# taz.de -- Klimaschutz und Demokratie: „Verantwortung für Kinder war noch n… | |
> Soll man noch Kinder in diese Welt setzen? Ein FUTURZWEI-Gespräch | |
> zwischen Chefredakteur Peter Unfried und Luisa Neubauer. | |
Bild: Avancierte zur Stimme der deutschen Zivilgesellschaft: Autorin und Aktivi… | |
[1][taz FUTURZWEI]: Frau Neubauer, das ist keine persönliche Frage, sondern | |
eine grundsätzliche, die unter Klimaaktivisten immer wieder gestellt wird: | |
Kann man noch Kinder in diese Welt setzen? | |
Luisa Neubauer: Ja, natürlich. | |
Führen Sie das bitte aus. | |
Ich glaube, wir müssen Elternschaft neu definieren. Eltern haften für ihre | |
Kinder, was heißt das in einer 1,5 Grad wärmeren Welt? Oder einer noch | |
heißeren Welt? Dadurch muss Elternsein eben viel weiter definiert werden. | |
In gewisser Weise war es nie politischer, für ein Kind Verantwortung zu | |
übernehmen, in dieser Zeit, in dieser Welt. Das ist erst mal ein Drama, | |
gesellschaftliche und ökologische Umstände sollten nicht so weit ins | |
Privatleben hineinragen, doch das tun sie. | |
Auch als Gesellschaft müssen wir uns anders Gedanken machen: Wie geben wir | |
Acht auf unsere Kinder? Die Tatsache, dass Menschen weiterhin Kinder | |
bekommen wollen, ist doch alles, was wir wissen müssen, um darauf | |
achtzugeben, dass eine Welt erhalten wird, die lebensbejahend ist und für | |
die Kindern ein Zuhause sein kann. | |
Ich finde es völlig absurd, wie Erwachsene anscheinend entschieden haben: | |
Kinder dürfen nur zu Gast sein in dieser Welt und müssen eigentlich erst 15 | |
Jahre lang abwarten, bis sie mitmachen dürfen bei den Großen. Da sind ganz, | |
ganz viele ethische Grundfragen zu stellen. Und die Fragen von Kindern und | |
Klimakrise würde ich immer in Richtung von Loslegen und Handeln | |
beantworten. | |
Schon in den 1970ern haben sich politische Linke sterilisieren lassen, weil | |
die damals auch auf dem Trip waren, in diese Welt könne man keine Kinder | |
mehr setzen. | |
Zunächst mal ist es überhaupt nicht angemessen von mir oder sonst jemand, | |
in die privateste aller privaten Entscheidungen von Menschen reinzureden. | |
Es gibt ja tausend andere individuelle Gründe, warum manche keine Kinder | |
bekommen wollen. | |
Wenn man mich aber als Aktivistin fragt, ob ich es ablehnen würde, Kinder | |
zu bekommen, oder ob ich Menschen abraten würde, Kinder zu bekommen, dann | |
würde ich das klar abwehren. Ich glaube in den letzten sechs Jahren, würde | |
ich sagen, waren es in weiten Teilen Kinder, die uns gezeigt haben, wie | |
Hoffnung in der Umsetzung funktioniert. | |
Sie meinen Fridays for Future? | |
Ja, ich meine die jungen Leute überall auf der Welt. | |
Keine Kinder, keine Zukunft, simple as that. Vor diesem Hintergrund haben | |
Aladin El-Mafaalani und seine Kollegen rausgearbeitet, dass Kinder und | |
Jugendliche, vielleicht noch Gen Z, die diskriminierteste Minderheit | |
überhaupt sind. Niemand macht Zukunftspolitik für sie. | |
Und das ist eine Katastrophe. Der einzige Grund, warum Menschen und vor | |
allem Eltern deswegen nicht schon reihenweise auf den Barrikaden stehen, | |
ist, weil man sie strukturell so sehr erschöpft, dass da viel zu wenig Raum | |
