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# taz.de -- Klimaschutz und Demokratie: „Verantwortung für Kinder war noch n…
> Soll man noch Kinder in diese Welt setzen? Ein FUTURZWEI-Gespräch
> zwischen Chefredakteur Peter Unfried und Luisa Neubauer.
Bild: Avancierte zur Stimme der deutschen Zivilgesellschaft: Autorin und Aktivi…
[1][taz FUTURZWEI]: Frau Neubauer, das ist keine persönliche Frage, sondern
eine grundsätzliche, die unter Klimaaktivisten immer wieder gestellt wird:
Kann man noch Kinder in diese Welt setzen?
Luisa Neubauer: Ja, natürlich.
Führen Sie das bitte aus.
Ich glaube, wir müssen Elternschaft neu definieren. Eltern haften für ihre
Kinder, was heißt das in einer 1,5 Grad wärmeren Welt? Oder einer noch
heißeren Welt? Dadurch muss Elternsein eben viel weiter definiert werden.
In gewisser Weise war es nie politischer, für ein Kind Verantwortung zu
übernehmen, in dieser Zeit, in dieser Welt. Das ist erst mal ein Drama,
gesellschaftliche und ökologische Umstände sollten nicht so weit ins
Privatleben hineinragen, doch das tun sie.
Auch als Gesellschaft müssen wir uns anders Gedanken machen: Wie geben wir
Acht auf unsere Kinder? Die Tatsache, dass Menschen weiterhin Kinder
bekommen wollen, ist doch alles, was wir wissen müssen, um darauf
achtzugeben, dass eine Welt erhalten wird, die lebensbejahend ist und für
die Kindern ein Zuhause sein kann.
Ich finde es völlig absurd, wie Erwachsene anscheinend entschieden haben:
Kinder dürfen nur zu Gast sein in dieser Welt und müssen eigentlich erst 15
Jahre lang abwarten, bis sie mitmachen dürfen bei den Großen. Da sind ganz,
ganz viele ethische Grundfragen zu stellen. Und die Fragen von Kindern und
Klimakrise würde ich immer in Richtung von Loslegen und Handeln
beantworten.
Schon in den 1970ern haben sich politische Linke sterilisieren lassen, weil
die damals auch auf dem Trip waren, in diese Welt könne man keine Kinder
mehr setzen.
Zunächst mal ist es überhaupt nicht angemessen von mir oder sonst jemand,
in die privateste aller privaten Entscheidungen von Menschen reinzureden.
Es gibt ja tausend andere individuelle Gründe, warum manche keine Kinder
bekommen wollen.
Wenn man mich aber als Aktivistin fragt, ob ich es ablehnen würde, Kinder
zu bekommen, oder ob ich Menschen abraten würde, Kinder zu bekommen, dann
würde ich das klar abwehren. Ich glaube in den letzten sechs Jahren, würde
ich sagen, waren es in weiten Teilen Kinder, die uns gezeigt haben, wie
Hoffnung in der Umsetzung funktioniert.
Sie meinen Fridays for Future?
Ja, ich meine die jungen Leute überall auf der Welt.
Keine Kinder, keine Zukunft, simple as that. Vor diesem Hintergrund haben
Aladin El-Mafaalani und seine Kollegen rausgearbeitet, dass Kinder und
Jugendliche, vielleicht noch Gen Z, die diskriminierteste Minderheit
überhaupt sind. Niemand macht Zukunftspolitik für sie.
Und das ist eine Katastrophe. Der einzige Grund, warum Menschen und vor
allem Eltern deswegen nicht schon reihenweise auf den Barrikaden stehen,
ist, weil man sie strukturell so sehr erschöpft, dass da viel zu wenig Raum
übrig bleibt, sich darüber zu empören, was man Kindern antut. Ich frage das
ja auch in meinem Buch: Wie kann es sein, dass Autos in dieser Gesellschaft
in gewisser Weise mehr Freiheiten genießen als Kinder? Wenn man etwa an
Platz oder Lärm denkt.
Andererseits ist die familiäre Sensibilität gegenüber Kindern, der sorgsame
Umgang, das Kümmern extrem gewachsen, bei den Eltern oder einem großen Teil
der Eltern. Viele haben schlaflose Wochen, bis ihr Kind endlich in der
richtigen Schule ist. Gab‘s früher nicht.
