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# taz.de -- Politologe über Aufreger Klimaschutz: Die ewige Leerstelle der Kli…
> Die zentrale Frage wird stets ausgeklammert: Wie gewinnt man
> gesellschaftliche und politische Mehrheiten für die gebotenen
> klimapolitischen Maßnahmen? Über Bücher, die noch geschrieben werden
> müssen.
Bild: Wie können effektiv Mehrheiten für die ökologische Transformation gefu…
[1][taz FUTURZWEI] | An wissenschaftlichen Warnungen gibt es keinen Mangel.
Im Jahr 1972 wurden bekanntlich bereits Die Grenzen des Wachstums des Club
of Rome veröffentlicht. 1996 erschien die erste Studie Zukunftsfähiges
Deutschland und prägte entscheidend den Nachhaltigkeitsdiskurs.
Seitdem sind unzählige Studien, Strategien und Szenarien zur Energiewende,
Nachhaltigkeit, sozialökologischen Transformation, zu [2][Green Growth] und
[3][Degrowth] erschienen. Und immer bleibt die Frage: Warum tut die Politik
so wenig?
Das gilt auch für KlimaGerecht. Das Buch sollte lesen, wer ein Update der
jüngsten Publikationen zu Klimagerechtigkeit, Wachstumskritik und
Suffizienz-Ansätzen in der Politik braucht.
Es geht um die gewaltige Herausforderung einer gerechten sozialökologischen
Transformation. Und hier kommt die Trigger-Warnung: Die zentrale Frage, wie
gesellschaftliche und politische Mehrheiten für all die gebotenen Maßnahmen
gewonnen werden können, wird auch hier nicht beantwortet.
Dafür wird ausführlich die bisherige Politik analysiert und kritisiert,
dass diese eben nicht konsequent Klimaschutz mit der Bekämpfung von
Ungleichheit national und international verbunden habe.
## Ohne sozialen Ausgleich kein Klimaschutz
Wichtigster erster Leitsatz: ohne mehr sozialen Ausgleich kein
erfolgreicher Klimaschutz und keine Akzeptanz. Deshalb sollte jede Maßnahme
erst einem Sozial-Check unterworfen werden. Das ist zwar keine neue, aber
immerhin praktische Empfehlung.
Es ist klar, dass dies nicht mit einem Zusatz in der Geschäftsordnung der
[4][Bundesregierung] und besserer Gesetzesfolgenabschätzung zu schaffen
ist, sondern eher mit einer Änderung der politischen Prioritäten von
Regierungsparteien. Aber wie?
Der zweite Leitsatz lautet: Suffizienz muss endlich eine Kernstrategie von
Klimapolitik und Dekarbonisierung werden. Platt gesagt: weniger Autos,
weniger Fleisch, weniger Wohnraum, weniger Flugreisen, weniger materieller
Konsum. Auch nicht wirklich neu, da die Freunde des „Weniger“ sich seit
Jahren an den Green-Growth-Strategien abarbeiten, also an „grünem“
Wachstum.
Erfrischend ist, dass kein „Wir“ angesprochen wird. Es gehe nicht darum,
dass „wir den Gürtel enger schnallen“ müssten, sondern die Ansage
„Maßhalten, Änderung von Konsumverhalten und Lebensstil“ richte sich
insbesondere an jene Wohlhabenden (national und international), die heute
überproportional fossil konsumieren und wirtschaften.
Suffizienz bedeute in diesem Sinne auch „mehr“ für Menschen im [5][Globalen
Süden]. Und in Deutschland: dass Menschen mit wenig Einkommen mobil sind,
sich eine Wohnung leisten können (plus Heizung) und eine solide
Gesundheitsversorgung.
## Angewandte Politikberatung empfiehlt Umverteilung
Peter Hennicke spricht in einem Interview auch von einer
„Verteilungswende“, was nichts anderes heißt als [6][Umverteilung]. Das ist
auch deshalb interessant, weil die Autorïnnen nicht aus der theoretischen,
linken Ecke kommen, sondern aus der angewandten Politikberatung.
Hennicke war beispielsweise viele Jahre Präsident des Wuppertal Instituts,
ist Mitglied des Club of Rome und verschiedener Enquete-Kommissionen des
Bundestages. Und doch besprechen diese praxisorientierten
Wissenschaftlerïnnen nationale Reichensteuern oder eine globale
Milliardärssteuer, die im Moment politisch kaum durchsetzbar, aber eben
wissenschaftlich geboten erscheinen. [7][Klimagerechtigkeit] folgt in
diesem Sinne dem Verursacherprinzip: mit den Steuern der Hauptverursacher
sollen finanzielle Spielräume für gerechte Klimapolitik geschaffen werden.
Auch dies ist natürlich nicht neu, sondern damit gehören die Autorïnnen
eben zu jenen, die nicht davon überzeugt sind, dass eine lediglich auf
Green Growth gestützte Strategie (wie der Green Deal der EU) ausreichen
wird, also ein grünes Wachstum im Rahmen des bisherigen Wirtschafts- und
Steuersystems.
