# taz.de -- Refugium Stipendium 2025: „Ich saß 30 Tage im Gefängnis“ | |
> Aus Belarus, Venezuela und Mexiko kommen die verfolgten Journalist:innen, | |
> die mit dem Refugium-Stipendium in Berlin Schutz, Erholung und Vernetzung | |
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Bild: Die belarussische Journalistin Glafira Zhuk verbringt sechs Monate in Ber… | |
taz: Sie sind eine sehr junge Journalistin, und trotzdem sind Sie in die | |
Fänge der belarussischen Behörden geraten. Was ist passiert? | |
Glafira Zhuk: Mein Weg als Journalistin begann 2020. Ich war Studentin an | |
der staatlichen Journalismus-Fakultät – mit einem staatlichen Stipendium. | |
Dann begannen die Anti-Regierungs-Proteste, und ich überlegte, wie ich der | |
Bewegung helfen könnte. Ich schrieb einen winzigen Artikel für die Zeitung | |
Narodnaya Volya („Volkswille“). Ich hatte nie gedacht, dass die ihn | |
veröffentlichen würden, doch sie wollten mehr. | |
taz: Und was passierte dann? | |
Zhuk: Ich geriet in der Uni ins Blickfeld von Dozenten, es gab Krach, und | |
ich fing mir einen Tadel ein. Dann haben sie Studenten wegen ihrer Proteste | |
vor Gericht gestellt, ich ging dahin, alle standen vor dem Gebäude herum, | |
in den Gerichtssaal kam man nicht. Zwei Wochen später haben sie mich | |
festgenommen, es waren drei Männer, ich saß gerade beim Friseur, es war | |
gegen 16 Uhr. Ich saß 30 Tage im Okrestina-Gefängnis… | |
taz: … das wegen der brutalen Behandlung der Gefangenen verrufen ist … | |
Zhuk: Ich kam in eine Zweierzelle, in der 16 Frauen eingesperrt waren. Wir | |
haben auf dem Boden geschlafen, immer abwechselnd. Sie haben mich nicht | |
geschlagen, aber die Bedingungen waren Folter. Das Licht brannte Tag und | |
Nacht. | |
taz: Zum Ende der 30 Tage Haft … | |
Zhuk: … saß ich drei Tage im Karzer, es war bitterkalt. Zudem fing ich mir | |
Covid ein, ich bekam eine Tablette Paracetamol am Tag. Mein Vater hatte mir | |
Sachen gebracht, die wurden mir allerdings nicht ausgehändigt. | |
taz: Nach der Freilassung … | |
Zhuk: …musste ich überlegen: Weitermachen mit dem Risiko, wieder im | |
Gefängnis zu landen, oder das Land verlassen. Die Uni hat mich | |
rausgeworfen. Zunächst wurde ich einen Monat nach Bremen eingeladen, dann | |
zog ich nach Kyjiw. Da war das Leben billiger. Ich blieb dort vier Monate, | |
dann begann der Krieg. Ich zog nach Litauen. | |
taz: Wie halten Sie sich da über Wasser? | |
Zhuk: Ich arbeitete für Radio Free Europe für den belarussischen Service | |
und Radio Liberty. Geld gab es nicht viel, ich musste mich entscheiden: | |
Miete bezahlen oder essen. | |
taz: Was erhoffen Sie sich von dem Auszeitprogramm in Berlin? | |
Zhuk: Ich möchte mich einfach nur erholen. Außerdem will ich mein Englisch | |
verbessern, denn ich würde gerne mein Studium in Großbritannien beenden. | |
Derweil schaue ich mir Berliner Museen an, ich spreche einmal in der Woche | |
mit einem Psychologen und ich habe einen Englisch-Nachhilfelehrer. | |
taz: Werden Sie weiter als Journalistin arbeiten? | |
Zhuk: Ja, wenn es die Situation zulässt, denn die Finanzierung unabhängiger | |
belarussischer Medien ist sehr schwierig, wir verlieren unsere | |
Arbeitsplätze. | |
## „Journalismus ist wie ein Seiltanz“ | |
taz: Warum haben Sie sich für das Auszeitprogramm beworben? | |
Ronna Rísquez: Ich arbeite seit 25 Jahren in einem Land, Venezuela, in dem | |
Journalist*innen verfolgt werden. Von Pressefreiheit kann keine Rede | |
sein, es herrscht Zensur, Medien werden dichtgemacht. Journalisten | |
riskieren Haft, wenn ihre Berichte der Regierung nicht gefallen. | |
taz: Es gibt den sogenannten Hass-Paragrafen gegen kritische Berichte … | |
Rísquez: Journalismus in Venezuela ist wie ein Seiltanz. Das ist belastend, | |
vor allem für Journalistinnen wie mich, die mit Opfern von staatlicher und | |
krimineller Gewalt arbeiten. Ich war einfach müde, ich brauchte eine Pause. | |
taz: Sie haben 2023 ein Buch über eine kriminelle Bande geschrieben … | |
Rísquez: Das Buch hat einen enormen Skandal ausgelöst, bis hin zu | |
US-Präsident Donald Trump, der den Namen der Bande benutzt hat, um | |
venezolanische Einwanderer zu kriminalisieren. Aber ich sehe es als meine | |
Aufgabe an, die Wahrheit herauszufinden und darüber zu schreiben. | |
taz: Was haben Sie herausgefunden? | |
Rísquez: Ich beschreibe die Geschichte und den Charakter dieser Bande, ihre | |
Arbeitsweise. Sie entstand in einem Gefängnis, das sie bald kontrollierte | |
und in eine kleine Stadt umwandelte. Später machte sich die Gruppe auch in | |
Chile, Peru und Ecuador breit. Sie verdient ihr Geld mit Menschen- und | |
Drogenhandel, Auftragsmord, Raub, Erpressung und so weiter. Außerdem habe | |
ich allgemein über die wachsende Kriminalität in Venezuela geschrieben. | |
taz: Wie hat denn die Mafia auf Ihr Buch reagiert und wie die Regierung? | |
Rísquez: Mir wurde in sozialen Medien mit dem Tode gedroht, nicht direkt, | |
sondern über Verwandte. Ziel war vor allem mein Sohn, der damals 16 Jahre | |
alt war. Die Polizei hat ermittelt, aber bislang ohne Ergebnis. Die Quelle | |
der Drohungen bleibt bis heute unbekannt. Vor Kurzem haben mir | |
regierungsnahe Medien vorgeworfen, durch die Veröffentlichung meines Buches | |
Unruhen verursacht zu haben. | |
taz: Hat die Regierung selbst etwas unternommen? | |
Rísquez: Es gab Razzien im Gefängnis, gleichzeitig hat sie die Existenz | |
dieser Mafiagruppe abgestritten. | |
taz: Wie haben Sie die Auszeit bislang genutzt? | |
Rísquez: Sie ist Gelegenheit, in Ruhe und Sicherheit zu sein und außerdem | |
neue journalistische Arbeitsweisen kennenzulernen. Ich lade meine Batterien | |
auf. Journalismus ist schließlich ein Pfeiler der Demokratie, und die | |
müssen wir verteidigen. | |
23 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Andreas Lorenz | |
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