# taz.de -- taz🐾thema: Hansdampf in allen Gassen | |
> Selbstvermarktung ist in der Kunstwelt heute wichtiger denn je. Unser | |
> Autor schreibt über den Fall eines besonders schamlosen „Künstlers“, der | |
> die Rezensenten regelmäßig zum Verstummen brachte – indem er bei jeder | |
> Kritik laut zu plärren begann | |
Bild: Sensation! Es wird vermutet, dass dieses Meisterwerk vom verstorbenen Ger… | |
Von Uli Hannemann | |
In unserer Reihe „taz goes artsy-fartsy“ möchten wir euch heute Gernot | |
Bübchen aus Plauzburg an der Steinstraße vorstellen. Ob Malerei, | |
Architektur, Musik, Theater, Film, Literatur, Performance, Stand-up-Comedy, | |
Comic-Kunst, Darts, Freestyle-Kamasutra und vieles andere mehr: Der | |
polyvalente Künstler beherrschte nach eigener Aussage als einziger perfekt | |
die komplette Palette künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten. | |
Im Nachhinein können wir es ja sagen: Das ist so nicht ganz korrekt. Genau | |
genommen war alles, was er machte, Schrott und Scheiße, meistens sogar | |
wortwörtlich. Doch Kritik ist ja oft ein zweischneidiges Schwert. Als ein | |
Kunstkritiker den Fehler machte, Bübchens Zyklus „die zehn Gebote“ (6 x 10 | |
Meter, Schrott und Scheiße auf Leinwand) als „fickende Strichmännchen“ zu | |
verspotten, lernte die Welt Gernot Bübchen aber mal so richtig kennen. | |
Seine Angewohnheit, jedes Mal laut zu weinen, sobald jemand eines seiner | |
Werke kritisierte, ließ die Experten rasch verstummen. Feuilletons wurden | |
entweder komplett eingestellt oder verlangten von neuen Mitarbeitern schon | |
vor Aufnahme ihrer Tätigkeit eine Ausschlusserklärung, die die negative | |
Besprechung von Gernot Bübchens Kunst verbot. | |
Denn „lautes Weinen“ ist der falsche Ausdruck. Vielmehr handelte es sich um | |
ein markerschütterndes, in nicht für möglich gehaltenem Maße Nerven | |
zerreißendes Plärren, eine abartige Hyperkakophonie, die im Umkreis von | |
vielen tausend Kilometern Gläser zerspringen ließ, Autoreifen in schneller | |
Fahrt zum Platzen brachte und Kurzschlüsse in die Herzschrittmacher | |
zauberte. Den Kühen gerann die Milch im Euter zu verschimmelter Crème | |
fraiche, Föten gingen ab, Vulkane kotzten Blut und Lava, und tektonische | |
Platten verrutschten wie Spielkarten auf einem ICE-Vierertischchen im | |
Verlauf einer Notbremsung. | |
Diese existenzielle Prüfung für den Planeten beeinflusste die Rezeption von | |
Bübchens Schaffen nicht unwesentlich. Genauer gesagt, beförderte sie die | |
Entstehung eines überaus treuen Publikums, das jedes Mal laut jauchzte, | |
wenn das verschmitzte Lächeln des Gelingens auf des Künstlers Antlitz stolz | |
erstrahlte. Dann freuten sich alle mit diesem großen Kind, und ein | |
wohlwollendes Gurren erfüllte die Theater, Konzertsäle, Galerien, Kinos, | |
Sportarenen und Reichsaufmarschfelder, die im Zeichen des erstarkenden | |
Faschismus überall wieder wie braune Brandenburger Bio-Champignons aus dem | |
Boden schossen. | |
Schließlich wollte ja auch keiner sterben. So wurde seine Malerei völlig | |
neu bewertet. Man habe das entscheidende Element übersehen, hieß es, nun | |
aber sei die Kunstszene reif für die neuen grandiosen Einflüsse. Das | |
Lästermaul mit den Strichmännchen kam bei einem mysteriösen Autounfall ums | |
Leben. Die Bremsleitungen, Karma, Kismet, ein Marder wohl. In der Folge | |
nahm Bübchens Karriere erst so richtig Schwung auf. Seine Fotografien des | |
Nachthimmels über Plauzburg bei Neumond wurden in London, Barcelona und New | |
York ausgestellt, alles Städte, die mutmaßlich keinen Bock hatten, in | |
Schutt und Asche geheult zu werden. | |
Das „Karussell der Gartenzwerge“ in Fies Moll, eine Symphonie für | |
Hackbrett, Dudelsack und singende Säge, tourte jahrelang vor ausverkauften | |
Hallen. Wenn er Bock hatte oder betrunken war – und meist war beides der | |
Fall – ließ es sich der Kunstschaffende nicht nehmen, selbst zu „singen“, | |
