| # taz.de -- Der Bullshit-Wort-Check Folge 14: Disruptiv | |
| > Was taugt dieser Begriff für das Verständnis der Gegenwart? Arno Frank | |
| > testet für taz FUTURZWEI Standards des politischen Sprechens. Heute: | |
| > Disruptiv. | |
| Bild: Hauptsache es knallt: Die Rakete als Emblem der Disruption | |
| [1][taz FUTURZWEI] | Für fragwürdige Quatschbegriffe ist eine Herkunft aus | |
| dem Lateinischen so etwas wie der Anzug von Brioni. Wobei im Silicon | |
| Valley, wo die Karriere von „disruptiv“ ihren Anfang genommen hat, eher | |
| schwarze Rollkragenpullover und hochgekrempelte Ärmel getragen werden – was | |
| im Hinblick auf traditionelle Kleiderordnungen ebenfalls „disruptiv“ ist. | |
| Früher dachte man mal „radikal“ oder „out of the box“, heute denkt man | |
| „disruptiv“ – weil da der Erfolg bereits eingebaut ist. Im Sinne von | |
| „brutal, aber nötig“ ist das Wort inzwischen mit positiver Konnotation in | |
| den allgemeinen Sprachgebrauch eingesickert. | |
| Verwendet wird es für Ehescheidungen, die Verwendung neuer Gewürze, einen | |
| frischen Haarschnitt oder die Vernichtung der weltweiten | |
| Sicherheitsarchitektur. | |
| Heute ist die Zerstörung bestehender Ordnungen ein Geschäftsprinzip. | |
| So ist von einer „Low-End Disruption“ die Rede, wenn ein bestehender Markt | |
| von hinten aufgerollt wird. Eine „New-Market Disruption“ hingegen bündelt | |
| alte Bedürfnisse, weckt ungekannte Begehrlichkeiten – und schafft damit | |
| erst einen Markt für das Smartphone. | |
| Die „Killer-Applikation“, die andere Applikationen obsolet macht, heißt | |
| nicht ohne Grund „Killer-Applikation“. Widerstand gegen das Disruptive ist | |
| zwecklos. Sein Erfolg gibt ihm Recht. Vorbei ist’s mit der | |
| altkapitalistischen Gönnerhaftigkeit und mafiösen Gemütlichkeit von „Leben | |
| und leben lassen“ oder „Der Kuchen ist groß genug für alle von uns“. | |
| Innovation als evolutionäres Verständnis von Erneuerung, Schritt für | |
| Schritt, hat längst abgedankt zugunsten der Disruption, ihrer aggressiven | |
| Schwester. Sie kennt nur noch revolutionäre Umwälzung um jeden Preis. | |
| Tatsächlich ist es dieser Preis, von dem nur ungern redet, wer uns | |
| Disruption als Motor menschlichen Fortschritts verkaufen will. Hat nicht | |
| auch disruptiv gedacht, wer einst das Feuer zähmte und das Rad erfand? | |
| Eben. Trotzdem ist noch lange nicht konstruktiv, was als „disruptiv“ so | |
| erfolgreich verkauft wird. | |
| Mit der Disruption findet ein ökonomischer Darwinismus zu sich selbst. | |
| Professionelle Disruptoren wie Elon Musk, Donald Trump oder populistische | |
| Politiker sind einverstanden mit dem zu erwartenden Chaos – weil sie sich | |
| zu den Wirten zählen, die am Ende die Rechnung machen. | |
| Deshalb ist immer schon eingepreist, was Spotify für die Musikkultur, | |
| Airbnb für Wohnungsmärkte oder Tinder für die Seelen bedeutet. Endlich ist | |
| wieder hergestellt, was Thomas Hobbes in seinem Leviathan noch 1651 als zu | |
| überwindenden Naturzustand des Menschen beschrieben hat: „Krieg aller gegen | |
| alle.“ Hurra! | |
| ■ Dieser Artikel ist im März 2025 in unserem Magazin [2][taz FUTURZWEI] | |
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| 27 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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