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# taz.de -- Im Blutstrom mit Cate Blanchett
> „Neue Einblicke in die zeitgenössische Kunst“ will künftig alle zwei
> Jahre das Festival VRHAM! in Hamburg bieten. Auflage eins hat noch bis
> kommende Woche eine intensive, durchaus mitreißende Reise in den
> menschlichen Körper im Programm
Bild: Was passiert, wenn wir einatmen? Ansonsten Unsichtbares nahebringen will …
Von Dagmar Leischow
Rein wissenschaftlich betrachtet nehmen wir, simpel gesagt, beim Atmen
Sauerstoff aus der Luft auf und scheiden Kohlendioxid aus. Etwas weniger
wissenschaftlich, ist der Atem das Lebenselixier des Menschen, die Quelle
unseres Lebens. Wir spüren zwar, wie bei der Einatmung kühlere Luft durch
die Nase einströmt und sich der Bauchraum ausdehnt – welche Prozesse
derweil in unserem Körper abgespult werden, kriegen wir jedoch nicht mit.
Irgendwie schade, hat sich Marshmallow Laser Feast gedacht. Mit seiner
[1][immersiven Installation „Evolver“], entstanden im Jahr 2022, lädt das
britische Künstler:innenkollektiv derzeit im Hamburger Oberhafen zu
einer gut 40-minütigen Reise durch unser Inneres ein.
„Wir wollen das Unsichtbare sichtbar machen“, sagt Sarah Gamper-Marconi.
Sie leitet das Marshmallow-Laser-Feast-Studio in London, jetzt sitzt sie in
jener Halle, in der „Evolver“ bis zum 18. Juni präsentiert wird. Hier ist
es gerade überraschend ruhig, nebenan werkeln nur wenige Stunden vor der
offiziellen Eröffnung der ersten Biennale für digitale und immersive Kunst
– die Bezeichnung „VRHAM!“ [2][gibt es indes schon länger] – etliche
Mitarbeiter:innen noch mal an einigen der elf weiteren Exponate.
„Evolver“ hingegen ist schon startklar für einen Testdurchlauf. Am Anfang
steht eine Audiomeditation in einem abgedunkelten Bereich: Kopfhörer
aufsetzen, sich auf einen Sitzsack fläzen, einfach zuhören. Lauschen lässt
sich zunächst einem Regenschauer, dann der sonoren Stimme von
Schauspielerin Cate Blanchett: Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das
eigentliche Thema der Installation, die (Ein-)Atmung. Blut fließe zum
Herzen, erzählt sie, jede Zelle werde beatmet.
So weit zur Theorie. Richtig spannend wird es im zweiten Teil, wenn man
mittels Virtual-Reality-Brille quasi eintaucht in einen menschlichen Körper
und dem Weg der eingeatmeten Luft folgt. Den Soundtrack dafür haben unter
anderem der Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood sowie die US-amerikanische
Komponistin und Performance-Künstlerin Meredith Monk geschrieben. Zu ihren
stimmungsvoll-ruhigen Klängen poppen nun also blaue Sauerstoffkügelchen
auf, vereinigen sich mit dem Blut, das sich seinen Weg durch dicke Adern
und feine Kapillare bahnt. Manchmal wirbelt alles gewaltig durcheinander
bei diesem Aufeinandertreffen, wie bei einem Tornado. Einen ruhigen
Gegenpol dazu bildet die Lunge, mit ihren Verästelungen ähnelt sie
bekanntlich einem Baum. Einiges wirkt erstaunlich realistisch, anderes eher
abstrakt, alles ist intensiv, faszinierend, mitreißend.
„Wissenschaft und Kunst sollten vereinigt werden“, erläutert Sarah
Gamper-Marconi. Deshalb hat Marshmallow Laser Feast eng mit dem
[3][Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin Mevis] in Bremen kooperiert.
Sein Fokus liegt auf der Entwicklung praxistauglicher Softwaresysteme für
die bildgestützte Früherkennung von Krankheiten. Einen Einblick in die
Zusammenarbeit gewährt ein Film, der nun in Hamburg am Schluss gezeigt
wird, nach der mitreißenden VR-Experience. „Wir haben im Mevis tatsächlich
den Blutfluss einer Frau aus unserem Team scannen lassen“, verrät
Gamper-Marconi.
Für sie knüpft „Evolver“ an eine frühere Arbeit Marshmallow Laser Feasts
an, nämlich „We live in an Ocean of Air“ von 2018: „[4][Damals haben wir
uns mit dem Ausatmen beschäftigt], nun mit dem Einatmen“, sagt die
Künstlerin. Ihr und ihren Kolleg:innen sei es wichtig, dass man die
Beziehung des Menschen zur Natur erkenne: „Alles hängt zusammen, alles
fließt ineinander.“
Die Natur hat offensichtlich auch William Darrell inspiriert: Mit dem
3D-Drucker hat der britische Künstler Blumen, nein, besser: florale
Skulpturen geschaffen. Eine orange Blüte erinnert irgendwie an Audrey, die
fleischfressende Pflanze aus dem Musical „Der kleine Horrorladen“. Darrell
habe „sich gefragt, warum wir eigentlich von einem Naturphänomen so
fasziniert sind“, erläutert Liz Stumpf, Co-Kuratorin von VRHAM!. „Er sieht
eine Parallele zwischen unserer Begeisterung für Blumen und unserer
Leidenschaft für Social Media.“ Auf jeden Fall ist [5][„The Machinery of
Enchantment II“] auch ein potenzieller Instagram-Hotspot. [6][Auf der
entsprechenden Plattform ist der Künstler, klar, auch aktiv].
Enigmatischer, zumindest auf den ersten Blick, kommt Serafima Breslers
Videoinstallation „My Trees“ daher. Die in Hamburg lebende Künstlerin hat
Smartwatches in kleine Bildschirme verwandelt, Kabel verbinden sie
miteinander. Alltagsszenen treffen hier auf Katastrophendokumentationen.
„Der Großvater der Künstlerin ist beim Reaktorunfall in Tschernobyl
gestorben“, sagt Kuratorin Stumpf. „Darum hat sie hinterfragt, welche
Auswirkungen so eine Katastrophe wohl auf eine Familie hat.“ Vielleicht
deshalb erinnert die Arbeit auch an – einen Familienstammbaum.
13 Jun 2025
## LINKS
[1] https://marshmallowlaserfeast.com/project/evolver/
[2] /kritisch-gesehen/!5855116
[3] https://www.mevis.fraunhofer.de/de.html
[4] https://marshmallowlaserfeast.com/project/we-live-in-an-ocean-of-air-video-…
[5] https://www.vrham.de/en/william-darrell-the-machinery-of-enchantment-ii-202…
[6] https://www.instagram.com/williamdarrell/
## AUTOREN
Dagmar Leischow
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