# taz.de -- Der Schmetterlingsjäger | |
> EIN REGISSEUR AUS GEORGIEN In der Sowjetunion ist es Otar Iosseliani zu | |
> eng, im französischen Exil stößt er auf neue Formen der Unfreiheit – und | |
> antwortet mit heiter-melancholischen Filmen. Das Arsenal-Kino zeigt sie | |
VON HELMUT MERKER | |
Singdrossel und Marabus, Weinernte und Pastorale, Günstlinge des Mondes und | |
Jagd auf Schmetterlinge – so musikalisch leicht kommen einem die Titel | |
seiner Filme entgegengetanzt, dass nichts darauf hindeutet, wie schwer es | |
Otar Iosseliani mit seiner Arbeit gehabt hat. Er studierte zunächst am | |
Konservatorium in Tiflis, dann an der Moskauer Filmhochschule. Sein | |
wichtigster Lehrer war der 1956 verstorbene Alexander Dowschenko, sein | |
Abschlussfilm „April“ durfte nicht öffentlich gezeigt werden. So schlug er | |
sich als Matrose und Fabrikarbeiter durch, drehte dann doch 1966 seinen | |
ersten langen Spielfilm, „Die Weinernte“, und gewann damit in Cannes den | |
Preis der Filmkritik; „Pastorale“ wurde lange unterdrückt, 1976 endlich | |
vollendet und 1982 bei den Filmfestspielen Berlin ebenfalls mit dem | |
Kritikerpreis ausgezeichnet. | |
Musik und Lokalkolorit seiner Heimat bestimmen seine Filme, mit Ironie und | |
Melancholie beschreiben sie die Distanz zwischen bäuerlicher Kultur und | |
technischen Errungenschaften, zwischen ländlichem Anarchismus und | |
verordnetem Sozialismus. Junge Arbeiter, die sich gegen Funktionäre | |
verbünden, Dorfbewohner, die sich mit der bestechlichen Obrigkeit | |
arrangieren, diese georgische „Nouvelle Vague“ der aufmüpfigen Einzelgäng… | |
passte nicht ins sowjetische Bild vom Kämpfer im Kollektiv. So verließ | |
Iosseliani die Sowjetunion und emigrierte nach Frankreich. | |
Mit 50 dreht er dort „Die Günstlinge des Mondes“ (1984), zusammen mit „J… | |
auf Schmetterlinge“ (1991) und „Montag Morgen“ (2002) sind das seine drei | |
bekanntesten Filme. Er gewinnt Preise bei den Filmfestspielen in Venedig | |
und Berlin, merkt aber sofort, dass er damit nicht in einem wunderbaren | |
Reich künstlerischer Freiheit gelandet ist. Mit seinem ästhetischen Konzept | |
bereitet er dem auf Action und Effekte getrimmten Zuschauer Probleme. Das | |
gestaltet er in „Chantrapas“ (2010) auf seine Weise: gelassen, ironisch und | |
ohne Selbstmitleid. Ein junger Filmemacher flieht aus der Diktatur ins | |
gelobte Land Frankreich und leidet dort unter dem Diktat des Kassenerfolgs. | |
Das gerät bei Iosseliani nie zu einer bitteren Anklage, sondern behält | |
seinen distanzierten Blick auf die listenreichen Kämpfe im Schneideraum, | |
auf das ewige Duell zwischen Ungestüm und Trägheit, zwischen Kreativität | |
und Geschäftssinn. Und weil Iosseliani häufig mit Laiendarstellern dreht, | |
sei hier eigens auf die Besetzung hingewiesen: Pierre Étaix und Bulle Ogier | |
spielen in „Chantrapas“, in „Jardins en automne“ ist Michel Piccoli dab… | |
Einen ganz besonderen wortlosen Auftritt hat er selbst in „Jagd auf | |
Schmetterlinge“: Als Phantom in zaristischer Offiziersuniform legt er der | |
alten Schlossdame seine angerauchte Zigarette hin, sie raucht noch einmal | |
und stirbt: der letzte Zug wird zum romantischen Todeskuss. | |
In all seinen Werken bleibt Iosseliani seinen Wurzeln und seinem Stil treu. | |
Auch in Frankreich macht er georgische Filme, und es geht ihm weniger um | |
das Land als um eine Lebenshaltung. Die Sprache ist nie wichtiger als | |
Bilder, Geräusche, Musik, Bewegung, Blicke, Gesten. Aus einem Chaos von | |
unsinnigen Aktionen und Reaktionen, von schrulligen Episoden und | |
exzentrischen Querulanten inszeniert er ein kunstvolles Universum | |
„alltäglicher Belanglosigkeiten voller Poesie“, wie Andrei Tarkowski ihm | |
einmal bescheinigt hat. | |
Seinem Bruder im Geiste, Jacques Tati, setzt er in „Montag Morgen“ in der | |
Figur eines rasenden Postboten ein Denkmal. Der Protagonist ist die | |
personifizierte Eloge aufs Rauchen. Einer, der sich den modernen Zwängen | |
des Alltags entziehen will und sich am Ende achselzuckend den Verhältnissen | |
stellt. Das ist Iosselianis Haltung: Die Illusionen erfüllen sich nicht, | |
aber man darf sie nicht aufgeben. In seinem bittersten Werk, „Briganten“ | |
(1996), verbindet er trickreiche Foltermethoden mit Kamerakunststücken zu | |
einem historischen Reigen über das finstere Mittelalter, den | |
stalinistischen Terror und die postsowjetischen Wirren. Alles eher aus der | |
Sicht von Groucho Marx als von Karl Marx: Was in der Wirklichkeit traurig | |
ist, soll im Kino lustig sein. | |
Die alten Werte verschwinden, aber sie bleiben in heiter-melancholischer | |
Erinnerung. Ein langsamer Schwenk über Schmuck, Gemälde, Fotos, Stilmöbel, | |
dazu die Musik aus dem Phonographen. Ein Hoch den guten, schönen Waren. | |
Paradiese der edlen Lebensart, mit der Liebe zu Wohlklang und Müßiggang, | |
zum aristokratischen savoir vivre. Eine Jagd nach Schmetterlingen eben: das | |
kulturelle Erbe im Schatten von Abschied und Vergänglichkeit. Am Ende | |
annonciert eine Tafel, dass das Schlösschen von japanischen Investoren | |
übernommen wurde. | |
Nun ist das Gesamtwerk im Arsenal-Kino zu erleben; und eine ebenso | |
unterhaltsame Fortsetzung all dieser skurrilen Geschichten ist bei den | |
anschließenden Gesprächen der Herren Ulrich Gregor und Otar Iosseliani zu | |
erwarten. Nur kann man sich kaum vorstellen, wie das ohne Tabak und Wein | |
gehen soll. | |
■ Ab 1. März, Arsenal-Kino, Programm unter [1][www.arsenal-berlin.de] | |
1 Mar 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.arsenal-berlin.de | |
## AUTOREN | |
HELMUT MERKER | |
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