| # taz.de -- „Pornos sind nicht per se unfeministisch“ | |
| > Die Pornoindustrie steckt voller Widersprüche und komplexer | |
| > Herausforderungen. Ein Gespräch mit Branchenexpertin, Autorin und | |
| > Pornohistorikerin Noelle Perdue | |
| Interview Gabrielle Meton | |
| Noelle Perdue arbeitete rund zehn Jahre lang in allen Bereichen der | |
| Pornofilmproduktion. Anlässlich ihres Vortrags beim Adult Industry Open | |
| Forum im Rahmen des Pornfilmfestivals Berlin sprach die Kanadierin mit der | |
| taz über das feministische Potenzial der Branche, ihre Entwicklung und ihre | |
| Grenzen. | |
| taz: Wann kann man überhaupt vom feministischen Pornofilm sprechen? Was | |
| zeichnet ihn aus? | |
| Noelle Perdue: In einer Definition des Feminismus, die stark in | |
| Klassenbewusstsein und Arbeitsrechten verwurzelt ist, ist feministische | |
| Pornografie ein Arbeitsprodukt, bei dem alle Beteiligten sich wohlfühlen | |
| und stolz auf das sind, was sie produzieren. Eine Szene kann ästhetisch | |
| sehr vielfältig sein. Wenn die Darsteller:innen am Set jedoch nicht gut | |
| behandelt wurden, ist die Produktion nicht feministisch. | |
| taz: In einem Ihrer Newsletter äußern Sie Kritik an ethischer Pornografie | |
| und sprechen über die „Pick-Me“-Mentalität in der Erotikindustrie, also | |
| einem aufmerksamkeitsorientierten Anpassungsverhalten. Was stört Sie an | |
| feministischem Porno? | |
| Perdue: Ich bin keine Freundin davon, Pornografie nach Geschlecht zu | |
| gendern. Etwas als „feministischen Porno“ zu bezeichnen, impliziert, dass | |
| andere Pornografie nicht feministisch ist. Aber Pornografie ist nicht per | |
| se nicht feministisch. Alle Pornos könnten für alle sein. Der Großteil der | |
| Mainstream-Pornografie wird jedoch aus einer männlichen Perspektive | |
| produziert und viele Frauen, die Mainstream-Inhalte konsumieren und dafür | |
| nicht bezahlen, sehen sich darin nicht unbedingt repräsentiert. Es gab | |
| schon immer Vielfalt in der Pornografie, aber wenn man die nicht gezielt | |
| sucht, mangelt es auf diesen Aggregator-Websites an Vielfalt. | |
| taz: Wie hat sich das Verhältnis von Frauen zur Pornografie im Laufe der | |
| Zeit verändert? | |
| Perdue: Frauen haben schon immer Pornografie konsumiert und tun dies auch | |
| heute noch. In den letzten fünf bis zehn Jahren ist die Nachfrage nach | |
| vielfältiger Pornografie sowie nach Pornografie, die sich ausdrücklich an | |
| ein weibliches Publikum richtet, gestiegen. Wir befinden uns in einer | |
| beispiellosen Zeit, in der Frauen offen dafür sind, für Pornografie zu | |
| bezahlen, und offen über ihren Konsum sprechen. Daher gibt es mehr Studios | |
| und Darsteller:innen, die es sich leisten können, Inhalte für ein explizit | |
| weibliches Publikum zu produzieren. | |
| taz: Wie lassen sich bei diesem stark gewinnorientierten Ansatz, die | |
| Risiken von unethischem Verhalten oder Pinkwashing, also dem Hervorheben | |
| von feministischen oder inklusiven Inhalten, um von problematischen | |
| Praktiken abzulenken, vermeiden? | |
| Perdue: Pornos für Frauen werden vorwiegend als Marketingstrategie und | |
| Schlagwort verwendet. Doch es handelt sich um eine Frage des | |
| Klassenbewusstseins und nicht der ästhetischen Praxis. Diese Art von | |
| Pinkwashing hat in den letzten zehn Jahren das Interesse großer | |
| Mainstream-Produktionen in der Erotikindustrie geweckt. Um die | |
| Authentizität der Ethik eines Studios zu beurteilen, sollte man überprüfen, | |
| ob es einen Ethikstandard gibt, in dem die eigenen ethischen Grundsätze und | |
| deren Umsetzung in den Produktionen erläutert werden. Der beste Weg, um | |
| repräsentativere Pornografie zu sehen, ist, sich tatsächlich mit der | |
| Branche auseinanderzusetzen. | |
| taz: Wie hat sich die Pornofilmindustrie in ihren Praktiken verändert? | |
| Perdue: Die Pornoindustrie ist Vorreiterin bei der Festlegung ethischer | |
| Standards. Intimitätskoordination beispielsweise hat ihren Ursprung auf | |
| Pornosets und wird in der Branche seit mindestens zehn Jahren praktiziert, | |
| während sie erst jetzt von Mainstream-Filmen übernommen wird. Da | |
| Pornografie in den letzten 20 Jahren eine pädagogische Rolle in der | |
| Sexualaufklärung übernommen hat, versuchen Studios und Darsteller:innen | |
| viel mehr Inhalte hinter den Kulissen zu veröffentlichen. Insbesondere im | |
| Hinblick auf Gespräche über Einwilligung ist die Pornoindustrie wirklich | |
| der Goldstandard. Viele Studios führen vor und nach Dreharbeiten | |
| ausführliche Gespräche über Einwilligung und erstellen Ja- und Nein-Listen, | |
| um sicherzustellen, dass alle Darsteller:innen auf dem gleichen Stand | |
| sind. | |
| taz: Doch das Bild der Frau bleibt in der Pornoproduktion auf sehr | |
| begrenzte Rollen beschränkt. Wie hat sich das Verhältnis der Pornografie | |
| zur Darstellung von Frauen entwickelt? | |
| Perdue: Es gibt berechtigte Kritik an der Erotikindustrie. Vieles davon ist | |
| jedoch eigentlich eine umfassendere Kritik daran, wie die Gesellschaft mit | |
| Frauen umgeht, und sollte auch so betrachtet werden. Pornografie fungiert | |
| als Spiegelbild. Es ist viel sinnvoller, darüber nachzudenken, wie dies in | |
| unserem Umgang miteinander und in der Politik der menschlichen Sexualität | |
| tatsächlich verwurzelt ist, anstatt es als reines Pornografieproblem zu | |
| betrachten. Wenn Menschen also diese Kritik äußern, würde ich mir wünschen, | |
| dass sie noch einen Schritt weitergehen und analysieren, wie dies ein | |
| Spiegelbild dessen ist, was in größerem Maßstab geschieht. | |
| 23 Oct 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabrielle Meton | |
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