| # taz.de -- Leiden an der eigenen Dominanz | |
| > Der FC Bayern trumpft im Duell gegen Borussia Dortmund zuerst | |
| > erschreckend überlegen auf und verliert dann die Kontrolle. Letztere | |
| > Erfahrung ist auch für die Münchner für etwas gut | |
| Aus MünchenDaniel Theweleit | |
| Joshua Kimmich kennt sich ganz gut aus mit den Mechaniken des Erfolges im | |
| Fußball, hat große Titel als Spieler des FC Bayern gewonnen und auch schon | |
| schwere Niederlagen erlitten. Er hat verstanden, dass es keineswegs immer | |
| nur um den nächsten möglichst souveränen Sieg geht. Und so war er am | |
| Samstagabend geradezu froh über eine Art Leistungseinbruch seines Teams, | |
| der beinahe noch zu den ersten Punktverlusten der laufenden Saison geführt | |
| hätte. „Man hat gemerkt: Wenn es Widerstände gibt, dann hauen wir uns da | |
| rein und halten dagegen“, sagte der Münchner Kapitän, als es nach dem | |
| 2:1-Sieg gegen den BVB um den Ertrag der Partie ging. | |
| In der zweiten Halbzeit war Borussia Dortmund überlegen gewesen, was | |
| Kimmich als kostbaren Lernimpuls verbuchte. Solche Erlebnisse sind nämlich | |
| selten geworden für die Alleinherrscher aus München. Sportler brauchen | |
| starke Gegner, um sich zu entwickeln, um resilient zu werden, um die | |
| eigenen Grenzen zu weiten. Dass die Bundesliga ein Problem mit der totalen | |
| Überlegenheit des FC Bayern hat, ist kein neuer Gedanke, dass auch die | |
| Münchner zunehmend unter ihrer Dominanz leiden, ist ein weniger beachtetes | |
| Phänomen. Denn angesichts der vielen schwachen Gegner im bisherigen | |
| Saisonverlauf ist weiterhin recht unklar, wie stark diese Münchner wirklich | |
| sind. | |
| Die erste Halbzeit sei „fast perfekt“ gewesen, sagte Trainer Vincent | |
| Kompany, „sehr dominant“, was nicht zuletzt an den 45 Minuten lang | |
| erschreckend schwachen Dortmundern lag. „Wir waren sehr unsauber mit dem | |
| Ball, wir haben keinen Zweikampf geführt“, sagte Nico Schlotterbeck über | |
| die erste Hälfte. „Wir haben uns versteckt, und dann spielen die dich her.“ | |
| Menschen, die auf ein spannendes Titelrennen hoffen, mussten schockiert | |
| sein, da der zweitbeste deutsche Klub der vergangenen acht Monate agierte | |
| wie ein Abstiegskandidat: extrem defensiv eingestellt, ängstlich, ohne | |
| offensive Ambitionen. | |
| Aber die Bayern hatten es versäumt, mehr aus ihrer Überlegenheit zu machen. | |
| Die Torschussbilanz lautete zur Pause 10:0, der BVB hatte nur 18 Prozent | |
| Ballbesitz, vermutlich saßen die Chefs der Deutschen Fußball-Liga (DFL) vor | |
| ihrem einseitigen Premium-Event und fragten sich: Was können wir tun? | |
| Gewiss hat in der Halbzeit niemand bei den Trainern in der Kabine | |
| angerufen, um darauf hinzuweisen, dass ein abermaliges 6:0 der Besten gegen | |
| die Zweitbesten dem Produkt schaden würde. Aber die Teams verhielten sich | |
| genau so. | |
| Nach der Pause war der BVB nicht nur nach Einschätzung von Dortmunds | |
| Torhüter Gregor Kobel plötzlich „das bessere Team“, das etliche Chancen | |
| hatte und auch den Anschlusstreffer schoss (Julian Brandt, 84.). Aber, und | |
| das ist selbst in so einem kippenden Spiel der entscheidende Unterschied: | |
| Der BVB spielt mit einer Offensive, die sich unter Kovac noch nicht | |
| gefunden hat. Brandt ist meist nur Auswechselspieler, Karim Adeyemi hat | |
| zwar Tempo und einen starken linken Fuß, ist aber fußballerisch berechenbar | |
| und launisch in seinem Wesen. Maximilian Beier hat technische Schwächen und | |
| Zugang Fabio Silva ist noch nicht richtig angekommen, während die Bayern | |
| den derzeit womöglich besten Stürmer der Welt auf dem Rasen haben. | |
| Mit dieser Geschichte können sich die Marketingleute der DFL trösten: Kane | |
| erzielt nicht nur permanent Tore wie das 1:0 gegen den BVB (22.), er ist | |
| auch dabei, sein schon lange sichtbares Talent als Defensivarbeiter und | |
| Spielgestalter zu entfalten. „So tief habe ich wahrscheinlich noch nie | |
| gespielt“, sagte er, nachdem er sich in Zweikämpfe am eigenen Strafraum | |
| geworfen und Michael Olises 2:0 mit einem spektakulären Diagonalball aus | |
| der eigenen Hälfte eingeleitet hatte (78.). „Es ging um viel – vor allem um | |
| das Momentum“, sagte Kane, der weiß, dass Phasen der totalen Dominanz im | |
| Fußball jäh zu Ende gehen können. Die an diesem Abend erfolgte Verwandlung | |
| von einer auf allen Ebenen überlegenen Mannschaft in ein Team, das | |
| plötzlich die Kontrolle verlor, ist ein gutes Warnsignal. Absurd fand Kane | |
| unterdessen die Debatte über seinen Treffer zum 1:0. Der Stürmer hatte nach | |
| einer Ecke seinen Gegenspieler Serhou Guirassy leicht mit beiden Händen | |
| geschubst. Kane sagte: „Ein Tor ist ein Tor – und dann geht’s weiter.“ … | |
| inzwischen schon sieben Punkten Vorsprung auf den Rivalen aus dem Revier. | |
| 20 Oct 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Theweleit | |
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