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# taz.de -- Lustvolle Zerstörung
> Die Idee der „Disruption“ ist zum zentralen Bezugspunkt einer Bewegung
> geworden, die Gesellschaft und Politik abschaffen will
Bild: Der Stärkste setzt sich durch, und die Reichen fliegen zum Mars. Start e…
Von Lukas Franke
Der Begriff der Disruption wird oft als Synonym für radikale
Transformation, für die Sehnsucht nach dem großen Knall verwendet. Falsch
ist das nicht – „Disruption“ steht für schockartige Veränderung, kommt
neutral, fast wissenschaftlich daher. Zunächst jedoch war der Begriff vor
allem im Silicon Valley und in einer Welt juvenil-dynamischer Start-ups zu
Hause, wo er der mehr oder weniger wohl temperierten Grausamkeit des
kalifornischen Kapitalismus Legitimation verlieh.
Dann wanderte die Rede von der disruptiven Veränderung jedoch in politische
und theoretische Debatten. Folgt man ihrer Geschichte, stößt man schnell
auf die „schöpferische Zerstörung“ des Ökonomen Joseph Schumpeter. Er
beschrieb mit dieser Formel, wie in der kapitalistischen Wirtschaft das
Alte vom Neuen verdrängt werde, wie Erfindergeist im Verbund mit den viel
besungenen Marktkräften das Rad wie von selbst am Laufen hielt.
Aus einer anderen Perspektive sprachen Karl Marx und Friedrich Engels vom
Verdampfen alles Stehenden und Ständischen, was ihnen als zentrales Merkmal
der Epoche der industriellen Revolution galt. Einig wären sie sich mit
Schumpeter in einem gewesen: Der Kapitalismus ist von Menschen gemacht, ein
soziales System, das seinem eigenen Gesetz folgt. Er muss weiter, immer
weiter, das zeichnet ihn aus, macht ihn zerstörerisch, aber eben auch
ziemlich erfolgreich und erfinderisch.
Mit diesem Erneuerungsprinzip der Marktwirtschaft ist die Disruption aber
nur auf den ersten Blick verwandt. Die Lesart von Disruption, die uns heute
in den USA begegnet, zeichnet sich eher dadurch aus, nirgends eingebettet
zu sein, nicht in den Kreislauf eines Wirtschaftssystems und erst recht in
keine Gesellschaftsformation. Die oft im Zusammenhang mit der Disruption
bemühte „Innovation“ ist hier wenig mehr als eine vorgeschobene
Rechtfertigung für die gezielte und lustvolle Zerstörung des Bestehenden
durch einzelne Unternehmer.
Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub hat das am Beispiel von Firmen wie
Uber oder AirBnB beschrieben, die es verstanden haben, die miesen
Arbeitsbedingungen ihrer Fahrer:innen oder die Zerstörung lokaler
Wohnungsmärkte als begrüßenswerte Erneuerung zu verkaufen. Dabei wurden die
Profite vieler kleiner Unternehmen auf zentrale virtuelle Plattformen
umgelenkt, während die Fahrt im Uber-Taxi oder die Nacht in einer
AirBnB-Bude nur wenig Vorteile gegenüber dem Taxi oder dem Hotel bot. Dass
die digitalen Plattformen trotz ihrer zerstörerischen sozialen Auswirkungen
bis heute diffus für Erneuerung und eine irgendwie lockere Spielart des
Kapitalismus stehen, zeigt, wie mächtig der Mythos der Disruption ist.
Daub führt den Disruptionsmythos auf die Theorie des Akzelerationismus
zurück, die besagt, alle Versuche, die ungestüme kapitalistische Dynamik
einzuhegen, seien zum Scheitern verurteilt, weswegen es besser sei, sich
der Beschleunigung der Marktkräfte hinzugeben. Disruption sei die
„Theodizee des Hyperkapitalismus“, die Rechtfertigung von allem, was in
seinem Auftrag und Namen geschehe.
Diese Einschätzung trifft sicher zu, und doch steckt dahinter mehr als nur
reine Überhöhung des Marktes. Es geht um eine radikale „Egodizee“, also um
die Rechtfertigung eines absolut gesetzten Egoismus und des Rechts des
Stärkeren als einzig universales Prinzip.