übrig bleibt, sich darüber zu empören, was man Kindern antut. Ich frage das | |
ja auch in meinem Buch: Wie kann es sein, dass Autos in dieser Gesellschaft | |
in gewisser Weise mehr Freiheiten genießen als Kinder? Wenn man etwa an | |
Platz oder Lärm denkt. | |
Andererseits ist die familiäre Sensibilität gegenüber Kindern, der sorgsame | |
Umgang, das Kümmern extrem gewachsen, bei den Eltern oder einem großen Teil | |
der Eltern. Viele haben schlaflose Wochen, bis ihr Kind endlich in der | |
richtigen Schule ist. Gab‘s früher nicht. | |
Das stimmt, aber was ist denn ein großer Grund dahinter? Zumindest ein | |
Grund dafür ist ja die zunehmende Angst, die man um seine Kinder hat, weil | |
die Welt unsicherer wird, weil neue Technologien Kinder sonst wohin | |
katapultieren, weil der Druck auf die Karriere so sehr gewachsen ist und | |
Kinder sich mit fünf Jahren in irgendwelchen kompetitiven Verfahren für | |
Grundschulen qualifizieren müssen. | |
Dass man sich zunehmend sorgt, wäre ja für sich betrachtet etwas ganz | |
Schönes. Aber dahinter steht – so befürchte ich – viel Panik oder | |
Unwohlsein, weil sich viel zu viele Menschen nicht darauf verlassen können | |
oder wollen, dass Gesellschaft und Staat ausreichend Schutz für Kinder zur | |
Verfügung stellen, damit Eltern auch mal lockerlassen können. | |
Naja, der Staat hat sich ja schon auch entwickelt, Ganztags-schulen, | |
Biokantinen, Pipapo. | |
Okay, aber gleichzeitig war es zumindest in meiner Grundschule so, dass die | |
Initiative für die Ganztagsschule nicht von dem Staat kam, sondern von | |
Eltern, die meinten, wir bräuchten bessere Betreuung. Und jedes ökologische | |
Schulessen ist hart erworben und jedes sanierte Schulklo ist ein Kampf. | |
Also, bei aller Liebe: Es fühlt sich jetzt nicht an, als würde man Kinder | |
genauso ernst nehmen wie die Erwachsenen. | |
Stimmt. | |
Abgesehen davon sitzen wir in einem der reichsten Länder und haben etliche | |
Kinder in Armut. Die Messlatte kann doch nicht sein, dass es nicht allen | |
komplett dreckig geht. Die Messlatte muss doch sein, dass jedes Kind in | |
Würde leben kann, und das gar nicht nur materiell, sondern vielmehr auch | |
kulturell gesehen. Wo sind die Orte, wo Kinder richtig stattfinden können? | |
Wie werden sie in der Stadt, in der Infrastruktur mitgedacht? Wie werden | |
sie im Bundeshaushalt mitgedacht? Noch immer gibt es Kinderrechte nicht im | |
Grundgesetz. Ich würde mich damit nicht zufriedengeben wollen. | |
El-Mafaalani arbeitet weiter heraus, dass Kinder, junge Menschen, die | |
diverseste Gruppe überhaupt sind, weil die – anders als die Boomer – fast | |
zur Hälfte migrantischen Hintergrund haben. Mit Fridays ist es zum ersten | |
Mal gelungen, den Eindruck zu erwecken, es sei eine Interessengemeinschaft | |
entstanden. | |
Ich glaube, es gibt eine Art moralische Einheit, die man durchaus | |
entwickeln kann: dass junge Leute, Kinder, ein übergreifendes und | |
gemeinschaftliches Interesse daran haben, dass ihre Zukunft geschützt wird. | |
Wie das genau passiert, da gibt es nicht die eine Meinung, auch entlang | |
junger Leute oder Kinder nicht. Da ist vielmehr auch so eine Art | |