## Gute Zusammenfassung des gegenwärtigen Diskurses
In diesem Sinne bietet das Buch gute Zusammenfassungen aktueller
Publikationen vom Postwachstum zum ökologischen Sozialismus, der
Wohlergehensgesellschaft, der solidarischen Lebensweise, von der imperialen
Lebensweise bis zu Kohei Saitos „Degrowth Communism“. Meistens weit weg von
heutiger Realpolitik.
Spannender mit Blick auf praktische Politik sind da Verweise auf neue
Szenarien, beispielsweise auf die Studie CLEVER (2023). Das ist das erste
Klimaschutzszenario für europäische Staaten, dass neben den bekannten
technischen Lösungen auch konkrete Suffizienzpolitik und den Abbau von
Ungleichheiten vorschlägt.
Nahezu alle bisherigen Klimaschutzszenarien für Deutschland haben dies eben
nicht getan, vermutlich weil sie im politischen Raum bis heute tabu sind.
Beispiele: Die von interessierter Seite befeuerten Diskussionen zu
Heizungskeller und Fleischkonsum führten in Deutschland bekanntermaßen zu
heftigen medialen und gesellschaftlichen Reaktionen.
## „Die Autorïnnen haben das wichtigste Kapitel leider nicht geschrieben.
Wie kann es zu gesellschaftlichen und dann zu politischen Mehrheiten einer
solchen klimagerechten Suffizienzpolitik kommen?“
Und auch zu einer ungekannten Form politischer Denunzierung, siehe Markus
Söder. Der würde beim Kapitel zum „transformativen Politikmix 2.0“ seine
Freude haben. Da handelt es sich um eine Sammlung altbekannter Forderungen
aus einer Perspektive, die als die „grüner und linker Spinner“ denunziert
wird.
## Politikmix aus Triggerthemen
Das reicht von der Abschaffung umweltschädlicher Subventionen (Dienstwagen,
Diesel) bis zur Vermögens- und Erbschaftsteuer. Für Wohnen, Verkehr,
Industrie und Landwirtschaft werden politisch höchst sensible Instrumente
aufgelistet: ein Moratorium zum Flughafenausbau, zwei bis drei
[8][Veggie-Days] in Kantinen pro Woche, Tempolimit, Ausstieg aus der
Subvention der stofflichen Nutzung fossiler Energien et cetera.
Wer Steffen Maus Studie kennt zu den „Triggerpunkten“ der deutschen
Gesellschaft, der weiß: Diese Liste haut voll rein in gesellschaftlich
höchst umstrittenes Terrain. Deshalb ist schade: Die Autorïnnen haben das
wichtigste Kapitel leider nicht geschrieben. Wie kann es zu
gesellschaftlichen und dann zu politischen Mehrheiten einer solchen
klimagerechten Suffizienzpolitik kommen, wo doch die vorgeschlagenen
Instrumente heute toxisch sind? Wie wird aus dieser Liste der politischen
Tabus ein Parteiprogramm, mit dem man Wahlen gewinnt?
Da hilft es auch nicht, wenn die Autorïnnen von der Politik „mehr Mut“
fordern. Da scheint es naiv, auf entscheidende Impulse von
Bürgerïnnenräten, Energiegenossenschaften, Klimanetzwerken oder
pluralistisch zusammengesetzten Kommissionen zu setzen. Alles bekannt und
sicher wichtige Bausteine, aber eben auch sehr bescheiden.
Dazu kommt eine zentrale Schwäche: Dieses Buch wurde noch gedacht und
geschrieben in der alten Welt des frühen 21. Jahrhunderts. Jetzt kommt in
Deutschland und in der Europäischen Union zur ökologischen Krise die sehr
reale Bedrohung der Demokratie dazu, der Wirtschaft, des Rechtsstaates und
der territorialen Integrität.
Die Balten, zum Beispiel, schauen mit Sorge auf ihre Grenze, ihre Freiheit,
die Erhaltung des Friedens und ihre staatliche Unabhängigkeit. Was bedeuten
Investitionen in Milliardenhöhe in Aufrüstung für den Klimaschutz? Das
deutsche Exportmodell scheint plötzlich gefährdet. Was bedeuten
wirtschaftlicher Umbruch und Unsicherheit? Wie geht sozialökologische
Transformation, plus militärische Verteidigung plus wirtschaftliche
Probleme und neue Spielregeln des Welthandels?
Dieses Buch wird dringend gebraucht. Doch es muss erst noch geschrieben
werden.
■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI
N°33 mit dem Titelthema „Wer bin ich?“ gibt es jetzt [9][im taz Shop.]
28 Jul 2025
## LINKS
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[4] /Bundesregierung/!t5009288
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[6] /Umverteilung/!t5059129
[7] /Schwerpunkt-Klimagerechtigkeit/!t5697158
[8] /Veggie-Day/!t5022728
[9] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245634
## AUTOREN
Martin Unfried
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