Das stimmt, aber was ist denn ein großer Grund dahinter? Zumindest ein
Grund dafür ist ja die zunehmende Angst, die man um seine Kinder hat, weil
die Welt unsicherer wird, weil neue Technologien Kinder sonst wohin
katapultieren, weil der Druck auf die Karriere so sehr gewachsen ist und
Kinder sich mit fünf Jahren in irgendwelchen kompetitiven Verfahren für
Grundschulen qualifizieren müssen.
Dass man sich zunehmend sorgt, wäre ja für sich betrachtet etwas ganz
Schönes. Aber dahinter steht – so befürchte ich – viel Panik oder
Unwohlsein, weil sich viel zu viele Menschen nicht darauf verlassen können
oder wollen, dass Gesellschaft und Staat ausreichend Schutz für Kinder zur
Verfügung stellen, damit Eltern auch mal lockerlassen können.
Naja, der Staat hat sich ja schon auch entwickelt, Ganztags-schulen,
Biokantinen, Pipapo.
Okay, aber gleichzeitig war es zumindest in meiner Grundschule so, dass die
Initiative für die Ganztagsschule nicht von dem Staat kam, sondern von
Eltern, die meinten, wir bräuchten bessere Betreuung. Und jedes ökologische
Schulessen ist hart erworben und jedes sanierte Schulklo ist ein Kampf.
Also, bei aller Liebe: Es fühlt sich jetzt nicht an, als würde man Kinder
genauso ernst nehmen wie die Erwachsenen.
Stimmt.
Abgesehen davon sitzen wir in einem der reichsten Länder und haben etliche
Kinder in Armut. Die Messlatte kann doch nicht sein, dass es nicht allen
komplett dreckig geht. Die Messlatte muss doch sein, dass jedes Kind in
Würde leben kann, und das gar nicht nur materiell, sondern vielmehr auch
kulturell gesehen. Wo sind die Orte, wo Kinder richtig stattfinden können?
Wie werden sie in der Stadt, in der Infrastruktur mitgedacht? Wie werden
sie im Bundeshaushalt mitgedacht? Noch immer gibt es Kinderrechte nicht im
Grundgesetz. Ich würde mich damit nicht zufriedengeben wollen.
El-Mafaalani arbeitet weiter heraus, dass Kinder, junge Menschen, die
diverseste Gruppe überhaupt sind, weil die – anders als die Boomer – fast
zur Hälfte migrantischen Hintergrund haben. Mit Fridays ist es zum ersten
Mal gelungen, den Eindruck zu erwecken, es sei eine Interessengemeinschaft
entstanden.
Ich glaube, es gibt eine Art moralische Einheit, die man durchaus
entwickeln kann: dass junge Leute, Kinder, ein übergreifendes und
gemeinschaftliches Interesse daran haben, dass ihre Zukunft geschützt wird.
Wie das genau passiert, da gibt es nicht die eine Meinung, auch entlang
junger Leute oder Kinder nicht. Da ist vielmehr auch so eine Art
Lagerbildung. Aber wir haben es mit Fridays geschafft, einen weiten Teil
von jungen Leuten zu mobilisieren, für eine Art Minimalkonsens zusammen
einzustehen. Das finde ich schon gut.
Aber jetzt ist das in der Mediengesellschaft gerade nicht mehr sichtbar.
Ja, ja. Also die Bewegung mobilisiert ja weiter. Es gibt an endlos vielen
Schulen Fridays-AGs und in über hundert Orten in Deutschland Ortsgruppen,
die jede Woche ihr Plenum machen und die Politik herausfordern. Und wir
machen wahnsinnig viel Weiterbildung und Trainings, gerade von jungen
Leuten, an Schulen und so. Keine Sorge, die sind mobilisiert.
Aber?
Aber wir können als junge soziale Bewegung zwar immer aus eigener Kraft
Zuversicht mobilisieren und Handlungsbereitschaft bei jungen Leuten, wir
können aber nicht wettmachen, was an Zuversicht, zum Beispiel durch
gebrochene Versprechen der Regierung, kaputt gemacht wird. Das, was bei uns
passiert, ist immer auch Blueprint für zwei Dimensionen. Wie kräftig und
stark sind wir? Und wie kräftig und stark ist das Vertrauen, dass
politisches Handeln oder politisches Engagement sich gerade lohnt?
