| # taz.de -- Stadtgespräch Inna Hartwich aus Moskau: In einer Moskauer Metrosta… | |
| Aufrecht steht er da, die rechte Hand auf Brusthöhe unter die Jacke | |
| geschoben: Stalin, in fast blendendem Weiß. Die Moskauer Metro hat zu ihrem | |
| 90. Geburtstag das Abbild des sowjetischen Schlächters überlebensgroß | |
| wiederherstellen lassen. Das eher billig aussehende Relief passt zum | |
| Zeitgeist im Land, das dem Personenkult eines Kremlherrschers frönt und dem | |
| Sieg im Zweiten Weltkrieg quasi alles unterordnet, im Warten auf den | |
| nächsten Sieg – im Krieg gegen die Ukraine. | |
| Es braucht nicht einmal mehr Pomp, um ein Denkmal dieses „Vaters des | |
| Volkes“ zu eröffnen. Eines „Vaters“, der sein Volk in Lagern hungern und | |
| erschießen ließ, der eine ganze Gesellschaft gebrochen hatte, sodass sie | |
| bis heute an den Folgen der damals erlittenen Traumata leidet und sie | |
| vielfach leugnet. Stalins Rückkehr geschieht leise, ohne Klagen und | |
| Beschwerden. Im letzten halben Jahr wurden gleich neun Denkmäler in | |
| Russland enthüllt, häufig im Beisein von Wladimir Medinski, dem | |
| Kremlberater für Geschichte. Er war es, der zuletzt in Istanbul die | |
| Verhandlungen mit der Ukraine führte, um den von Russland angezettelten | |
| Krieg zu beenden. Medinski war dabei lediglich der Überbringer russischer | |
| Maximalforderungen. | |
| „Stalin ist populär, weil er die natürliche Sehnsucht der Menschen | |
| widerspiegelt, in einem großen Land zu leben“, sagte Medinski einst im | |
| Interview. Man dürfe ihn „nicht verdammen“, meinte er. Längst rehabilitie… | |
| Russland den Massenmörder Stalin als effektiven Manager, starken Führer, | |
| großen Sieger. | |
| Den Wolgograder Flughafen hat Wladimir Putin jüngst in „Stalingrad“ | |
| umbenennen lassen. Und nun gibt es auch einen Stalin im Moskauer U-Bahnhof | |
| Taganskaja. Täglich laufen hier Tausende von Pendler*innen am hellen | |
| Relief vorbei, mit Stalin in der Mitte. Auf dem Roten Platz ist der | |
| einstige Generalissimus da abgebildet, von einer jubelnden Menschenmenge | |
| umringt. „Dankbarkeit des Volkes gegenüber dem Führer und Kriegsherrn“ | |
| hatte das Relief geheißen, als es 1950, in Gips gegossen, enthüllt wurde. | |
| Damals waren zehn von zwölf Haltestellen der Metro-Ringlinie mit | |
| Stalin-Reliefs oder Stalin-Mosaiken versehen. 1955 wurde die Plastik in | |
| Majolikakeramik gegossen, elf Jahre später wurde sie schließlich | |
| demontiert. Es war die Zeit, als sich die Sowjetunion vom Stalinkult | |
| befreien wollte. | |
| Die Mechanismen des Stalinismus aber haben überlebt und werden im heutigen | |
| Russland gefördert. Väter denunzieren ihre Söhne, Nachbarn melden andere | |
| Nachbarn an die Behörden, Arbeitskolleg*innen schwärzen eigene | |
| Büromitarbeiter*innen an. Schüler*innen wird eingebläut, | |
| „Fremdes“ sofort zu melden. Lehrer*innen rufen Polizei und | |
| Jugendinspektion, wenn ihre Schützlinge die offizielle Linie nur ein wenig | |
| infrage stellen. Die Angst, sie war nie weg in der russischen Gesellschaft. | |
| Im Bahnhof Taganskaja hat irgendjemand zwei rote Nelken zu Stalins Füßen | |
| gelegt. Vier Wachmänner lehnen an der Wand. Eine Frau in gelber Jacke | |
| bleibt länger am in Kunststein gegossenen Verbrecher stehen. In russischen | |
| Telegram-Kanälen finden sich Videos von Menschen, die sich vor dem Relief | |
| bekreuzigen, niederknien oder Blumen niederlegen. Die, die vor einigen | |
| Tagen Fotorahmen mit ein paar Sätzen Putins aufgestellt hatten, in denen er | |
| die Verbrechen Stalins verurteilte, müssen nun Ordnungsstrafen für | |
| unerlaubtes Demonstrieren zahlen. Kritik an Stalin ist Kritik am Sieg. Und | |
| den Sieg zu kritisieren, ist nicht vorgesehen im Land. | |
| Jelisaweta Lichatschowa, [1][gerade geschasste Leiterin des Moskauer | |
| Puschkin-Museums], hatte das Relief ein „Stümperwerk“ genannt, es also | |
| künstlerisch, nicht aber politisch verurteilt. Sie normalisiere die | |
| Verbrechen Stalins, warf man ihr daraufhin vor. Die immer noch bestehende, | |
| letztlich einzige liberale Partei Jabloko sammelt derweil Unterschriften | |
| für die Demontage des Reliefs. Das Interesse ist gering. Der Geist Stalins | |
| ist längst aufgegangen im System Putin. | |
| 24 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Inna Hartwich | |
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