# taz.de -- Can Dündar und die Strategien des türkischen Machthabers: Wie Erd… | |
> Der Journalist Can Dündar im Gespräch über Erdoğans Versuche, seine Macht | |
> zu zementieren und die fragwürdigen neuen Machthaber in Syrien. Can | |
> Dündar diskutiert auch auf dem taz lab 2025. | |
Bild: Erdoğan und Al-Schaara auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Präside… | |
taz lab: Herr Dündar, [1][am Mittwoch wurde der Istanbuler Bürgermeister | |
İmamoğlu festgenommen], der sich bei der nächsten Wahl zum | |
Präsidentschaftskandidaten ausrufen lassen wollte. Erdogan scheint große | |
Angst zu haben, diese zu verlieren. Läuft seine Zeit ab? | |
Can Dündar: Ja, er hat erkannt, dass er von nun an keine demokratische Wahl | |
mehr gewinnen kann. Deshalb wendet er die Putin-Taktik an: Verhaftung | |
seiner Rivalen, Inhaftierung seiner Gegner, Versuch, durch Wahlfälschung an | |
der Macht zu bleiben. Das jüngste Vorgehen gegen İmamoğlu ist ein Zeichen | |
für diese Verzweiflung. Aber es ist auch ein Zeichen für seine | |
Entscheidung, zur vollständigen Autokratie überzugehen. | |
taz lab: Die Ergeignisse überschlagen sich: [2][Vor kurzem rief Abdullah | |
Öcalan, der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), seine Partei dazu | |
auf, sich aufzulösen]. Was sind die Gründe dafür? | |
Can Dündar: Es ist bemerkenswert, dass Erdoğans Koalitionspartner Bahçeli | |
von der rechtsnationalistischen MHP im Herbst auf Öcalan zuging. Die Gründe | |
lassen sich auf drei Ebenen zusammenfassen: politisch, militärisch und | |
diplomatisch. Zunächst braucht Erdoğan innenpolitisch die Unterstützung der | |
Kurden, um seine dritte Amtszeit zu sichern. Dazu müsste er die Verfassung | |
ändern, wozu das Bündnis mit der MHP allein nicht ausreicht. | |
Was sind die diplomatischen und militärischen Gründe? | |
Mit einem Machtwechsel in Syrien Einfluss auf die Zukunft des Landes zu | |
gewinnen – vorausgesetzt, die Kurdenfrage wird geklärt. Militärisch | |
gesehen, stehen die kurdischen Guerillas durch türkische Drohnenangriffe | |
stark unter Druck. Sie sitzen im Irak fest, sind massiv eingeschränkt und | |
können in der Türkei kaum aktiv werden. Die Waffenruhe kam für sie daher | |
zum richtigen Zeitpunkt. Es sieht nach einer Win-in-Situation für beide | |
Seiten aus. | |
Können die Kurden im Gegenzug Zugeständnisse erwarten? | |
Das ist die zentrale Frage. Von der Erdoğan-Regierung ist bislang nichts zu | |
hören. Doch die Kurden erwarten vermutlich eine Amnestie und vor allem eine | |
Verfassungsänderung, die ihre Existenz und ihre Rechte anerkennt. Bisher | |
ignoriert die türkische Verfassung mehr als zehn Millionen Kurden im Land. | |
Die kommenden Monate werden zeigen, ob Erdoğan wirklich bereit ist, diesen | |
Schritt zu gehen. | |
Parallel zur sogenannten Friedensinitiative gibt es Repressionen gegen | |
Journalisten und die kurdische Bevölkerung. [3][Zuletzt wurde die | |
Journalistin Elif Akgül inhaftiert.] Welche Strategie verfolgt Ankara hier? | |
Das ist eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche. Auf der einen Seite wird | |
ein Friedensprozess angestrebt, auf der anderen Seite wird durch massiven | |
Druck vermittelt, was passiert, wenn man sich nicht fügt. Diese Strategie | |
dient vor allem dazu, Kontrolle zu demonstrieren und die Bevölkerung | |
einzuschüchtern. | |
Ist es möglich, dass gar nicht Erdoğan hinter dem Friedensprozess steht, | |
sondern, dass er von der rechtsnationalistischen MHP getrieben wird? | |
Viele Kurden glauben tatsächlich, dass Erdoğan kein ernsthaftes Interesse | |
am Frieden hat. Ein Erfolg könnte seine Macht gefährden, da sich Autokraten | |
ihre Herrschaft oft durch die Konstruktion einer ständigen Bedrohung | |
absichern. Wahrscheinlicher aber ist es, dass Erdoğan und die AKP die | |
treibenden Kräfte sind – schlicht, weil es keine andere Kraft mit | |
vergleichbarer Macht gibt. | |
Sie haben angedeutet, dass die Initiative von Bahçeli und der Sturz des | |
Assad-Regimes zusammenhängen. Inwieweit nutzt Erdoğan die | |
[4][Machtübernahme der HTS-Rebellen] in Syrien, um Einfluss zu nehmen? | |
Erdoğan präsentiert diese Entwicklung als politischen Erfolg, da er die | |
HTS-Rebellen die letzten 14 Jahre unterstützt hat. Für ihn ist das nun eine | |
günstige Ausgangslage. Das gemeinsame Ziel wird es sein, uneingeschränkte | |
Kontrolle auszuüben. Die Situation ist äußerst fragil, was sich auch in den | |
aktuellen Verhandlungen über die Verfassung in Syrien zeigt. Das Problem | |
ist aber das Geld. Die Türkei verfügt nicht über ausreichende Mittel, um | |
umfassenden Einfluss auszuüben, und es gibt viele Akteure, die über die | |
Zukunft Syriens mitreden wollen. | |
Wie wird sich die Situation in Syrien Ihrer Meinung nach weiterentwickeln? | |
Die HTS unter ihrem Anführer al-Scharaa geben sich jetzt als seriöse | |
Akteure, tragen Anzüge, präsentieren sich als moderat. Das erinnert mich an | |
Erdoğan vor 20 Jahren, als er sich als liberaler Hoffnungsträger | |
präsentierte. Doch am Ende zeigt sich das wahre Gesicht. Ich glaube nicht, | |
dass Dschihadisten sich einfach in liberale Demokraten verwandeln können. | |
Die internationale Gemeinschaft muss hier äußerst vorsichtig sein. | |
🐾 Can Dündar spricht auf dem taz lab über die aktuellen Ereignisse in der | |
Türkei und den Einfluss auf die Dynamik in Syrien um 16 Uhr auf der Blauen | |
Bühne | |
20 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Moritz Martin | |
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