ob in Bayreuth oder bei „Monster Ronson’s Ichiban Karaoke“ – überall g… | |
die „lebende Mittelohrentzündung“ (Untergrundkritiker vor seiner | |
Verhaftung) ihre grölende Visitenkarte ab. Opportunistisch huldigte die | |
Öffentlichkeit seinem Gesangsstil als „betörendem Kreischen“. | |
Auch literarisch konnte ihm keiner ein X für ein U vormachen. Das machte er | |
schon selbst, ein Pionier der Sprache, der die Buchstaben endlich aus der | |
Bedeutungsenge ihrer ursprünglichen Lautzuschreibungen befreite. Daneben | |
wird sein berühmtes Herbstgedicht („Herbst, Schnerbst; alles bunt, scheißt | |
der Hund“) seit Jahrzehnten in jedem Deutschabitur analysiert. | |
Großen Einfluss hatte Bübchen auf die Weltarchitektur. Tesafilm, | |
Sicherheitsnadel und Pattex waren die Stabilisierungselemente seiner Wahl. | |
„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, lautete das Motto des Meisters, der | |
auch privat als kettenrauchender Kondommuffel im Wingsuit stets voranflog. | |
Die extreme Fallhöhe zwischen Schein und Sein bildete einen immanenten | |
Bestandteil seines Kunstkonzepts. Sein Film über den spektakulären Einsturz | |
der von ihm zusammengetackerten „Golden Tape Bridge“ wurde wiederum zum | |
eigenständigen Kunstwerk. | |
Kein Wunder angesichts all dieser Leistungen, dass die Saftgemeinde | |
Plauzburg ihrem größten Sohn ein Denkmal setzte. Dabei war er da noch gar | |
nicht tot. Sicher steckte hinter der verfrühten Weihe auch der heimliche | |
Wunsch, er wäre es, denn bei aller Bekanntheit die er seiner Heimatstadt | |
verschaffte, lag zugleich stets ein dräuender Schatten über dem Wirken | |
Bübchens. | |
Denn nie wusste man, was dem begnadeten Utility Artist wohl als nächstes | |
einfiele: Würde er ohne Vorwarnung ein lebendes Schwein aus dem | |
Hubschrauber auf den Marktplatz fallen lassen? Sich in einer Satire-Aktion | |
zum Bundeskanzler wählen und anschließend in einem teuflischen Krippenspiel | |
alle Erstgeborenen töten lassen? Würde er einen seiner berüchtigten | |
farbigen Riesenpupse in den Äther furzen? Auch dass das Genie bei allem, | |
was es tat, stets konsequent nackt auftrat, schmerzte vielen in der Seele. | |
Ja, der Name Plauzburg lag in aller Munde, allerdings meist als Synonym für | |
das Unaussprechliche, das Grauenhafte mit der Postleitzahl, die da lautet: | |
666. | |
Wenig überraschend fiel die Wahl des Skulpteurs auf Gernot Bübchen selbst. | |
Das hätte er sich sowieso nicht nehmen lassen; andernfalls hätte er auf | |
jeden Fall geweint. Denn neben Stickerei, Rhythmischer Sportgymnastik und | |
dem Zusammensetzen von Ü-Ei-Figuren auf seinem Youtube-Kanal hatte er | |
natürlich auch die Bildhauerei mit der Muttermilch eingesogen. | |
Dazu sei angemerkt, dass jene Generation von Müttern in puncto | |
Enthaltsamkeit während Schwangerschaft und Stillzeit noch nicht so | |
dogmatisch indoktriniert war, wie man es heute kennt. Nikotinentzug? Zu | |
stressig für Körper und Seele einer werdenden Mutter. Auch rieten die Ärzte | |
zu regelmäßigem Alkoholkonsum gegen Langweile, Niedergeschlagenheit und | |
Angstzustände. „Löten Sie sich ruhig jeden Abend ordentlich zu, Frau | |
Bübchen“, hatte Frauenarzt Dr. Haarmann geraten. „Dann wird es garantiert | |
ein Junge.“ | |
Und er hatte recht. Dieser Junge formte aus eingeweichten Brötchen, Lehm | |
und Kot eine Reiterstatue von gigantischer Größe. Sie überragt die | |
Saftgemeinde und den nahen Höhenzug des Schwalm sogar noch, nachdem sie | |
eingestürzt ist und unter anderem ihren Schöpfer unter sich begraben hat. | |
Dort ruht er nun in und unter sich selbst, und wir dürfen es endlich wagen, | |
sein Zeug als das zu kritisieren, was es ist: ein elender Pfusch, ein | |
schamloser Schund, der sämtliche Sinne demütigt, schändet und beleidigt; | |
das Salz auf dem einst fruchtbaren Boden der Kultur. Zum Glück ist die | |
Ratte tot. | |
24 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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