel Windwahn zu unterstützen“. Als Argumentationshilfe belehrt Frau | |
| Balkenhol den Spiegel-Chef noch, dass „die Windmühlen energiepolitisch | |
| nicht relevant sind“ und durch „alle 14.000 bisher errichteten WKAs bisher | |
| kein konventionelles Kraftwerk abgeschaltet“ worden sei, weil „der Wind | |
| unstet ist“. Am Schluss heißt es: „Wir hoffen, Sie beim CHIO in Aachen zu | |
| treffen, und verbleiben …“ CHIO (Championat Hippique International) ist das | |
| größte Springreitturnier Deutschlands. | |
| Drei Monate später erscheint im Spiegel eine Geschichte unter der | |
| Überschrift „Erdbeben auf der Matratze“ zur Problematik Infraschall. Darin | |
| wird ausführlich das Leiden der Familie Grothoff gewürdigt, aber auch der | |
| Sportsfreund Balkenhol persönlich kommt zu Wort, der „eine eigenartige | |
| Spannung“ und Konzentrationsstörungen bei seinen Pferden bemerkt hat, seit | |
| sich in der Umgebung seines Reiterhofs die Rotoren drehen: „Der Schall geht | |
| in den Wald“, so Balkenhol, „und kommt von dort als Echo zurück.“ Als Be… | |
| für die Existenz von Infraschall führt der Spiegel unter anderem britische | |
| Forscher an, die als Ursache von Beklemmungsgefühlen in Spukschlössern | |
| ebenfalls Infraschall vermuten. Nur in Deutschland, so der Spiegel | |
| vorwurfsvoll, werde „als Spinner abgetan, wer über Störungen durch derlei | |
| geheimnisvolle Basstöne klagt“. So aufopfernd kümmert sich der Spiegel | |
| selten um Minderheiten. | |
| Manchmal kommt es Stefan Aust so vor, als ob die anderen Journalisten | |
| nichts vom Spiegel lernen würden. Zum Beispiel, wenn ihn Reporter besuchen | |
| und dumme Fragen stellen oder über Fehler sprechen wollen, die er angeblich | |
| mache. Dann wird er schon mal ungehalten und ist kurz davor, das Gespräch | |
| abzubrechen. Manchmal droht er auch mit dem Anwalt. Oder wenn einer kommt | |
| und ihn porträtieren will, dann schreibt er vorsichtshalber einen Brief, | |
| dass er „natürlich davon ausgehe“, „dass Sie den ohnehin geschützten | |
| Privatbereich respektieren werden“. Das klingt, als sei er nicht nur seit | |
| zehn Jahren Chefredakteur des Spiegels, sondern inzwischen Chefredakteur | |
| von Deutschland. | |
| Als Chefredakteur von Deutschland hat es Aust nicht leicht. Es ist | |
| praktisch eine politische Funktion, ein bisschen so wie die des | |
| Innenministers. Wenn er seinen alten Bekannten Otto Schily trifft, dann | |
| sind das Gespräche auf Augenhöhe. Hier der frühere RAF-Anwalt, der mit | |
| betretener Miene an Ulrike Meinhofs Grab stand und in geschliffenen | |
| Plädoyers hart mit dem Rechtsstaat ins Gericht ging. Der heute für einen | |
| starken Staat und eine restriktive Ausländerpolitik kämpft, aber dennoch | |
| nicht als gewendeter 68er gilt, weil er schon immer feine Anzüge mit Weste | |
| und eine Taschenuhr trug. An seiner Seite der streitbare Journalist, der | |
| gegen die USA, gegen Springer und gegen die Atomkraft anschrieb und der | |
| heute ein Blatt macht, das ein großes Herz für die Wirtschaftskapitäne hat | |
| und ein eher kleines für Minderheiten. Ein Journalist, der auch nicht als | |
| gewendeter Linker gelten kann, weil er zwar über Jahrzehnte links | |
| gehandelt, aber wohl nie gedacht hat. Wer daraus einen ideologischen | |
| Zusammenhang zimmert, ist selbst schuld. | |
| Es sind nicht unbedingt die großen Politiker, die Aust faszinieren, sondern | |
| die großen Unternehmer, und darunter vor allem die, die aus dem Nichts | |