Lagerbildung. Aber wir haben es mit Fridays geschafft, einen weiten Teil | |
von jungen Leuten zu mobilisieren, für eine Art Minimalkonsens zusammen | |
einzustehen. Das finde ich schon gut. | |
Aber jetzt ist das in der Mediengesellschaft gerade nicht mehr sichtbar. | |
Ja, ja. Also die Bewegung mobilisiert ja weiter. Es gibt an endlos vielen | |
Schulen Fridays-AGs und in über hundert Orten in Deutschland Ortsgruppen, | |
die jede Woche ihr Plenum machen und die Politik herausfordern. Und wir | |
machen wahnsinnig viel Weiterbildung und Trainings, gerade von jungen | |
Leuten, an Schulen und so. Keine Sorge, die sind mobilisiert. | |
Aber? | |
Aber wir können als junge soziale Bewegung zwar immer aus eigener Kraft | |
Zuversicht mobilisieren und Handlungsbereitschaft bei jungen Leuten, wir | |
können aber nicht wettmachen, was an Zuversicht, zum Beispiel durch | |
gebrochene Versprechen der Regierung, kaputt gemacht wird. Das, was bei uns | |
passiert, ist immer auch Blueprint für zwei Dimensionen. Wie kräftig und | |
stark sind wir? Und wie kräftig und stark ist das Vertrauen, dass | |
politisches Handeln oder politisches Engagement sich gerade lohnt? | |
Die eine Hälfte, das können wir machen, und wenn es nicht gut läuft, müssen | |
wir uns da selbst angucken. Das andere liegt nicht in unserer Hand. Das ist | |
der große Unterschied zu 2019 bis 2022, wo es für viele Menschen völlig | |
offensichtlich war, dass wir im Sinne der staatlichen Klimaziele alles | |
Recht haben, auf die Straße zu gehen und sich in der Folge demokratische | |
Parteien dem zuwenden werden, nicht von heute auf morgen, aber im Laufe der | |
Zeit. Was dann passierte, war eben gar nicht nur klimafeindlich oder | |
klimaschädlich. | |
Sondern? | |
Die vielen gebrochenen Versprechen, die vielen Verzögerungen, dass viele | |
Zurückrudern, das war im tiefsten Sinne auch schon demokratieschädigend. | |
Von den liberaldemokratischen Parteien? | |
Klar, ich nenne nur: das Klimagesetz zu verabschieden und dann wieder | |
abzuschwächen, wenn man in der Regierung ist. Klimapolitik so zu machen, | |
dass sie verfassungswidrig ist. Immer wieder das offensive Beschimpfen von | |
jungen Leuten, was gerade die Letzte Generation abbekommen hat, die sich | |
für ihr Leben und das von uns allen einsetzt. Das alles verdient eigentlich | |
eine ganz eigene Aufarbeitung, gar nicht nur ökologisch, sondern eben | |
demokratisch gesehen. | |
Das kommt in Ihrem Buch auch vor, dass die Stimmung entscheidend ist dafür, | |
ob man eine politische Dynamik hinkriegt. 2019 bis 2021 war das so, dass | |
Leute, Eltern, Gemeinderäte, Politiker den Eindruck hatten: Okay, das | |
machen wir jetzt, das muss jetzt sein. Nun ist das weg. | |
Naja so schwarz und weiß ist das nicht. Man muss sich ja Klimaschutz in der | |
Umsetzung vorstellen wie so ein Orchester, in dem verschiedene Instrumente | |
in ihrem eigenen Rhythmus spielen. | |
Ein Rhythmus ist der kommunalpolitische. In der Kommunalpolitik wird in den | |
letzten Jahren zunehmend Klimaschutz gemacht. Das ist jetzt teilweise durch | |
die Polemik erschwert geworden, aber auch durch viele Landesgesetze | |
passiert da jetzt etwas. Etwa in Sachen Hitzeschutz werden da jetzt | |