Die eine Hälfte, das können wir machen, und wenn es nicht gut läuft, müssen
wir uns da selbst angucken. Das andere liegt nicht in unserer Hand. Das ist
der große Unterschied zu 2019 bis 2022, wo es für viele Menschen völlig
offensichtlich war, dass wir im Sinne der staatlichen Klimaziele alles
Recht haben, auf die Straße zu gehen und sich in der Folge demokratische
Parteien dem zuwenden werden, nicht von heute auf morgen, aber im Laufe der
Zeit. Was dann passierte, war eben gar nicht nur klimafeindlich oder
klimaschädlich.
Sondern?
Die vielen gebrochenen Versprechen, die vielen Verzögerungen, dass viele
Zurückrudern, das war im tiefsten Sinne auch schon demokratieschädigend.
Von den liberaldemokratischen Parteien?
Klar, ich nenne nur: das Klimagesetz zu verabschieden und dann wieder
abzuschwächen, wenn man in der Regierung ist. Klimapolitik so zu machen,
dass sie verfassungswidrig ist. Immer wieder das offensive Beschimpfen von
jungen Leuten, was gerade die Letzte Generation abbekommen hat, die sich
für ihr Leben und das von uns allen einsetzt. Das alles verdient eigentlich
eine ganz eigene Aufarbeitung, gar nicht nur ökologisch, sondern eben
demokratisch gesehen.
Das kommt in Ihrem Buch auch vor, dass die Stimmung entscheidend ist dafür,
ob man eine politische Dynamik hinkriegt. 2019 bis 2021 war das so, dass
Leute, Eltern, Gemeinderäte, Politiker den Eindruck hatten: Okay, das
machen wir jetzt, das muss jetzt sein. Nun ist das weg.
Naja so schwarz und weiß ist das nicht. Man muss sich ja Klimaschutz in der
Umsetzung vorstellen wie so ein Orchester, in dem verschiedene Instrumente
in ihrem eigenen Rhythmus spielen.
Ein Rhythmus ist der kommunalpolitische. In der Kommunalpolitik wird in den
letzten Jahren zunehmend Klimaschutz gemacht. Das ist jetzt teilweise durch
die Polemik erschwert geworden, aber auch durch viele Landesgesetze
passiert da jetzt etwas. Etwa in Sachen Hitzeschutz werden da jetzt
Klimaanpassungsmanager eingestellt. Da werden die Hochwasseranpassungspläne
gemacht.
Wenn ganz oben die Melodie leiser wird oder eben von rechts eingenommen,
dann setzt das natürlich einen Ton, ein Grundrauschen. Aber es wäre zu
einfach, Klimaschutz als eine eindimensionale Veranstaltung wahrzunehmen,
die mal auf- und mal abgeht, es ist vielschichtig.
Welche Schichten sind das noch?
Das andere ist Kunst und Kultur. Das war ein Riesenglück, dass gerade rund
um die Corona-Pandemie und auch danach die großen Kinoproduktionen
rauskamen, die großen Filme. Joko Winterscheidt hat seine große
Amazon-Serie The World’s Most Dangerous Show rausgebracht, die auch
inspiriert war von uns.
Das ist mein großer Appell in diesem Buch: Gerade jetzt muss man wahnsinnig
genau hingucken und sich nicht einreden lassen, dass die Dinge hier
schwarz-weiß wären, was Klimaschutz angeht. Die Umsetzung ist jetzt viel
schneller, als es 2019 der Fall war. Damals gab es aber eine Debatte, die
schneller war. Zu keinem Zeitpunkt wurden in so einer Geschwindigkeit
Windräder aufgestellt, wie in den letzten fünf Jahren.
Bezeichnen Sie sich eigentlich noch als Klimaaktivistin?
Ja. Ich bin auch tausende andere Sachen, aber eins davon ist das. Ich bin
Publizistin, ich bin aber auch Studentin, ich bin Sprecherin einer
Bewegung, ich bin Skilehrerin ...
Skilehrerin auch?
Ja. Und was die Labels angeht: Meine Großmutter sagt, sie sei engagierte
Bürgerin, und meine Mutter sagt, sie sei Demokratin – und ich sage, ich bin
Aktivistin, who cares?