| kommen. Die sich von ganz unten nach ganz oben durchgebissen haben. Die | |
| also ein bisschen so sind wie er selbst. Nur noch erfolgreicher. | |
| Es ist eine Welt der Selfmademen, der Privatflugzeuge, der großen | |
| Bürofluchten, der achtstelligen Jahresgehälter. Eine Welt, in die Stefan | |
| Aust bei allem Erfolg nicht vordringen kann, was nicht nur an ihm liegt, | |
| sondern am Spiegel und den Bremsern dort. In regelmäßigen Abständen dürfte | |
| Stefan Aust von dem unangenehmen Gefühl heimgesucht werden, dass der Posten | |
| des Spiegel-Chefredakteurs nicht alles sein kann. Dass dieser Job für einen | |
| wie ihn ein bisschen wenig ist, weil beim täglichen Ausdenken von | |
| Titelbildern ein Talent brachliegt, mit dem man es andernorts und vor allem | |
| in den USA (wohin es Aust oft zieht) zu Milliarden, mindestens aber zu | |
| einem Privatflugzeug bringen kann. Hierzulande aber steht dem Glück als ins | |
| wirklich Mächtige changierender Fernsehunternehmer das Bedenkenträgertum | |
| der anderen Spiegel-Mitarbeiter im Weg, die Aust immer dann reinreden, wenn | |
| es den Spiegel-TV-Macher zu Großtaten auf dem Fernsehmarkt drängt. | |
| Ein Dilemma für Aust, der vom Journalisten längst zum Medienunternehmer | |
| gereift ist und in seiner Funktion das „Wie es sein könnte“ ständig vor | |
| Augen hat. So muss er mit ansehen, wie sein Freund Karlheinz Kögel mit dem | |
| Billigreiseanbieter L’tur und der Einschaltquotenmessanlage Media Control | |
| so reich wird, dass er es sich leisten kann, einen völlig sinnlosen | |
| Medienpreis zu verleihen, oder wie Haim Saban, der Hauptaktionär der | |
| ProSiebenSat.1 Media AG, es mit wenigen klugen Akquisitionen vom | |
| ägyptischen Basszupfer zum milliardenschweren Medienunternehmer geschafft | |
| hat. | |
| Tatsächlich nimmt sich der Spiegel von Sabans Büro im sechsundzwanzigsten | |
| Stock eines Geschäftshauses in Beverly Hills oder vom hohen Schuldenberg | |
| Leo Kirchs aus besehen als eine eher mickrige Angelegenheit aus. Insofern | |
| trägt Austs ständige Hinwendung zu den Männern mit den unbegrenzten | |
| Möglichkeiten fast schon masochistische Züge. Die Redakteure wissen darum | |
| und nehmen auf das Faible ihres Chefs für Männer mit großer Brieftasche | |
| nobel Rücksicht. Als grobe Arbeitsmaxime gilt, dass man lieber nichts | |
| Schlechtes über Menschen schreibt, die mehr verdienen als Aust oder sogar | |
| ein eigenes Flugzeug haben. | |
| Am liebsten würde er sie wohl mal mitnehmen zu so einem echten Tycoon, | |
| damit sie alle mal sehen, wozu von Politik und Mitarbeitern ungebändigter | |
| Schaffensdrang führen kann. Mitnehmen zu einem Typen wie dem amerikanischen | |
| Medieninvestor Herbert Allen, der einmal im Jahr ein mythisches Treffen auf | |
| seinem Anwesen in Sun Valley, Idaho, veranstaltet, bei dem sich | |
| Unternehmungslustige vom Schlage eines Rupert Murdoch oder Bill Gates so | |
| nahe kommen, dass danach die Wirtschaftszeitungen ganz voll sind mit | |
| Meldungen über bahnbrechende Firmenzusammenschlüsse. Dorthin wird Aust zwar | |
| nicht eingeladen, aber er durfte Allen bei anderer Gelegenheit | |
| gegenübersitzen. Menschen, die dabei waren, erzählen, der Termin habe etwas | |
| Weihevolles gehabt. Vor allem für Aust. | |
| Obwohl er selbst im Vergleich zu den so häufig im Spiegel gewürdigten | |
| Harakiri-Unternehmern gern unter nahezu planwirtschaftlichen Bedingungen | |