Klimaanpassungsmanager eingestellt. Da werden die Hochwasseranpassungspläne | |
gemacht. | |
Wenn ganz oben die Melodie leiser wird oder eben von rechts eingenommen, | |
dann setzt das natürlich einen Ton, ein Grundrauschen. Aber es wäre zu | |
einfach, Klimaschutz als eine eindimensionale Veranstaltung wahrzunehmen, | |
die mal auf- und mal abgeht, es ist vielschichtig. | |
Welche Schichten sind das noch? | |
Das andere ist Kunst und Kultur. Das war ein Riesenglück, dass gerade rund | |
um die Corona-Pandemie und auch danach die großen Kinoproduktionen | |
rauskamen, die großen Filme. Joko Winterscheidt hat seine große | |
Amazon-Serie The World’s Most Dangerous Show rausgebracht, die auch | |
inspiriert war von uns. | |
Das ist mein großer Appell in diesem Buch: Gerade jetzt muss man wahnsinnig | |
genau hingucken und sich nicht einreden lassen, dass die Dinge hier | |
schwarz-weiß wären, was Klimaschutz angeht. Die Umsetzung ist jetzt viel | |
schneller, als es 2019 der Fall war. Damals gab es aber eine Debatte, die | |
schneller war. Zu keinem Zeitpunkt wurden in so einer Geschwindigkeit | |
Windräder aufgestellt, wie in den letzten fünf Jahren. | |
Bezeichnen Sie sich eigentlich noch als Klimaaktivistin? | |
Ja. Ich bin auch tausende andere Sachen, aber eins davon ist das. Ich bin | |
Publizistin, ich bin aber auch Studentin, ich bin Sprecherin einer | |
Bewegung, ich bin Skilehrerin ... | |
Skilehrerin auch? | |
Ja. Und was die Labels angeht: Meine Großmutter sagt, sie sei engagierte | |
Bürgerin, und meine Mutter sagt, sie sei Demokratin – und ich sage, ich bin | |
Aktivistin, who cares? | |
Es findet ja gerade ein Hegemonialkampf statt um den Begriff der ‚normalen | |
Menschen’. Man kann auch sagen: Wir brauchen keine Aktivistinnen, wir | |
brauchen normale Menschen, die sich als Teil ihrer vielfältigen Identität | |
auch darum kümmern, dass Zukunftspolitik gemacht wird. | |
In Deutschland engagieren sich wahnsinnig viele Leute, man könnte sagen, es | |
ist relativ normal, dass sich Menschen engagieren. Was mit dem Begriff | |
normale Menschen gemeint ist, ist nicht die Unterscheidung zwischen Latte | |
Macchiato und Weißbier, sondern es ist das Warten auf eine Person, die | |
qualifizierter ist, um sich vor Ort, bei der eigenen Arbeitsstelle, in der | |
eigenen WG oder in der eigenen Uni zu engagieren. Das ist trügerisch, weil | |
wir alle durch unsere Teilnahme in dieser Gesellschaft qualifiziert sind. | |
Wir haben alle ein Recht auf Klimaschutz, und das sollen wir auch | |
verteidigen. Mein Eindruck ist, dass die Suche nach dem ‚Normalen’ | |
tendenziell der Ausgrenzung gilt, und nicht der Einbindung. | |
Sie arbeiten im Buch auch heraus, dass der Begriff Doppelmoral im Grunde | |
für uns alle zutrifft, aber nicht wirklich hilfreich ist. Er dient nur der | |
Denunzierung von Leuten, die sich engagieren. | |
Ja, genau. Mein Plädoyer in diesem Buch ist, sich davon nicht aufhalten zu | |
lassen, im Gegenteil. Was soll denn Doppelmoral bezeichnen, doch wohl den | |
Unterschied zwischen dem Wollen und dem realen Praktizierten. Den | |
Unterschied leben wir ja alle, weil wir in einer nicht nachhaltigen Welt | |
leben und eine nachhaltige Welt wollen. | |