Es findet ja gerade ein Hegemonialkampf statt um den Begriff der ‚normalen
Menschen’. Man kann auch sagen: Wir brauchen keine Aktivistinnen, wir
brauchen normale Menschen, die sich als Teil ihrer vielfältigen Identität
auch darum kümmern, dass Zukunftspolitik gemacht wird.
In Deutschland engagieren sich wahnsinnig viele Leute, man könnte sagen, es
ist relativ normal, dass sich Menschen engagieren. Was mit dem Begriff
normale Menschen gemeint ist, ist nicht die Unterscheidung zwischen Latte
Macchiato und Weißbier, sondern es ist das Warten auf eine Person, die
qualifizierter ist, um sich vor Ort, bei der eigenen Arbeitsstelle, in der
eigenen WG oder in der eigenen Uni zu engagieren. Das ist trügerisch, weil
wir alle durch unsere Teilnahme in dieser Gesellschaft qualifiziert sind.
Wir haben alle ein Recht auf Klimaschutz, und das sollen wir auch
verteidigen. Mein Eindruck ist, dass die Suche nach dem ‚Normalen’
tendenziell der Ausgrenzung gilt, und nicht der Einbindung.
Sie arbeiten im Buch auch heraus, dass der Begriff Doppelmoral im Grunde
für uns alle zutrifft, aber nicht wirklich hilfreich ist. Er dient nur der
Denunzierung von Leuten, die sich engagieren.
Ja, genau. Mein Plädoyer in diesem Buch ist, sich davon nicht aufhalten zu
lassen, im Gegenteil. Was soll denn Doppelmoral bezeichnen, doch wohl den
Unterschied zwischen dem Wollen und dem realen Praktizierten. Den
Unterschied leben wir ja alle, weil wir in einer nicht nachhaltigen Welt
leben und eine nachhaltige Welt wollen.
Ich ermutige ja praktisch mit diesem Buch, sich zwischen den Stühlen
einzurichten, weil wir da sind. Diese Suche nach der Reinheit, nach dem
einzig Wahren führt ins Nirgendwo, und am Ende deprimiert das und laugt aus
und hilft nur denjenigen, die sich nicht mal mehr zwischen die Stühle wagen
würden, weil sie in der destruktiven Welt von vorgestern gefangen sind.
Sie waren während des Präsidentschafts-Wahlkampfes 2024 wochenlang in den
USA. Was haben Sie gelernt, was Sie vorher nicht wussten?
Dass ein Klimadiskurs sich selbst verliert, der aus scheinbarer Rücksicht
auf verletzte Gefühle das Wort Klima nicht mehr in den Mund nimmt. Dass
nicht nur Klima ein zu starkes Wort ist, sondern dann für manche auch
E-Autos. Dass Windräder nicht gehen und Solarenergie auch nicht. Und über
Gesetze darf man schon gar nicht sprechen. Das ist das, was in den USA
passiert. Ein Klimadiskurs, der sich selbst verschluckt hat.
Ich habe da auch festgestellt, wie wichtig es ist, sich mit den
verschiedenen Ebenen zu beschäftigen, auf denen Klimaschutz gemacht wird.
Wenn es bundespolitisch nicht geht, dann kann man ganz viel in den
einzelnen Staaten voranbringen, was bei uns die Landesebene wäre. Wenn das
da nicht geht, in einer Stadt, einer Kommune. Und eine der Sachen, die ich
wirklich sehr beeindruckend fand: dass man sich in den USA durch diese
polarisierte Geschichte nie eingebildet hat, man würde mit besseren
Argumenten gewinnen.
Das ist mein großes Plädoyer in meinem Buch: sich nicht auf die besseren
Argumente oder die besten Fakten zurückziehen, sondern immer in die
ökologischen Fragen reingehen, als wäre es ein Kampf, denn das ist es.
Echte ökologische Politik ist immer eine Kampfansage an etablierte
Machtstrukturen.
Kann man mit besseren Gefühlen gewinnen?
Vorausgesetzt man hat auch die guten Lösungen: mit besseren Gefühlen, mit
besseren Geschichten, mit besseren Bildern.
Aber die besseren Gefühle sind derzeit die negativen Gefühle. Die
Wutgefühle.