In den USA hat dieser radikale Libertarismus viele Anhänger und eine lange
Tradition. Autor:innen wie Ayn Rand oder Murray Rothbard stellten die
durch nichts eingeschränkte Freiheit des Individuums und seines unbedingten
Willens zur eigenen Nutzenmaximierung ins Zentrum ihres Denkens. Brutalität
galt ihnen als Stärke und jede Art von Empathie und Solidarität
folgerichtig als moralisch falsch. Nicht nur den Staat lehnten sie radikal
ab, alles Gesellschaftliche, Politische, irgendwie Vermittelte, jede
soziale Verbundenheit war für sie die illegitime Beschränkung individueller
Freiheiten. Einzig der Wille des Einzelnen ist Gesetz – wenn er sich denn
durchzusetzen vermag.
Werden Unternehmen nach solchen Prinzipien geführt, ist das schlimm genug.
Rechtslibertäre wie Rand oder Rothbard verstanden sich jedoch keineswegs
als Management-Ratgeber, sondern als politische Theoretiker, denen es um
mehr ging als nur die Delegitimierung des Staates. [1][Fluchtpunkt ihres
Denkens ist letztlich die Zerstörung alles Gesellschaftlichen und der
„Abschied von aller Politik“], wie es der deutsch-amerikanische Investor
Peter Thiel und frühere Partner von Elon Musk formuliert, der unter anderem
die Wahlkampagne von JD Vance großzügig unterstützt hat.
Für Thiel und andere Vertreter dieser Denkrichtung sind Demokratie und
Liberalismus „Parasiten“. Staatliche Strukturen wollen sie weitgehend
abschaffen oder radikal privatisieren. Ihnen schwebt eine Vielzahl privat
geführter Städte vor, die keine politisch gewählten Spitzen, sondern „CEOs…
hätten, die mit quasi-monarchischen Durchgriffsrechten ausgestattet wären.
Aus Staatsbürger:innen würden Kund:innen, die Anteile am Unternehmen
erwerben könnten, wenn sie über die nötigen Mittel verfügten. Die Menge der
normalen Leute wird hingegen als „Hobbits“ oder gar als „schlurfende
Untote“ verächtlich gemacht, die den titanenhaften Unternehmerfiguren beim
Fortschritt ein Klotz am Bein seien und deren Bedürfnisse sonst nicht
weiter beachtenswert sind.
Oberstes Ziel ist, zu eliminieren was Thiel „the machine“ oder auch den
„deep state“ nennt. Denn dieser Komplex aus öffentlichen und
gesellschaftlichen Institutionen, Medien, Kultureinrichtungen, Vereinen,
Schulen und Universitäten, der ein zentrales Merkmal differenzierter
moderner Gesellschaften ist, versklave die Menschheit und bringe letztlich
nur noch gleichförmige Zombies hervor. Thiel nennt sie
„non-player-characters“, kurz „NPCs“.
Auch sonst sind die Gedankengebäude dieser „dark enlightment“ genannten
Strömung eine bizarre Mischung aus Science-Fiction und Popkultur,
angereichert mit misanthropisch-elitären Theoriefetzen, die an Ernst
Jünger, Oswald Spengler oder auch Julius Evola erinnern und die auf eine
grundsätzliche Ablehnung der Moderne, der Aufklärung und der Ideen der
Französischen Revolution hinauslaufen. Der einflussreiche Blogger Curtis
Yarvin, auf den zentrale Ideen der „dunklen Aufklärung“ zurückgehen,
empfiehlt den USA im Interview mit der New York Times, ihre „Phobie“ vor
Diktaturen zu überwinden. Thiel verkündete schon 2009, er „glaube nicht
länger, dass Demokratie und Freiheit kompatibel“ seien. Was seit Trumps
Machtübernahme in Washington zu beobachten ist, folgt einem langfristig
angelegten Drehbuch, das einem Großangriff auf jede offene, freiheitliche
und humane Gesellschaft gleichkommt und eine Ordnung favorisiert, in der
der Mensch dem Menschen ausnahmslos ein Wolf ist.
Wenn alles Öffentliche und Verbindende zertrümmert wurde, bleibt nur das
nackte Überleben. Es wirkt daher folgerichtig, dass der rechte
Libertarismus kein Problem damit hat, auch in die Verbindung zwischen
Mensch und Planet disruptiv einzugreifen. Die ökologischen Grundlagen
menschlichen Lebens interessieren nicht. Eher wird an der Überwindung des
Menschen durch Technologie und dem Phantasma der Besiedlung des Weltalls
gearbeitet. Bis am Ende der schöpferischen Zerstörung die Zerstörung der
Schöpfung steht.
10 May 2025
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## AUTOREN
Lukas Franke
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