Ich ermutige ja praktisch mit diesem Buch, sich zwischen den Stühlen | |
einzurichten, weil wir da sind. Diese Suche nach der Reinheit, nach dem | |
einzig Wahren führt ins Nirgendwo, und am Ende deprimiert das und laugt aus | |
und hilft nur denjenigen, die sich nicht mal mehr zwischen die Stühle wagen | |
würden, weil sie in der destruktiven Welt von vorgestern gefangen sind. | |
Sie waren während des Präsidentschafts-Wahlkampfes 2024 wochenlang in den | |
USA. Was haben Sie gelernt, was Sie vorher nicht wussten? | |
Dass ein Klimadiskurs sich selbst verliert, der aus scheinbarer Rücksicht | |
auf verletzte Gefühle das Wort Klima nicht mehr in den Mund nimmt. Dass | |
nicht nur Klima ein zu starkes Wort ist, sondern dann für manche auch | |
E-Autos. Dass Windräder nicht gehen und Solarenergie auch nicht. Und über | |
Gesetze darf man schon gar nicht sprechen. Das ist das, was in den USA | |
passiert. Ein Klimadiskurs, der sich selbst verschluckt hat. | |
Ich habe da auch festgestellt, wie wichtig es ist, sich mit den | |
verschiedenen Ebenen zu beschäftigen, auf denen Klimaschutz gemacht wird. | |
Wenn es bundespolitisch nicht geht, dann kann man ganz viel in den | |
einzelnen Staaten voranbringen, was bei uns die Landesebene wäre. Wenn das | |
da nicht geht, in einer Stadt, einer Kommune. Und eine der Sachen, die ich | |
wirklich sehr beeindruckend fand: dass man sich in den USA durch diese | |
polarisierte Geschichte nie eingebildet hat, man würde mit besseren | |
Argumenten gewinnen. | |
Das ist mein großes Plädoyer in meinem Buch: sich nicht auf die besseren | |
Argumente oder die besten Fakten zurückziehen, sondern immer in die | |
ökologischen Fragen reingehen, als wäre es ein Kampf, denn das ist es. | |
Echte ökologische Politik ist immer eine Kampfansage an etablierte | |
Machtstrukturen. | |
Kann man mit besseren Gefühlen gewinnen? | |
Vorausgesetzt man hat auch die guten Lösungen: mit besseren Gefühlen, mit | |
besseren Geschichten, mit besseren Bildern. | |
Aber die besseren Gefühle sind derzeit die negativen Gefühle. Die | |
Wutgefühle. | |
In den USA sind sie schon auch sehr gut darin, gute Gefühle zu nutzen und | |
Hoffnung und Zuversicht und Spaß bei der Sache zu verbreiten. Und dieser | |
Inflation Reduction Act wurde bei uns oft besprochen mit Blick auf das | |
Geld, das dadurch möglich gemacht wurde für Klimaschutz. Viel zu wenig | |
wurde besprochen, was für ein Aufwand in das enorme Campaigning dahinter | |
gesteckt wurde, weil man sich von Anfang an klar war: Wir müssen da richtig | |
hinterhergehen als Zivilgesellschaft, als NGO-Welt, als Stiftung, wenn wir | |
das Ding erkämpfen wollen. | |
Und das haben sie genau so gemacht. Das ist nicht vom Himmel gefallen, weil | |
da ein paar gute Kongressabgeordnete sinnvoll verhandelt haben, sondern | |
weil man sich zwischen Politik und Zivilgesellschaft konstruktiv | |
zusammengesetzt und gesagt hat: Was wollen wir eigentlich und wie kämpfen | |
wir dafür? Was man sich dort auch abgucken kann, ist dieses Kollaborative. | |
Wenn eine Zivilgesellschaft sich hinter einem Gesetz vereint, und bereits | |
in der Konstruktion des Gesetzes, hat man auch gleichzeitig schon | |
