# taz.de -- zwischen den rillen: Vom Abgrund ins Utopische | |
Bild: Spellling: „Portrait of My Heart“ (Sacred Bones/Cargo) | |
Was macht eigentlich der Hype um Narzissmus mit der eigenen Rezeption von | |
Kunst? Warnhinweise von und vor Egomanen lauern derzeit an jeder Ecke. | |
Aktuell denkt man da zum Beispiel an die Tiktok-Schocker-Theorie von den | |
„düsteren Empathen“, also Menschen, die zwar Mitgefühl zeigen, aber bloß, | |
um andere besser manipulieren zu können. | |
Im Pop werden übergroße Egos paradoxerweise gerade mehr denn je zur Schau | |
gestellt. Die kalifornische Sängerin Chrystia Cabral alias Spellling ist | |
dafür eigentlich kein Beispiel – und doch lässt sich ihr neues Album | |
„Portrait of My Heart“, das gerade beim US-Indielabel Sacred Bones | |
erschienen ist, unbedingt als Beitrag zum Thema Selbstbezüglichkeit lesen. | |
Cabral, die zwei Semester Philosophie und später englische Literatur | |
studiert hat, überrascht gerne mit eigenwilliger Dramaturgie. Das hat die | |
33-Jährige schon mit ihrem Album „The Turning Wheel“ (2021) gezeigt, das | |
stilistisch durchaus zwiegespalten war. | |
Hier knüpft das neue Werk nun an – und setzt noch eins drauf. Einige Tracks | |
zelebrieren heterogenen, aber eingängigen Großraumrock für | |
Antiheld:innen in einer düsteren Welt: etwa „Alibi“ mit seinen | |
monumentalen Gitarrenriffs von Turnstile-Gitarrist Pat McCrory. Cabrals | |
Songtext handelt von der Befreiung aus einer schädlichen Beziehung, die | |
Musik ließe sich als fröhlicher Poppunk bezeichnen, wenn nicht ein bitterer | |
Beigeschmack von später Selbsterkenntnis mitschwingen würde: „You’re a | |
psychopath / And I loved you for that“. | |
Die wonnige Popballade „Mount Analogue“, bei der [1][Chaz Bear von Toro y | |
Moi] mitsingt, hätte mit ihren sanft in Hall geschmiegten Melodien auch | |
einer Girlgroup der 90er Jahre gut gestanden. Dann ist da „Ammunition“, ein | |
eigenbrötlerisch dramatisches Hörstück, in dem sich die Hauptperson in | |
Bonnie-&-Clyde-Manier hingebungsvoll als Munition ihres Herzliebs anpreist. | |
Und weil es so einen Gegensatz darstellt, sei zu guter Letzt noch das | |
Nu-Metal-Brett „Satisfaction“ genannt. Es hat keine gängige Songstruktur, | |
dafür brachiale Bässe, 80er-Jahre-Synths, ein rasantes Gitarrensolo und wie | |
von fern schallende Growls. Cabral lässt uns damit spüren: In ihrem Herzen | |
geht es wild und dröhnend zu. | |
## Dystopisches Geschehen | |
Nebst allen energetischen Grundtönen sind Spelllings Zuhörer:innen | |
immer Teil eines sehr dramatischen, gar dystopischen Geschehens. Cabral ist | |
Fan von Musicals und [2][der griechischen Tragödie]. Ihre Texte handeln von | |
Selbsthass („Drain“), Selbstbejahung im Glauben ans Schicksal („Destiny | |
Arrives“) oder der Sinnsuche am Rande des Wahnsinns („Waterfall“): „Clo… | |
my eyes, feel me now / I don’t know how you could not love me now“ singt | |
sie dann im Finale, und das hat Schmunzelpotenzial. Denn so impulsiv das | |
Album klingen mag – in seiner Demonstrationsgewalt eines künstlerisches | |
Egos bleibt es trotzdem vage. | |
Dazu passt, wie Cabral über ihre eigene Musik redet. „Meine | |
Introvertiertheit und meine Kühnheit sind zwei Seiten derselben Medaille“, | |
sagt sie in einem Interview mit dem Youtuber Anthony Fantano. „Meine Musik | |
soll Menschen berühren, die sich damit identifizieren können.“ Man könnte | |
Spellling das Überborden ihres mystifizierten Eklektizismus als | |
unpersönlich krumm nehmen. Tatsächlich droht ihr Artrock zuweilen ins | |
Phrasenhafte abzudriften. Man kann sich aber von „Portrait of My Heart“ | |
auch daran erinnern lassen, dass in der Musik als Teil des Idealen, anders | |
als in der realen Welt, Utopie und Dystopie in eins fallen können. | |
Vielleicht kann sie gerade deshalb so was wie ein universelles Alter Ego | |
schaffen, das uns alle verbindet. Also quasi: ein Herz, das für alle | |
dröhnt. Jana-Maria Mayer | |
13 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jana-Maria Mayer | |
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