Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Um die Wette schwäbeln
> Auf großer Tour mit Cem Özdemir. Dabei hat der Wahlkampf zur Landtagswahl
> 2026 noch gar nicht begonnen
Bild: Das mit dem Ö hat er wohl von Grönemeyer: Cem Özdemir, Mensch
Aus Kirchheim Benno Stieber
Nein, das ist noch kein Wahlkampf, das ist nur die Sommertour. Cem Özdemir
eilt durchs Land und besucht an einem sonnigen Spätsommertag im September
die Freiwillige Feuerwehr Kirchheim unter Teck. Ein Ort im breiten
Speckgürtel von Stuttgart. Özdemir, aus bekannten Sicherheitsgründen
bereits jetzt von einer ministerpräsidentenhaften Entourage aus
Personenschützern begleitet, schüttelt Feuerwehrmänner-Hände.
Andreas Schwarz, der hochgewachsene Fraktionschef und Landkreisabgeordneter
der Grünen, ist natürlich mit dabei. Er hat bei der freiwilligen Feuerwehr
Kirchheim seinen Dienst geleistet. Die Botschaft dieses Termins:
Bodenständig sind die Grünen hier, sie kommen aus der Mitte der
Gesellschaft, nicht aus einer links-grünen City-Bubble.
Der Stadtbrandmeister, offenbar bei Markus Lanz geschult, hat ein paar
Fragen auf Karteikarten geschrieben. Warum die CDU trotz der Regierungszeit
von Kretschmann nun vor den Grünen liege, will er wissen. Aber auch, was
der Kandidat gegen die Angriffe auf Rettungskräfte zu tun gedenke. Neben
möglichen Gesetzesverschärfungen kommt Özdemir auf ein zentrales Thema, das
den Wahlkampf prägen könnte. In der Gesellschaft sei etwas verrutscht, sagt
Özdemir und appelliert auch an seine eigene Zunft: „Wie wir als Politiker
reden, wirkt sich das auf das Klima in der Gesellschaft aus.“
Die Sommertouren in den späten südwestdeutschen Sommerferien sind
eigentlich ein jährliches Ritual. Ein dreiviertel Jahr vor der Landtagswahl
können sich Unternehmen, Ehrenamtliche und Sozialeinrichtungen dieses Mal
kaum vor Besuchen von Landespolitikern retten. Özdemir tourt, der zweite
starke Mann bei den Grünen, Finanzminister Danyal Bayaz, auch. Der
CDU-Kandidat Manuel Hagel tourt unter dem Label „Land, Leute, Hagel“, und
die Opposition tourt natürlich auch. Und wenn man die Kontrahenten
beobachtet, zeichnen sich zwei Trends für den Wahlkampf ab. Zum einen
werden den Wählern am Ende des Wahlkampfs womöglich Spätzle aus den Ohren
kommen, weil Hagel und Özdemir so gnadenlos um die Wette schwäbeln. Und zum
anderen wird es wohl ein Wettkampf der achtsamen Worte und verbindenden
Gesten, womit sich der grüne Kandidat offenbar etwas leichter tut als der
CDU-Kandidat.
Denn während Cem Özdemir später am Abend auf dem „Platz der kleinen
Freiheit“ in Kirchheim von seinen Anhängern warmen Applaus für seinen
versöhnlichen Ton bekommt, jubeln die CDU-Anhänger bei Manuel Hagel am
lautesten, wenn der gegen Vegetarier, Verbrenner-Aus und die linksgrüne
Verbotskultur austeilt. Nach bald 15 Jahren ohne eigenen
Ministerpräsidenten und zwei Perioden als Juniorpartner der
Kretschmann-Grünen sitzt die Demütigung der einstigen
Baden-Württemberg-Partei offenbar tief.
Deshalb dosiert Özdemir seine Attacken. Wenn es doch mal gegen den
politischen Gegner und Koalitionspartner geht, versucht er, präzise zu
sein. Wo Hagel ganz allgemein gegen grüne Verbotsmentalität wettert, nimmt
sich Özdemir gezieltes Vorgehen der CDU vor. Der amtierende
baden-württembergische Landwirtschaftsminister verschleppe das von Özdemir
als Bundeslandwirtschaftsminister eingesetzte Tierwohllabel ganz gezielt
auf die Zeit nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg, empört sich der
grüne Kandidat. Und das, obwohl es eigentlich eine CDU-Idee gewesen sei.
Diese Politik, die nicht nach guten Lösungen fragt, sondern danach, auf
wessen Konto ein Gesetz einzahlt, die wolle er beenden, ruft Özdemir.
Der grüne Routinier betont zwar, er wolle nicht viele Versprechen machen,
Bundeskanzler Merz und die Schuldenbremse seien ihm da eine Warnung. Aber
eins verspricht er in Kirchheim dann doch. Er wolle sein Wahlkampf-Programm
nicht im Elfenbeinturm schreiben, sondern aus all den Wortmeldungen und
Erfahrungen zusammensetzen, die er bei seinen Reisen durchs Land von den
Bürgern so zugetragen bekomme. Klingt ein bisschen nach softem Populismus,
man darf gespannt sein, wie das funktioniert.
Özdemir setzt im Vorwahlkampf, wie Kretschmann, bewusst konservative
Schlaglichter, etwa wenn er sich mit Kritik an Vermögensteuerplänen bewusst
von seiner Bundespartei abgrenzt. Die ist stark mit sich beschäftigt. Ob
die Selbstfindungsphase als Oppositionspartei bis zur Landtagswahl in
Baden-Württemberg abgeschlossen ist, ist unsicher. Und so kann Rückenwind
aus Berlin eigentlich nur kommen, wenn die Merz-Regierung schwächelt. Was
sich Özdemir ausdrücklich nicht wünscht. Denn das zahle nur auf die AfD
ein, die in Baden-Württemberg derzeit stabil um die 19 Prozent liegt.
Die Sommertouren der Spitzenkandidaten finden ihr Publikum neben den 300
Kirchheimern derweil vor allem auf Instagram. Özdemir steigt bei der
Feuerwehr in Kirchheim vor allem für das eigene Multimediateam in den
Rettungskorb und lässt sich auf über 30 Meter in die Höhe leiern. Der
ehemalige Bundespolitiker Özdemir hat auf Instagram fast 150.000 Follower,
der CDU-Kandidat Hagel knapp 15.000.
Doch das spiegelt nicht die Umfragen wider. Die CDU liegt derzeit stabil
bei über 30 Prozent, die Grünen knapp bei 20. Es ist also eine Aufholjagd
des bekannten Routiniers gegen den Unbekannten, der vorn liegt. Aber
offiziell hat der Wahlkampf noch gar nicht begonnen. Bisher ist ja nur
Sommertour.
11 Sep 2025
## AUTOREN
Benno Stieber
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.