synergetisch eine Allianz, die interessiert ist, dass das Gesetz gut | |
umgesetzt wird. Deswegen gibt es gerade so wahnsinnig viele Initiativen, | |
die Teile des Inflation Reduction Act umsetzen. Etwa, wenn es um | |
Solarpanels geht oder um Isolierung oder um E-Autos. | |
Joe Biden hat den magischen Satz geprägt, wie man Klimaschutz | |
mehrheitsfähig durchsetzt: „When I hear climate, I think jobs.“ | |
Ja, das ist sehr, sehr wichtig, dass man Klima und Jobs zusammendenkt. Was | |
aber in den USA auch passiert, ich habe das angesprochen: dass Gesetze | |
nicht mehr verhandelt werden, weil das Wort E-Auto schon provoziert. Wenn | |
man sich darauf einlässt, dass ein erwachsener Mann und gewählter | |
Abgeordneter von dem Wort Klima getriggert wird in einem Gesetz, dann frage | |
ich mich, wann wir aus dem Kindertheater vielleicht mal nach Hause gehen | |
wollen. | |
Das sind Republikaner, nehme ich an. | |
Reihenweise Republikaner. Du findest in einem republikanischen Klimadiskurs | |
nicht mehr das Wort Klima. Und deshalb finde ich es gefährlich, die USA für | |
uns als Maßstab und als Innovation zu verstehen. Das sorgt dafür, dass wir | |
immer weitere Teile der Realität in unserem Diskurs ausblenden. Ich würde | |
es eher andersherum drehen: Wir haben in Deutschland sehr, sehr viel | |
errungen, was wir dringend verteidigen müssen und was in den USA gerade | |
undenkbar wäre. | |
Frau Neubauer, ich bin so ein bisschen besorgt, weil Sie in dem Buch immer | |
noch sehr moralisch daherkommen. Glauben Sie immer noch, dass Menschen | |
bessere Menschen werden und dass sich dadurch etwas zum Besseren ändert? | |
Gar nicht. Das ist doch meine ganze These in meinem Buch, dass es überhaupt | |
nicht darum geht, bessere Menschen zu werden. | |
Aber das taucht immer wieder auf. | |
Nein, ich glaube, es ist leichter, glücklich oder möglichst wenig | |
getriggert durch die Welt zu laufen, wenn wir der Welt in die Augen gucken | |
und anerkennen, dass sie brennt. Wenn du Klimawissenschaft leugnest, warum | |
solltest du dann die Medizin anerkennen oder die Expertise der | |
Sicherheitspolitik oder was auch immer. Du musst dann immer weiter die Welt | |
verklären und die Realität leugnen, um dieser Sache irgendeine Art von Sinn | |
geben zu können. Das ist Crazy Town. Da drehen alle gerade durch. Und der | |
andere Pfad ist Common Sense. Zu sagen, nee, wir nehmen die Welt an, wie | |
sie ist, und wir drehen nicht durch. | |
Der bundesdeutsche Wahlkampf war ein Beispiel dafür, dass man die | |
veränderte Welt nicht komplett, aber weitgehend ignorieren kann. | |
Der Wahlkampf war in weiten Teilen eine Zirkus-Aufführung. Crazy Town. | |
Davon muss man sich abkapseln. Es ist aber total schwierig, Menschen, die | |
rumhampeln und meinen, man kann die Welt für seine Programmatik so umbauen, | |
wie es gerade passt, zu sagen, „ehrlicherweise gibt es da auch eine | |
objektive Wahrheit, auf die man sich einigen könnte“. | |
Wir brauchen keine ‚besseren’ Menschen. Was wir machen müssen, ist, uns als | |
‚normale’ Menschen zu nehmen, wie wir sind, und auf dieser Grundlage die | |
vielen Möglichkeiten zu erkennen, sich einzubringen. Beim Common-Sense-Team | |
