| # taz.de -- Scheine, Stuhl und Stille | |
| > Slata Roschal und Katharina Bendixen sind Autorinnen und Mütter. In ihren | |
| > aktuellen Büchern geht es ums Schreiben als Eltern – und auf der Bühne in | |
| > Lüneburg um die Notwendigkeit, ihnen durch Aufenthaltsstipendien die | |
| > Möglichkeit zu geben, in Ruhe und ohne Care-Verantwortung zu schreiben | |
| Bild: Armut zu romantisieren hilft schreibenden Eltern und vor allem Müttern n… | |
| Von Luisa Gohlke | |
| Hier in Lüneburg habe ihr Kind die ersten eigenen Schritte gemacht, erzählt | |
| Katharina Bendixen, bevor sie auf einer gemeinsamen Lesung mit der | |
| derzeitigen Heinrich-Heine-Stipendiatin Slata Roschal ihr aktuelles Buch | |
| vorstellt. Auch Bendixen war bereits für drei Monate als Stipendiatin in | |
| der Stadt, 2017. Beide Frauen verbindet nicht nur das Stipendium: Sie | |
| verarbeiten in ihren Erzählungen und Gedichten ihr Leben als Mütter und | |
| Autorinnen. Da geht es darum, dass das Kind nachts nach Mama ruft und nicht | |
| nach Papa, dass Papa einschlafen kann, wann er will, aber Mama nicht. Es | |
| geht um Dammschnitte, brütende Tiere und umweltbewusstes Sommerferienbingo. | |
| „Eigentlich wollte ich nie über das Muttersein veröffentlichen“, sagt | |
| Bendixen im Heinrich-Heine-Haus. Zu privat. Nun habe sie sich daran | |
| gewöhnt. Dieses Jahr erschien ihre „parentale Prosa“ bei Edition Nautilus: | |
| „Eine zeitgemäße Form der Liebe“ (184 S., 22 Euro, E-Book 17,99 Euro). | |
| Beide Autorinnen sind sich einig: Sie schreiben über ein politisches Thema, | |
| kein individuelles, „weil ich wagte, ein Kind zu bekommen“, sagt Roschal | |
| ironisch. Ihre Wut sei ein Motor zum Schreiben und beziehe sich vor allem | |
| auf die strukturellen Hindernisse. Das verarbeitet sie nicht nur in ihren | |
| Texten, sondern auch auf Bühnen wie dieser. Da sei zunächst der Hunger nach | |
| Romanen: Des Pragmatismus wegen und „damit ich halbwegs davon leben kann, | |
| müsste ich meine Gedichte ausdehnen und als Roman veröffentlichen“, sagt | |
| Roschal trocken. | |
| Zugleich sei es schwierig, nur von Bücherverkäufen zu leben. Preise und | |
| Stipendien füllen die Vita und den Geldbeutel. Zum Beispiel die | |
| Aufenthaltsstipendien. Autor*innen, die bereits in einem Verlag publiziert | |
| haben, können sich bewerben. Wer das Stipendium erhält, soll am jeweiligen | |
| Ort netzwerken, schreiben, lesen. Aber als Mutter? Roschal schreibt: „Die | |
| ersten zwanzig Jahre war ich zart, geduldig und still. Jetzt // mit dreißig | |
| reicht der kleinste Anlass, (…) mir eine Lesung für hundert Euro [zu | |
| bieten], und ich beginne zu keuchen, zu schäumen, strecke meine Hand nach | |
| einem Degen aus.“ Ihr Lyrikband „Ich brauche einen Waffenschein ein neues | |
| bitteres Parfüm ein Haus in dem mich keiner kennt“ erschien im März bei | |
| Wunderhorn (125 S., 24 Euro). | |
| Sowohl Bendixen als auch Roschal konnten und können ihre Kinder mit nach | |
| Lüneburg bringen, erlebten und erleben gute Bedingungen. Das sei bei | |
| vorigen Stipendien an anderen Orten schlimmer gewesen, erzählen sie: Für | |
| Bendixen gab es mal weder Tisch noch Stuhl, Roschal hatte Kakerlaken als | |
| Gesellschaft. Dazwischen habe es viele Grautöne gegeben, etwa Diskussionen | |
| mit der Roger-Willemsen-Stiftung. Die Hellhörigkeit des Hauses, in dem die | |
| Stipendiat*innen wohnen und arbeiten, sei mit der Anwesenheit von | |
| Kindern nicht vereinbar, sagt deren Vorständin Julia Wittgens. Trotzdem | |
| einigten sie und Roschal sich 2022: Die Autorin nahm ihr Kind nicht mit, | |
| teilte aber ihren langen Aufenthalt in zwei kurze. | |
| Aus einer ähnlichen Erfahrung heraus gründete Bendixen gemeinsam mit David | |
| Blum und Sibylla Vričić Hausmann vor fünf Jahren das Netzwerk „Other | |
| writers need to concentrate“. Das Netzwerk bietet Austausch unter | |
| Schriftsteller*innen. Auf der Website wird die Familienfreundlichkeit von | |
| Aufenthaltsstipendien mit null bis drei Sternen bewertet. Drei Sterne | |
| erreicht nur eins: Bei „Parents in Arts“ können sich schreibende Hamburger | |
| Eltern bewerben. Vor Ort gibt es professionelle Kinderbetreuung. „Ich bin | |
| durch das Netzwerk mutiger geworden“, sagt Roschal bei der Lesung. Erst | |
| nach der Zusage für Stipendien erwähne sie ihr Kind. „Es fühlt sich | |
| unangenehm an, diese Gespräche zu führen. Aber für die Nächsten wird es | |
| leichter.“ | |
| Besucherin Katrin Temperton habe „ganz viel Neues gelernt“, sagt sie, die | |
| Veranstaltung sei ihr von einer Freundin empfohlen worden, die aber nicht | |
| habe kommen können, weil sie auf ihre Kinder aufpassen müsse. Rimma | |
| Kanevski wiederum sieht viele selbst geschaffene Probleme in Roschals und | |
| Bendixens Berichten über das Muttersein. Und eine „Selbstzentriertheit“, | |
| denn „es gab nie Generationen, die es leicht hatten“. Die Leiterin des | |
| Literaturbüros Lüneburg Kerstin Fischer findet es grundsätzlich wichtig, | |
| dass sie auf Mängel aufmerksam machten. Die Kritik der Autorinnen am | |
| Konzept der Aufenthaltsstipendien sei an dem Abend und in Interviews jedoch | |
| teilweise sehr pauschal gewesen. | |
| Aber ohne Stipendien geht es überhaupt nicht: Statt Schlössern, Armut oder | |
| Einsamkeit bräuchten gerade Eltern Aufenthaltsstipendien, um in Ruhe zu | |
| schreiben, sagt Roschal – ohne Care-Verantwortung. Bis Ende Juli wird sie | |
| in Lüneburg bleiben. Bendixen will noch mal auf die Lüneburger Spielplätze | |
| – um sich an die ersten Schritte ihres Kindes dort zurückzuerinnern. | |
| 20 May 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Luisa Gohlke | |
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