# taz.de -- berliner szenen: Carmen im Gefieder | |
Staatsoper, 1. Rang. Direkt vor meiner Nase: ein Kunstwerk von Hut, bekrönt | |
mit einem filigranen Strauß aus Federn, die im Takt der Musik vibrieren. | |
Dahinter: Liederabend der Mezzosopranistin Elīna Garanča. Ich sehe sie | |
durch das Gefieder – keine freie Sicht, aber ein privilegierter Filter. Der | |
blassrosa Bühnenhintergrund: irgendwie kahl, steril. Bin ich hier überhaupt | |
richtig? | |
Garanča gilt als beste Carmen-Interpretin der Welt. Deshalb bin ich hier. | |
In Berlin sind gute Carmens rar – dann eben Liederabend. Auch gut. Der | |
erste Teil enttäuscht. Lettische Weisen, deutsche Romantik – akademisch | |
perfekt, aber distanziert. Weiße Bluse, glitzernder schwarzer Rock. Sie | |
schaut dezent in die Noten, beim Pianisten wird geblättert. Pflichtkür. | |
Nach der Pause: ein Pfingstrosenkleid, zarte Schleppe. Die Stimmung kippt. | |
Mit jedem Stück – erst französisch, dann russisch – wird ihre Stimme | |
reicher, samtener, duftender. Eine Hymne an Liebe, Schönheit, Leben. | |
Nach dem letzten Akkord denkt sie nicht ans Aufhören. Jetzt ist sie da – | |
und wir mit ihr. Duende, sagen die Spanier. Und der Pianist: Seine Finger | |
tänzeln, die Schlussnoten fliegen wie Luftküsse – zur Sängerin, ins | |
Publikum, ins All. Je nach Perspektive. Dann spricht sie. | |
Ihr Deutsch – so bezaubernd wie ihr Gesang. „Ich bin verrückt nach Flieder. | |
Wir haben viel im Garten in Riga.“ Ein Lied über Flieder. Der Saal blüht. | |
„Und damit ihr nicht denkt, ich könne keine Arien – ist ja schließlich ei… | |
Opernbühne hier.“ Et voilà! Die Carmen-Suite. Mit welcher Wucht! Es gibt | |
kein Halten mehr. Das Publikum tost. Die Federn vor mir flattern – jetzt | |
sind es Vögel. „Ich muss ja morgen nicht früh aufstehen. Aber ihr“, sagt | |
sie verschmitzt. Ein Kuss für den Herrn der Tasten. Abgang. | |
Die Federhutträgerin nimmt ihren Hut ab. Langes Haar, fliederduftend. | |
Irina Serdyuk | |
13 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Irina Serdyuk | |
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