| arbeitet. Eigenes Kapital musste er, abgesehen von der Pferdezucht, nie | |
| aufs Spiel setzen, was von einem Sicherheitsdenken zeugt, das womöglich mit | |
| seiner Herkunft zu tun hat. Bloß nicht nach Stade zurück! | |
| Wenn Aust der kleine König ist, dann ist Gabor Steingart sein Kronprinz. | |
| Noch vor zehn Jahren war Steingart ein Jungredakteur unter vielen, dessen | |
| besondere Forschheit im Gewimmel der Spiegel-Talente nicht weiter auffiel. | |
| Höchstens sein Gesicht, das immer noch eine Spur mokanter wirkte als das | |
| der anderen, selbst wenn es Rudolf Augstein war, dem er gegenübersaß. | |
| Richtig steil wurde der Weg, als Aust kam, unter dem sich Steingart schnell | |
| zum Ressortleiter der Wirtschaftsabteilung hochdiente. Aust schätzt an | |
| Steingart wohl nicht nur dessen Fähigkeit, in der Konferenz schlagfertig | |
| die Kollegen aus dem Feuilleton bloßzustellen, sondern auch die effiziente | |
| Arbeitsweise. So erwies sich Steingart ein ums andere Mal als Mann für die | |
| ganz harten Fälle, etwa für den, dass am Freitagmorgen die Titelgeschichte | |
| aus was für Gründen auch immer abstürzt und bis zum Redaktionsschluss am | |
| Abend Ersatz hermuss. Steingart verschwindet dann in sein Zimmer und kommt | |
| pünktlich mit vielen beschriebenen Seiten wieder heraus, bei deren Lektüre | |
| nur ganz geübte Leser merken, dass es sich um einen Schnellschuss handelt. | |
| Das Thema ist eigentlich egal, aber je näher es an der Wirtschaft ist, | |
| desto besser. | |
| Mit anderen Worten: Steingart ist Austs beste Kraft, weswegen er | |
| wahrscheinlich auch nicht sein Stellvertreter wurde. „Aust würde keinen | |
| selbstbewussten Mann neben sich dulden“, so sagt ein Spiegel-Hierarch, „und | |
| ein selbstbewusster Mann würde auch nicht neben ihm arbeiten wollen.“ | |
| Es gibt sogar nicht wenige, die behaupten, Steingart sei im Grunde genommen | |
| wichtiger als Aust, weil der sich aus Politik nicht so viel mache. Es | |
| heißt, Aust habe sich 1998 eine große Koalition gewünscht mit seinem | |
| Bekannten Volker Rühe als Vizekanzler. Das sage alles. | |
| Dass Steingart wer ist beim Nachrichtenmagazin, zeigt auch der häufige | |
| Abdruck seines Fotos und seines Namens. Denn zuweilen ist das, was im | |
| Spiegel steht, weniger ein Abbild der Welt als eines vom Innenleben des | |
| Blattes. Das Erste, was viele Spiegel-Redakteure in ihrem Magazin lesen, | |
| sind nicht die Texte, sondern die Autorennamen: Welcher Kollege hat viel | |
| geschrieben, welcher wenig, welcher schon lange nicht mehr, welcher auf | |
| einmal doch. So sind alle über die Hackordnung auf dem Laufenden. | |
| Am allerwichtigsten aber ist für die Redakteure die Hausmitteilung und die | |
| Frage, wessen Foto dort erscheint. Selbst altgediente Reporter können sich | |
| von Herzen freuen, wenn ihnen die Ehre zuteil wird, mit Bild im Spiegel zu | |
| erscheinen, am besten an der Seite eines Prominenten. Wenn zwei Redakteure | |
| auf dem Bild sind, kommt es darauf an, wen der Promi anschaut. So gerät | |
| schon mal ein Bild ins Blatt, auf dem ein Redakteur an der Seite von Thomas | |
| Gottschalk steht – stolz lächelnd, als wollte er den Lieben daheim | |
| signalisieren, wie weit er es gebracht hat. | |
| Die Lohnnebenkosten müssen runter, die Sozialausgaben gekappt und der | |
| Föderalismus weitgehend abgeschafft werden – das ist, kurz gesagt, | |
| Steingarts Programm, und weil das doch wieder so hartherzig klingt, hat | |
