# taz.de -- Flammefatale | |
Bild: Rauchen auf der Champs-Élysées – bald ist das nur noch schwarz-weiß… | |
Er schaut ihr in die Augen. „Es ist idiotisch, aber ich liebe dich“, sagt | |
Jean-Paul Belmondo in der hier abgebildeten Szene zu Jean Seberg. | |
Anschließend zündet er sich mit einer fast aufgerauchten Zigarette eine | |
neue an und die beiden schlendern über die Champs-Élysées. Die vielleicht | |
schönste Szene aus Jean-Luc Godards „Außer Atem“ aus dem Jahr 1960. Neben | |
Seberg und Belmondo spielt die Zigarette in seinem Film eine weitere | |
Hauptrolle. Denn hier wird gequalmt, als gäbe es kein Morgen mehr. Was ja | |
auch irgendwie stimmt: Sie verrät ihn an die Polizei, er wird erschossen. | |
Belmondo, Haare wie hingeworfen, Krawatte nachlässig geknotet. Jean Seberg | |
in diesem „New York Herald Tribune“-T-Shirt, lässig und stolz zugleich. Die | |
Zigarette im Mundwinkel und Paris im Hintergrund – solche Szenen wird es | |
wohl nie wieder geben, [1][obwohl bei den Filmfestspielen in Cannes Richard | |
Linklaters Film über die Dreharbeiten zu „Außer Atem“ gefeiert wurde]. Am | |
1. Juli nämlich tritt in Frankreich ein umfassendes Rauchverbot im Freien | |
in Kraft. [2][Betroffen sind Parks, Strände, Wälder, selbst öffentliche | |
Plätze.] Es ist, da kann es natürlich keine zwei Meinungen geben, ein | |
Fortschritt, gut für die Gesundheit, gut für die Umwelt. Aber trotzdem: Ein | |
kleiner Schmerz wird bleiben. | |
Rauchen war ja nie nur Laster, sondern auch Pose, vor allem in Frankreich. | |
Eine kulturelle Geste. Eine Requisite der Coolness. Wer das nicht glaubt, | |
möge sich bitte noch einmal ganz genau das Foto anschauen. Man riecht | |
förmlich den Gauloises-Qualm, gemischt mit einer Prise Existenzialismus und | |
der ungebügelten Romantik der frühen Sechziger. | |
Rauchen war ein Zeichen der Haltung. Man hielt inne, man zündete sich eine | |
an und schaute in die Luft, als finde man dort oben die Antwort auf alles. | |
In den Filmen der Nouvelle Vague war die Zigarette eine Art Satzzeichen: | |
ein Gedankenstrich zwischen zwei Küssen, ein Ausrufezeichen am Ende eines | |
Blicks. Selbst das Schweigen war Dialog, wenn währenddessen geraucht wurde. | |
Natürlich ist das schon längst Qualm von gestern. Heute stehen Raucher an | |
Bahnhöfen in quadratisch markierten Flächen wie vergessene Statisten eines | |
historischen Films. Sie gelten gemeinhin eher als bemitleidenswerte | |
Halbsüchtige, die noch nie etwas von Achtsamkeit, Self-Care oder | |
Lungenkrebs gehört haben. Und doch, machen wir uns da mal nix vor, haftet | |
der Zigarette noch immer eine merkwürdige Würde an. Sie ist die letzte | |
Geste der Unvernunft in einer überregulierten Welt. Ein Wagnis, das niemand | |
bewundert. [3][Wer heute raucht, hat entweder die Kontrolle über sein Leben | |
verloren] – oder einen Rest Stilempfinden behalten. | |
Dass all das verschwindet, ist ein kultureller Einschnitt. Niemand will | |
zurück zur qualmenden Métro, zum verrauchten Restaurant. Aber man darf | |
dennoch bedauern, was dabei verloren geht. Die Zigarette war ein | |
Widerspruch in der Hand, Lebensverneinung mit Haltung. Ein Requisit der | |
Melancholiker, der Flaneure, der Suchenden. Wer rauchte, war nicht sofort | |
verfügbar. Er war beschäftigt mit Nichts. Matthias Kalle | |
7 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Matthias Kalle | |
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