bleiben und nicht nach Crazy Town gehen. Indem ich mich als mündige Person | |
im politischen Kosmos ernst nehme, gebe ich ja auch immer eine | |
Liebeserklärung mir selbst gegenüber ab. Wie läuft man gerade durch die | |
Welt, die um uns herum zerbricht? Wie zerbricht man da nicht selbst? | |
Und mir gelingt es dann am besten, wenn ich mich nicht vor der Welt | |
verstecken muss, sondern sagen kann, hier bin ich und ich gucke der Welt in | |
die Augen, weil ich weiß, ich kann ein ganz kleines bisschen was dazu | |
beitragen, dass es besser wird oder weniger schlimm. | |
Ihr Buch ist auch ein Plädoyer dafür, begründet zuversichtlich sein zu | |
wollen. Weil Apokalyptik keine konstruktive Bewegung ist? | |
Richtig. | |
Robert Habeck hatte einen Zuversichtlichkeitswahlkampf geführt. Das hat | |
Leute angefixt, aber auch irritiert. | |
Aber warum ist das so? Ich glaube nicht, dass die Zuversicht das Problem | |
ist. Es ist das, was vor der Zuversicht steht. Und das ist für viele | |
Menschen die Trübsal. Ich benenne ja im Buch auch sehr viele Szenarien, die | |
schwierig werden. Das glaube ich auch. Solange die Zuversicht als | |
pädagogische Counter-Maßnahme zu den real gefühlten Wahrnehmungen der Welt | |
gesehen wird, steht sie immer unter Verdacht, irgendwas ausblenden zu | |
wollen. | |
Es muss eine ehrliche Zuversicht sein, und die muss erst einmal anerkennen, | |
dass es für viele Menschen gerade ganz schön krass ist und hart und | |
anstrengend in dieser Welt. Wenn das aber anerkannt ist, wenn dem Raum | |
gegeben wird, eröffnet sich da etwas. Das erlebt man ja in jedem Gespräch. | |
Sie führen auch aus, dass hohle Zuversicht nichts bringt, wenn man sagt, | |
das wird schon werden, das 1,5-Grad-Ziel wird schon eingehalten werden, | |
Putin wird uns schon nicht angreifen. | |
Ja, das ist blinder Optimismus. Und auch respektlos der Zuversicht | |
gegenüber, die ja so eine wichtige Stellung hat. Man darf Zuversicht nicht | |
missbrauchen, um ungewollte und unschöne und irgendwie unpraktische Gefühle | |
aus dem Weg zu räumen. Dem muss man erst mal einen Raum geben. Aber das | |
Interessante ist ja, dass auch in den düstersten Zeiten irgendwer anfängt | |
zu lachen. Und dass Kinder manchmal auch lachend auf die Welt kommen. Wenn | |
wir im eigenen Alltag Raum geben und Aufmerksamkeit und Liebe für | |
irgendeine Form von Zuversicht und für Verliebtsein in die Welt, dann ist | |
das auch immer da. | |
■ Luisa Neubauer tourt derzeit durch die Bundesrepublik mit ihrem neuen | |
Buch „[2][Was wäre, wenn wir mutig sind?]“. Anlässlich der Leipziger | |
Buchmesse findet am 27.03. in der Galerie KUB ein [3][taz Talk mit Luisa | |
Neubauer und Peter Unfried] statt. Kommen Sie vorbei oder [4][verfolgen Sie | |
die Veranstaltung im Live-Stream]! | |
25 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /taz-FUTURZWEI/!v=8ce19a8c-38e5-4a30-920c-8176f4c036c0/ | |
[2] https://www.rowohlt.de/buch/luisa-neubauer-was-waere-wenn-wir-mutig-sind-97… | |
[3] /taz-Talks-meets-Buchmesse-Leipzig-2025/!vn6064027/ | |
[4] https://www.youtube.com/live/bIFWUW0mB_o | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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