| sich Steingart für seinen Bestseller „Deutschland – Abstieg eines | |
| Superstars“ eine Metapher aus dem Tektonischen ausgesucht. Im produktiven, | |
| glühenden Inneren unserer Volkswirtschaft, so Steingart, finde derzeit eine | |
| Kernschmelze statt. Gemeint ist, dass es durch Abwanderung und Pleiten von | |
| Firmen bald zappenduster wird, obwohl ja bei Kernschmelzen ungeheure | |
| Energie frei wird. Aber Steingart ist kein Atomwissenschaftler. | |
| Normalerweise sind Kündigungen beim Spiegel selten, weil das geliehene | |
| Prestige und das gute Gehalt darüber hinwegtrösten können, dass man schon | |
| lange keinen Artikel mehr im Heft hatte. Doch seitdem Steingart der Chef im | |
| wichtigsten Spiegel-Büro ist, gehen viele freiwillig. Gleich sechs | |
| Redakteure verließen innerhalb kurzer Zeit das Haus. Manche, so heißt es, | |
| wurden regelrecht rausgemobbt, ihre Themen abgelehnt, ihre Artikel nicht | |
| gedruckt. So erging es auch dem stellvertretenden Büroleiter Ulrich | |
| Deupmann. Deupmann wechselte später zur Bild am Sonntag und kam dort bei | |
| der Affäre um Florian Gerster und dessen seltsames Gebaren in der | |
| Bundesagentur für Arbeit dem Spiegel zuvor. | |
| Weil die Fluktuation so hoch ist, führt Steingart viele | |
| Bewerbungsgespräche. Er fühlt sich dann wie ein Fußballtrainer, der für | |
| seine Mannschaft die Besten will, die auf dem Markt sind. „Wir sind der FC | |
| Bayern München“, sagt er und meint damit offensichtlich den alten FC | |
| Bayern, der noch auf die Meisterschaft abonniert war, nicht den neuen, bei | |
| dem nicht alles zusammenpasst. | |
| Das Problem aber ist, dass die besten Journalisten nicht unbedingt einem | |
| Fußballtrainer im Bewerbungsgespräch gegenübersitzen wollen. Das macht es | |
| schwierig. | |
| „Die Währung des Spiegel ist Angst“, zitiert Steingart den Reporter einer | |
| Wochenzeitung, „Angst nach innen und Angst nach außen.“ Er findet den Satz | |
| sehr treffend. Mit der Angst nach außen ist die Angst der Politiker gemeint | |
| vor den Geschichten, die der Spiegel so ausgräbt. Aber – das müsste | |
| Steingart selbst sehen: Da ist nicht mehr viel. Rudolf Scharping, Florian | |
| Gerster, Helmut Kohl, Bundesbankpräsident Ernst Welteke – da waren andere | |
| mehr oder weniger schneller, auch wenn Aust darauf beharrt, dass der | |
| Spendenskandal der CDU mit dem Panzerdeal von Karlheinz Schreiber losging, | |
| den der Spiegel als Erstes im Blatt hatte. | |
| Das mit der Angst nach innen jedoch stimmt uneingeschränkt. „Einmal im Jahr | |
| werden alle ans Fenster gerufen, dann wird eine Leiche auf den Hof | |
| geschmissen, und alle schauen, wer da liegt“, sagt ein eher unängstlicher | |
| Redakteur. | |
| Wer Aust kritisiert hat, ist gegangen, und nicht mal seine Stellvertreter, | |
| von Augstein einst mit viel Macht ausgestattet, wagen noch Widerspruch. Der | |
| eine, Martin Doerry, ist ein Intellektueller, der in einer völlig anderen | |
| Welt als Aust lebt. Eine Welt, in der man studiert, das Feuilleton liest | |
| und vor der Banalisierung des Holocausts warnt. Es ist eine Welt ohne | |
| Stallgeruch. Der andere, Joachim („Jockel“) Preuß, ist eher wie Aust. Nur | |
| dass er sich ständig zu wundern scheint, warum Aust Chef ist und nicht er | |
| selbst. Dass es so ist, auch dafür zollt er ihm wohl Respekt. | |
| Auf Kritik von außen reagiert Aust so gereizt, weil es Kritik innerhalb des | |
