Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Politisch schwieriger CSD-Sommer: Wohin steuert Deutschlands queere…
> Seit den ersten CSDs wurde viel erreicht. Doch wie geht die Reise der
> queeren Bewegung weiter? Die Debatte darüber scheint schwieriger denn je.
> Eine offene Debatte, die Konflikte austrägt, könnte der Stabilität
> nützen, findet unser Autor.
Bild: Immer hübsch laut und vielfältig (auch nach innen), so könnte die quee…
[1][taz Thema] | Um meine Sprecherposition, für viele nicht überraschend,
gleich zu Anfang dieses Textes zu offenbaren: Ich bin ein, wie es oft
verächtlich heißt, alter weißer Mann und schreibe über Queeres (meist, aber
seltener werdend) in dieser Zeitung seit meinem Volontariat in den späten
achtziger Jahren.
Währenddessen habe ich jede bürgerrechtliche Action kritisch begleitet,
sowieso die für die Abschaffung des Schandparagrafen 175, und finde
außerdem, dass der Kampf (und sein Erfolg 2017) für die Ehe für alle ein
Meilenstein in der Geschichte der Bundesrepublik war.
Das, was als CSD-Saison in diesem Jahr schon im April begann und bis in den
Oktober noch reicht, habe ich mit angestiftet: nämlich 1980 in Hamburg den
ersten CSD, der damals noch nicht so hieß.
## Wir hatten Erfolg, und wie!
Homosexuelles öffentlich zu zeigen, war wichtig und auch eine Art
Identitätspolitik, weil Schwules und Lesbisches damals nur Gegenstand von
Getuschel und Anschwärzung, nicht von staatsbürgerlichem Stolz gewesen ist.
Die CSD-Saison ist inzwischen größer denn je, selbst in Kleinstädten, was
uns damals vollkommen abenteuerlich vorgekommen wäre, wird paradiert.
Wir hatten Erfolg, und wie! Das sittliche Gefüge – und die an diesem
hängenden Gesetze – sind tüchtig aufgelockert worden. Zwar sind Coming-outs
immer noch häufig Akte größter Überwindung, vor allem in den Elternhäusern,
die sich keine schwulen oder lesbischen Kinder wünschen. Auch in Schulen
oder im Job kann es schwer sein.
Gemessen aber an der Zeit vor einem halben Jahrhundert sind die
Verhältnisse so viel besser geworden, was wiederum nur Älteren bewusst sein
kann. Heute sind wir überall, bis in die kleinsten gesellschaftlichen
Verästelungen, in allen Parteien, Verbänden bis hin zu Kleingarten- oder
Sportvereinen. Gut so. Nun muss niemand mehr sich verstecken, aber kann es:
Die Homosexualität einer Person heißt ja nicht, sich „outen“ zu müssen.
## Politische Manifestation, nicht Sponsorenumzug
In diesem Jahr ist indes eine Vielzahl von Konflikten zu registrieren.
Nicht allein, dass viele Unternehmen keine Sponsorengelder mehr zahlen und
damit die Finanzierung für einen CSD schwieriger geworden ist. Das muss
keine schlechte Entwicklung sein: Ein CSD soll eine politische
Manifestation sein, kein Umzug mit Sponsorentrucks.
Unsere Paraden sind, ob direkt politisch artikuliert oder nicht, Umzüge von
queeren Menschen, die sich bei dieser Gelegenheit überhaupt trauen, sich
offen zu zeigen. Auch gibt und gab es Konflikte um die Regenbogenflagge,
die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nur einmal jährlich am 17. Mai zum
Internationalen Tag gegen Homophobie gehisst sehen will, nicht jedoch zum
CSD Berlin.
Für Aufregung sorgte auch, dass sie Bundestagsmitarbeitenden nicht
erlaubte, als Gruppe des Bundestags zum CSD zu gehen. Wobei: Der Streit
dreht sich nicht darum, ob die Mitarbeitenden überhaupt dürfen. Natürlich
können sie, aber als offizielle Delegation eben nicht.
## „Ein CSD, der nicht einmal von seinen palästinensisch Identitären
politische Queerfreundlichkeit abverlangt – das ist eine gespenstische
Entwicklung.“
Der CSD wird offiziell immer noch als politische Demo angemeldet.
Vermutlich liegt das Haar in der Suppe auch beim Geld: Wäre eine
CSD-Teilnahme Arbeitszeit? Eine Frage, die viele Mitarbeiter von
geförderten Projekten sich auch stellen – und sie bejahen, was auf ein
staatlich betreutes und finanziertes Paradieren hinausläuft, sehr dem Geist
von politischen Paraden zuwiderlaufend. Man erkennt: CSDs sind als
Organisationsgefüge kompliziert.
## Gespenstischer queerer Zoff um Nahost
Zank und Hader gab es auch jüngst beim CSD in Köln: Israelische Fahnen,
solche, die auf dem CSD in Tel Aviv, dem einzigen im Nahen Osten,
geschwenkt werden, waren verboten. Palästinensische Fahnen waren hingegen
nicht verboten. Seltsame Konstellation: Das politische Zeichen eines
queerphoben Regimes genießt Toleranz, das Land, in dem mittelmeerweit die
größten CSDs stattfinden, wird ausgegrenzt.
