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# taz.de -- Halb Bild, halb Leerstelle
> Eine Ausstellung der zyprischen Künstlerin Maria Toumazou in Lübeck zieht
> Verbindungen, die sich nicht selbst erklären
Bild: Scherben erzählen von der Beständigkeit und Endlichkeit von Dingen in d…
Von Friederike Grabitz
Eine Touristin kommt aus der Lübecker Kulturkirche St. Petri und sagt zu
ihrer Freundin: „Keine Ausstellung, die Kirche war leer.“ Dabei stand sie
in dem großen, weißen Kirchenschiff direkt vor und unter den Kunstwerken
der Ausstellung „Half Frame“ von Maria Toumazou, die dort bis zum 21. März
zu sehen war. Sie hat sie nur nicht bemerkt.
An drei der Säulen hingen dort leise surrend die Skelette von Ventilatoren,
die ohne Rotorblätter aussahen wie stachelige Überwachungskameras. Rechts
im Kirchenschiff stand ein tischgroßes kupferfarbenes Gebilde auf sechs
Beinen namens „canons“, es ist eigentlich die Aufhängung einer Glocke aus
einer Kirche in der zyprischen Stadt Nicosia. Die Stadt und die Insel sind
seit der türkischen Invasion 1974 in zwei Hälften geteilt, in eine
türkische und eine griechische Hälfte. Damals sollten alle Ikonen aus der
Kirche in ein Museum gebracht werden. Eine Gruppe Frauen demonstrierte
dagegen, indem sie weithin hörbar die Glocke läutete, so lange, bis sie
letztlich aus dem Turm stürzte und zerbrach.
Diese Informationen stehen im Begleitheft zur Ausstellung, das in der
Kirche auslag. Sie sind wichtig, um die Konzeptkunst der zyprischen
Künstlerin und Verlegerin zu verstehen. Etwa die Geschichte von
zerbrochenen Tellern, die von der Beständigkeit und Endlichkeit von Dingen
in der Insel-Ökonomie erzählen. Und da, wo in der Petrikirche einmal der
Altar stand, thront ein Holzgestell auf transparenten Plexiglas-Stelen. Es
hat Querlatten, die von unbenutzten, nicht mehr aktuellen
Kalender-Titelblättern umwickelt sind. Das steht für scheinbar ereignislos
verstrichene Zeit und zitiert gleichzeitig eine historische Totenbahre
neben dem Eingang der Kirche.
Die Künstlerin „aktiviert Geschichten, die sie findet“, erzählt Paula
Komoss, die die Ausstellung kuratiert hat. Sie ist die neue Leiterin des
Kunstvereins „Overbeck-Gesellschaft“, der in den zentral gelegenen
Bürgergärten moderne Kunst nach Lübeck bringt. In den weißen Räumen dieses
Gebäudes ist bis Ende April der andere Teil der Ausstellung zu sehen,
Komoss macht eine Führung.
„Half Frame“ ist ein Statement, es ist ihre erste Ausstellung als Kuratorin
hier. „Ich mag es, wenn Kunst herausfordert“, sagte Komoss zu ihrem
Amtsantritt in einem Interview mit den Lübecker Nachrichten. Bei unserem
Termin verrät sie, worauf es ihr noch ankommt: „Ich möchte diese
Architektur neu entdecken. Deshalb werden im ersten Jahr alle Ausstellungen
speziell für diese Räume entwickelt.“
Es sind besondere Räume: Das Kunsthaus im Stil des Neuen Bauens wird
erleuchtet von umlaufenden Oberlichtern unter dem aufgebockten Flachdach.
Drei Gebäudeteile umschließen den Eingang und die goldglänzende Skulptur
der Daphne, die Renée Sintenis zur Einweihung des Hauses 1930 anfertigte.
Daphne war die Tochter des Flussgottes Peneus, die von Apollon gestalkt und
von ihrem Vater gerettet wurde, indem er sie in einen Baum verwandelte. Die
Darstellung hat ein feministisches Element, weil sie sie zum ersten Mal als
eigenständige Persönlichkeit, ohne ihren Verfolger, zeigt.
Im fast leeren Ausstellungsraum ist ein dunkler Kasten, in dem die Figur
von draußen umgekehrt an die Wand projiziert wird, verwoben mit den Bäumen
des Gartens. Maria Toumazou hat in die Tür eine Lochkamera eingebaut, eine
Camera Obscura. Diese Kamera „ist das erste optische Tool der
Menschheitsgeschichte“, sagt die Kuratorin. „Sie macht aus Licht und
Schatten ein Bild“. Zu jeder Tages- und Jahreszeit ist dieses Bild ein
anderes.
Toumazou ist gelernte Fotografin und hat sich viel mit der Aufzeichnung von
Bildern, Zeit und Vergänglichkeit beschäftigt, sagt Paula Komoss. Deshalb
heißt die Ausstellung auch „Half Frame“. Die Einführung der
Halbformatkameras ermöglichte in den 1960er-Jahren eine Belichtung von 24
statt bisher 12 Bildern auf einem Film. Gleichzeitig spielt der Titel auch
auf die Teilung ihrer Heimatinsel Zpern an.
Mit der Kamera Obscura entsteht eine Verbindung zum Außenraum, sagt die
Kuratorin. Diese Verbindung stellen auch zwei unscheinbare Projektionen im
Pavillon her, die Fotografien mit Details vom Dach zeigen. Darüber leuchten
wie Film-Negative die schmalen Dachfenster.
Hätten die beiden Zuschauerinnen vor der Kirche diese hintergründige
Konzeptkunst ohne Kuratorin-Führung verstanden? Wohl eher nicht. Ihrem
eigenen Anspruch wird die neue Leiterin des Kunsthauses jedenfalls gerecht:
Die Zuschauer*innen herauszufordern.
31 Mar 2025
## AUTOREN
Friederike Grabitz
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