| Spiegels kaum noch gibt. Wenn nicht mal mehr die Spiegel-Redakteure bei ihm | |
| nachfragen, warum sollte es dann jemand dürfen, der nicht vom Spiegel | |
| kommt. So gesehen ist Aust vielleicht der Einzige, der wirklich glaubt, der | |
| Spiegel sei unabhängig. Selbst von ihm. | |
| So zerfällt das „Sturmgeschütz der Demokratie“ unter Aust in drei Lager: | |
| Die erste Gruppe klagt, dass der Spiegel unpolitisch geworden sei, | |
| herumeiere, heute dies und morgen jenes schreibe. Mal werde das Dosenpfand | |
| unterstützt, dann wieder nicht. Mal der Kanzler auf den Schild gehoben, | |
| dann wieder fallen gelassen. In der Ressortleiterkonferenz werde nur noch | |
| das besprochen, „was auf der zweiten Seite der Bild-Zeitung oben, unten und | |
| in der Mitte steht“, wie ein Redakteur aus dem Parlamentsbüro klagt. „Wir | |
| werden bei den Politikern nicht mehr ernst genommen.“ | |
| Die zweite Gruppe hält dagegen, dass der Spiegel noch nie weiter gedacht | |
| habe als die Bundeswehrführung, dass eh niemand mehr wisse, was links oder | |
| rechts bedeute. Sie freuen sich, dass nun nicht mehr nur die zuständigen | |
| Redakteure über die Politik berichten, sondern ausgezeichnete Reporter aus | |
| dem Gesellschaftsressort, die zwar weniger Hintergrundwissen haben, dafür | |
| aber besser schreiben können. Und habe nicht Hans Magnus Enzensberger schon | |
| 1957 konstatiert: „Das Blatt hat keine Position. Die Stellung, die es von | |
| Fall zu Fall zu beziehen scheint, richtet sich eher nach den Erfordernissen | |
| der Story, aus der sie zu erraten ist: als deren Pointe. Sie wird oft | |
| wenige Wochen später durch eine andere Geschichte dementiert, weil diese | |
| einen anderen ‚Aufhänger‘ verlangt.“ Aust nahm Enzensbergers Diagnose 19… | |
| noch mal ins Blatt, in eine Jubiläumsnummer zum Fünfzigsten. Für ihn war es | |
| wohl ein Lob. | |
| Die dritte Gruppe ist mit Abstand die größte. Es sind die, die gar nichts | |
| sagen. Die sich schon deshalb ganz wohl fühlen, weil das Gehalt hoch ist, | |
| reichlich Spesen gemacht werden dürfen, der Kaffee aufs Zimmer gebracht | |
| wird und es im Bekanntenkreis noch immer am besten ankommt, wenn man beim | |
| Spiegel ist. | |
| Es ist irgendetwas schief gelaufen in Austs Amtszeit: Im Spiegel selbst | |
| sind die kritischen Stimmen verstummt, er ist innen hohl. Aber drum herum | |
| werden die Kollegen plötzlich frech. Die Journalisten, aus denen er | |
| Spiegel-Leute machen sollte, sind keine mehr – dafür führen sich diejenigen | |
| wie Spiegel-Leute auf, für die er eigentlich gar nicht zuständig ist. | |
| So gesehen hat der Chefredakteur von Deutschland einen guten Job gemacht. | |
| OLIVER GEHRS, 36, Herausgeber des Magazins Dummy, hat selbst von 1999 bis | |
| 2001 unter Stefan Aust gearbeitet, als Wirtschaftsredakteur im Berliner | |
| Spiegel -Büro. Schon als taz-Medienredakteur hat er zuvor Austs Karriere | |
| verfolgt, später dann bei der Berliner Zeitung und der SZ. Für sein Buch | |
| „Der Spiegel-Komplex – wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete“ | |
| (München, Droemer/Knaur, 336 Seiten, 19,90 Euro) hat Gehrs mit Spiegel | |
| -Redakteuren und Weggefährten des Spiegel -Chefredakteurs gesprochen. Aust | |
| selbst hat Gehrs für das Buch zweimal in seinem Büro besucht, beides eher | |
| unergiebige Treffen. | |
| 12 Mar 2005 | |
| ## AUTOREN | |
| OLIVER GEHRS | |
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