In den USA sind sie schon auch sehr gut darin, gute Gefühle zu nutzen und
Hoffnung und Zuversicht und Spaß bei der Sache zu verbreiten. Und dieser
Inflation Reduction Act wurde bei uns oft besprochen mit Blick auf das
Geld, das dadurch möglich gemacht wurde für Klimaschutz. Viel zu wenig
wurde besprochen, was für ein Aufwand in das enorme Campaigning dahinter
gesteckt wurde, weil man sich von Anfang an klar war: Wir müssen da richtig
hinterhergehen als Zivilgesellschaft, als NGO-Welt, als Stiftung, wenn wir
das Ding erkämpfen wollen.
Und das haben sie genau so gemacht. Das ist nicht vom Himmel gefallen, weil
da ein paar gute Kongressabgeordnete sinnvoll verhandelt haben, sondern
weil man sich zwischen Politik und Zivilgesellschaft konstruktiv
zusammengesetzt und gesagt hat: Was wollen wir eigentlich und wie kämpfen
wir dafür? Was man sich dort auch abgucken kann, ist dieses Kollaborative.
Wenn eine Zivilgesellschaft sich hinter einem Gesetz vereint, und bereits
in der Konstruktion des Gesetzes, hat man auch gleichzeitig schon
synergetisch eine Allianz, die interessiert ist, dass das Gesetz gut
umgesetzt wird. Deswegen gibt es gerade so wahnsinnig viele Initiativen,
die Teile des Inflation Reduction Act umsetzen. Etwa, wenn es um
Solarpanels geht oder um Isolierung oder um E-Autos.
Joe Biden hat den magischen Satz geprägt, wie man Klimaschutz
mehrheitsfähig durchsetzt: „When I hear climate, I think jobs.“
Ja, das ist sehr, sehr wichtig, dass man Klima und Jobs zusammendenkt. Was
aber in den USA auch passiert, ich habe das angesprochen: dass Gesetze
nicht mehr verhandelt werden, weil das Wort E-Auto schon provoziert. Wenn
man sich darauf einlässt, dass ein erwachsener Mann und gewählter
Abgeordneter von dem Wort Klima getriggert wird in einem Gesetz, dann frage
ich mich, wann wir aus dem Kindertheater vielleicht mal nach Hause gehen
wollen.
Das sind Republikaner, nehme ich an.
Reihenweise Republikaner. Du findest in einem republikanischen Klimadiskurs
nicht mehr das Wort Klima. Und deshalb finde ich es gefährlich, die USA für
uns als Maßstab und als Innovation zu verstehen. Das sorgt dafür, dass wir
immer weitere Teile der Realität in unserem Diskurs ausblenden. Ich würde
es eher andersherum drehen: Wir haben in Deutschland sehr, sehr viel
errungen, was wir dringend verteidigen müssen und was in den USA gerade
undenkbar wäre.
Frau Neubauer, ich bin so ein bisschen besorgt, weil Sie in dem Buch immer
noch sehr moralisch daherkommen. Glauben Sie immer noch, dass Menschen
bessere Menschen werden und dass sich dadurch etwas zum Besseren ändert?
Gar nicht. Das ist doch meine ganze These in meinem Buch, dass es überhaupt
nicht darum geht, bessere Menschen zu werden.
Aber das taucht immer wieder auf.
Nein, ich glaube, es ist leichter, glücklich oder möglichst wenig
getriggert durch die Welt zu laufen, wenn wir der Welt in die Augen gucken
und anerkennen, dass sie brennt. Wenn du Klimawissenschaft leugnest, warum
solltest du dann die Medizin anerkennen oder die Expertise der
Sicherheitspolitik oder was auch immer. Du musst dann immer weiter die Welt
verklären und die Realität leugnen, um dieser Sache irgendeine Art von Sinn
geben zu können. Das ist Crazy Town. Da drehen alle gerade durch. Und der
andere Pfad ist Common Sense. Zu sagen, nee, wir nehmen die Welt an, wie
sie ist, und wir drehen nicht durch.
Der bundesdeutsche Wahlkampf war ein Beispiel dafür, dass man die
veränderte Welt nicht komplett, aber weitgehend ignorieren kann.
Der Wahlkampf war in weiten Teilen eine Zirkus-Aufführung. Crazy Town.
