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# taz.de -- Refugium Stipendium 2025: „Ich fühlte mich dauerhaft unsicher”
> Der mexikanische Journalist Heriberto Paredes Coronel überlebte im Juli
> 2024 den Angriff eines Kartells. Durch das Refugium-Stipendium fand er
> Zuflucht in Berlin – und die Kraft, weiterzumachen.
Bild: Heriberto Paredes Coronel vom einem Stück Berliner Mauer in Brüssel
taz: In Mexiko standen Sie wegen Ihrer journalistischen Arbeit unter Druck.
Was ist passiert?
Heriberto Paredes Coronel: Am 1. Juli 2024 überlebte ich den Angriff eines
Kartells auf eine Gemeinde an der Pazifikküste von Michoacán im Westen
Mexikos. Ich arbeitete dort an einer Recherche über die Verbindungen
zwischen organisiertem Verbrechen und dem Bergbau.
taz: Was haben Sie genau recherchiert?
Paredes Coronel: Ich forsche dort seit Langem. Ich wollte Interviews
führen, Fotos machen, Material sammeln – ehrlich berichten über das, was
ich sehe. Ich fand heraus, dass das Cártel Jalisco Nueva Generación mit
einem Bergbauunternehmen namens Ternium zusammenarbeitet. Das Unternehmen
will sein Territorium erweitern, um mehr Eisen abzubauen, und profitiert
dabei von den Angriffen auf Gemeinden, die sich gegen den Bergbau wehren.
Viele Landverteidiger und Anwälte sind verschwunden oder wurden getötet.
taz: Wie verlief der Angriff?
Paredes Coronel: Gegen drei Uhr nachmittags sprach ich gerade mit einem
Verantwortlichen für die Sicherheit der Gemeinde, als wir plötzlich Schüsse
hörten – aus Kriegswaffen wie 50-Millimeter-Gewehren. Wir versteckten uns,
hörten dann das Summen einer Drohne. Jemand sagte: „Sie werden uns
bombardieren." Kurz darauf fielen mehrere handgefertigte Bomben, vielleicht
sechs oder sieben. Wir mussten rund 15 Stunden im Versteck bleiben, bis die
Gemeinde den Angriff abwehren konnte.
taz: Was hat das mit Ihnen gemacht?
Paredes Coronel: Ich fühlte mich dauerhaft unsicher. Ich schlief kaum,
entwickelte Symptome von posttraumatischem Stress. In sozialen Medien und
auf WhatsApp erhielt ich Drohungen – man nannte mich einen
„Narco-Journalisten", der angeblich die Gegner des Kartells verteidigte.
taz: Hat Ihnen das Refugium-Stipendium geholfen, die traumatischen
Erfahrungen zu verarbeiten?
Paredes Coronel: Auf jeden Fall. Es ist enorm wichtig, einen Ort der
Zuflucht zu haben, an dem Journalist:innen sich erholen können – schlafen,
essen, Sport treiben, lesen oder ins Kino gehen. Dinge, die eigentlich
selbstverständlich sind. In der ersten Zeit habe ich vor allem versucht,
einen anderen Rhythmus zu finden. Ich konnte einfach mal durchatmen. Das
hat mir sehr geholfen – auch gesundheitlich. Ich habe besser geschlafen,
besser gegessen, mich einfach besser gefühlt.
taz: Was war für Sie das Wertvollste an dem Stipendium?
Paredes Coronel: Zeit zu haben – ohne die ständige Angst, dass eine
kriminelle Organisation mir etwas antun will. Dieses Gefühl von Freiheit
war das Wertvollste. Außerdem habe ich viele Menschen unterschiedlicher
Nationalitäten getroffen und viel darüber gelernt, wie Journalist:innen in
anderen Ländern arbeiten. Der Austausch hilft, neue Perspektiven zu
entwickeln. Journalismus ist ein ständiger Lernprozess.
taz: Haben Sie auch journalistisch gearbeitet?
Paredes Coronel: Ich habe auch an meinem Buch weitergeschrieben, Interviews
geführt und mehrere größere Texte fertiggestellt. In Mexiko ist das kaum
möglich. Der Arbeitsrhythmus, aber auch die ständige Unsicherheit machen es
schwer, sich zu konzentrieren. Wenn man bedroht wird, kreisen die Gedanken
ständig um Sicherheit, Schutzmaßnahmen, Familie – das erzeugt enormen
Stress.
taz: Wie geht es für Sie weiter, wenn Sie nach Mexiko zurückkehren?
Paredes Coronel: Mexiko ist stark von offiziellen und konservativen Medien
geprägt, während unabhängige Stimmen ums Überleben kämpfen. Ich bin derzeit
Redakteur bei einem neuen Medium namens Ceiba. Es ist ein tolles Projekt,
aber wir haben nur ausreichend finanzielle Mittel für ein Jahr. Dennoch
hoffen wir, nachhaltige Strukturen aufbauen zu können. Ich mag es nicht, in
Mexiko-Stadt oder in Co-Working-Spaces zu sitzen. Ich will vor Ort sein, wo
etwas passiert, mit den Menschen reden und von ihnen lernen. Und so
arbeiten wir mit einer Haltung, die den Betroffenen dient.
28 Oct 2025
## AUTOREN
Moritz Martin
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