Klar, das wird mit der militärischen Auseinandersetzung Israels mit der
terroristischen Hamas im Gazastreifen begründet, aber ein CSD, der nicht
einmal von seinen palästinensisch Identitären politische
Queerfreundlichkeit abverlangt – das ist eine gespenstische Entwicklung.
Nicht minder steht mit dem Selbstbestimmungsgesetz als Zank-Objekt ein
weiterer Elefant im Raum. Dank dieses Gesetzes kann eine Person per
Selbsterklärung auf dem Standesamt eine Änderung des Geschlechtseintrags im
Personenstandsregister vornehmen lassen.
## Sicherheitslücken im Selbstbestimmungsgesetz
Grüne, Liberale und Sozialdemokraten feiern sich dafür, andere kritisieren
sie, auch der Autor dieser Zeilen. Denn dieses Gesetz führt auch dazu, dass
Menschen wie eine queerfeindliche neonazistische Person in Ostdeutschland
über eine Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich…
Rechtsstaat herausfordern kann.
Diese Person wird verlangen, eine Haftstrafe im Frauengefängnis absitzen zu
dürfen und verklagt Medienhäuser, wenn von ihr als „Mann“ berichtet wird.
Das finden selbst einige transaktivistische Menschen empörend, obwohl sie
das Gesetz selbst so sehr wollten. Die CDU/CSU möchte das Gesetz
evaluieren. Hoffentlich sieht dann auch die SPD, dass solche
Sicherheitslücken nicht tragbar sind.
Nicht minder muss erwogen werden, dass, wie in vielen Ländern Nordeuropas
und Großbritannien, Pubertätsblocker nicht mehr Minderjährigen verabreicht
werden. Man weiß aus der pharmakologisch-medizinischen Forschung, dass
diese Hormone Körper schädigen können und keineswegs eine harmlose
Pausetaste sind, wie transaktivistische Lobbyisten gern behaupten. Ein
öffentlicher Diskurs hierzu, wenigstens zu den Expertisen in anderen
Ländern? Fehlanzeige.
## Volle Solidarität mit Trans*personen
Strittig ist jedoch nicht: Jede Trans*person, die angegriffen wird, jede*x
nonbinäre Mensch, jede homosexuelle Person, die Opfer von Gewalt wird,
verdient nicht nur unsere Solidarität. Sondern die aller, denen etwas an
einer bunten Gesellschaft liegt.
## „Die Community und ihre Lautsprechenden appellieren unentwegt gegen die
sogenannte Spaltung der Szene an – und das trägt auch nicht gerade zur
Debatte bei.“
Insofern ist es auch irrig zu vermuten, der LGBTI*-Kampf drehe sich bitte
nur gegen die AfD, gegen rechtsradikal inspirierte Gruppen, vornehmlich in
Ostdeutschland. Es mag zutreffen, dass Rechtsextreme es besonders auf
schutzbedürftige Minderheiten abgesehen haben, aber für viele LGBTI*-Leute
sind Islamisten die naheliegendere Gefahr. Aber das soll nicht gesagt
werden, weil eine solche Aussage ja nur den rassistischen Rechten nütze.
Diese Haltung ist aber falsch: Viele geflüchtete Queers begegnen
hierzulande häufig jenen Menschen, vor denen sie sich gerettet haben – in
die Freiheitsmöglichkeiten einer offenen Gesellschaft.
## Debatte statt Streit und Spaltung
Leider gibt es nur wenige, eigentlich gar keine Foren, in denen diese
Konflikte erörtert, ausgetragen und verfriedlicht werden können: Die
Community und ihre Lautsprechenden appellieren unentwegt gegen die
sogenannte Spaltung der Szene an – und das trägt auch nicht gerade zur
Debatte bei.
Tatsächlich leben wir in den freiesten, auch queeren Verhältnissen, die es
jemals in Deutschland gab. Streit gehört aber zu demokratischen
Verhältnissen wie sonst nichts: Das ist keine Spaltungsoperation, sondern
ein Akt, der der Stabilität einer politisch-kulturellen Bewegung nützt.
„Somewhere Over the Rainbow“ war das Lied, das Motto der Stonewall-Revolte
im Juni 1969 in New York, Filmstar Judy Garland eine Ikone schwuler Männer
(gleich welcher Hautfarbe) und der Dragszene. Heute lässt sich sagen: Viel
erreicht, und es geht immer weiter. Bloß wohin?
🐾 Transparenz-Hinweis: Dieser Text ist im Rahmen eines Themen-Specials zum
Thema CSD am 19. Juli 2025 erschienen. Das Themen-Special wurde [2][durch
Anzeigenschaltungen ermöglicht] und unabhängig von der Redaktion der taz
gestaltet. Die Anzeigen-Kund:innen hatten keinen Einfluss auf die Texte und
deren Autor:innen. Die Redaktion der taz macht sich die Texte der
Themen-Specials nicht notwendigerweise zu eigen.
21 Jul 2025
## LINKS
[1] /anzeigen/taz-themen-ubersichtsseite/!v=7aa92f80-592d-4d3b-a405-01caa9eea65…
[2] /anzeigen/taz-themen-ubersichtsseite/!v=7aa92f80-592d-4d3b-a405-01caa9eea65…
## AUTOREN
Jan Feddersen
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.