Davon muss man sich abkapseln. Es ist aber total schwierig, Menschen, die
rumhampeln und meinen, man kann die Welt für seine Programmatik so umbauen,
wie es gerade passt, zu sagen, „ehrlicherweise gibt es da auch eine
objektive Wahrheit, auf die man sich einigen könnte“.
Wir brauchen keine ‚besseren’ Menschen. Was wir machen müssen, ist, uns als
‚normale’ Menschen zu nehmen, wie wir sind, und auf dieser Grundlage die
vielen Möglichkeiten zu erkennen, sich einzubringen. Beim Common-Sense-Team
bleiben und nicht nach Crazy Town gehen. Indem ich mich als mündige Person
im politischen Kosmos ernst nehme, gebe ich ja auch immer eine
Liebeserklärung mir selbst gegenüber ab. Wie läuft man gerade durch die
Welt, die um uns herum zerbricht? Wie zerbricht man da nicht selbst?
Und mir gelingt es dann am besten, wenn ich mich nicht vor der Welt
verstecken muss, sondern sagen kann, hier bin ich und ich gucke der Welt in
die Augen, weil ich weiß, ich kann ein ganz kleines bisschen was dazu
beitragen, dass es besser wird oder weniger schlimm.
Ihr Buch ist auch ein Plädoyer dafür, begründet zuversichtlich sein zu
wollen. Weil Apokalyptik keine konstruktive Bewegung ist?
Richtig.
Robert Habeck hatte einen Zuversichtlichkeitswahlkampf geführt. Das hat
Leute angefixt, aber auch irritiert.
Aber warum ist das so? Ich glaube nicht, dass die Zuversicht das Problem
ist. Es ist das, was vor der Zuversicht steht. Und das ist für viele
Menschen die Trübsal. Ich benenne ja im Buch auch sehr viele Szenarien, die
schwierig werden. Das glaube ich auch. Solange die Zuversicht als
pädagogische Counter-Maßnahme zu den real gefühlten Wahrnehmungen der Welt
gesehen wird, steht sie immer unter Verdacht, irgendwas ausblenden zu
wollen.
Es muss eine ehrliche Zuversicht sein, und die muss erst einmal anerkennen,
dass es für viele Menschen gerade ganz schön krass ist und hart und
anstrengend in dieser Welt. Wenn das aber anerkannt ist, wenn dem Raum
gegeben wird, eröffnet sich da etwas. Das erlebt man ja in jedem Gespräch.
Sie führen auch aus, dass hohle Zuversicht nichts bringt, wenn man sagt,
das wird schon werden, das 1,5-Grad-Ziel wird schon eingehalten werden,
Putin wird uns schon nicht angreifen.
Ja, das ist blinder Optimismus. Und auch respektlos der Zuversicht
gegenüber, die ja so eine wichtige Stellung hat. Man darf Zuversicht nicht
missbrauchen, um ungewollte und unschöne und irgendwie unpraktische Gefühle
aus dem Weg zu räumen. Dem muss man erst mal einen Raum geben. Aber das
Interessante ist ja, dass auch in den düstersten Zeiten irgendwer anfängt
zu lachen. Und dass Kinder manchmal auch lachend auf die Welt kommen. Wenn
wir im eigenen Alltag Raum geben und Aufmerksamkeit und Liebe für
irgendeine Form von Zuversicht und für Verliebtsein in die Welt, dann ist
das auch immer da.
■ Luisa Neubauer tourt derzeit durch die Bundesrepublik mit ihrem neuen
Buch „[2][Was wäre, wenn wir mutig sind?]“. Anlässlich der Leipziger
Buchmesse findet am 27.03. in der Galerie KUB ein [3][taz Talk mit Luisa
Neubauer und Peter Unfried] statt. Kommen Sie vorbei oder [4][verfolgen Sie
die Veranstaltung im Live-Stream]!
25 Mar 2025
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[1] /taz-FUTURZWEI/!v=8ce19a8c-38e5-4a30-920c-8176f4c036c0/
[2] https://www.rowohlt.de/buch/luisa-neubauer-was-waere-wenn-wir-mutig-sind-97…
[3] /taz-Talks-meets-Buchmesse-Leipzig-2025/!vn6064027/
[4] https://www.youtube.com/live/bIFWUW0mB_o
## AUTOREN
Peter Unfried
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