# taz.de -- „Geh aus dem Weg – und gib den Blick frei“ | |
> INGLOURIOUS BASTERDS Er ist ein Meister der zynischen Energie: der | |
> Schauspieler Christoph Waltz aus Wien. Ab 20. August ist er als | |
> SS-Hauptmann in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ im Kino zu | |
> sehen. Ein Gespräch über Kriegs-filme, Sprachlust und aufgeklebte | |
> Hitlerbärtchen | |
INTERVIEW STEFAN GRISSEMANN | |
taz: Herr Waltz, Sie wurden vor wenigen Wochen in Cannes für Ihre | |
Darstellung des Hans Landa in Tarantinos „Inglourious Basterds“ als bester | |
Schauspieler ausgezeichnet … | |
Christoph Waltz: Moment, halt! Nix „bester“! Der Superlativ wird in Cannes | |
stilvollerweise weggelassen, das ist bloß der „Prix d’interprétation | |
masculine“. | |
Allerdings der einzige. | |
Na ja, das schon. | |
Sie haben das Schauspielern als einen „Albtraumberuf“ bezeichnet. Wieso | |
mögen Sie Ihre Profession so wenig? | |
Weil man als Akteur im wahren Sinne des Wortes seine Haut zu Markte trägt. | |
Im Schauspieler stecken der Geschäftsmann und der Künstler, in dem wiederum | |
auch ein Autor und ein Regisseur seiner selbst stecken: Da fallen so viele | |
Dinge in einer Person zusammen, aber es ist halt nur eine Person. Ich kann | |
mir vorstellen, dass der Wunsch, Schauspieler zu werden, auf einer | |
fehlerhaften psychologischen Grunddisposition beruht – also mehr oder | |
weniger auf einer Entwicklungsstörung. | |
Wie meinen Sie das denn? | |
Jeder will irgendwann mal Schauspieler werden, aber die meisten entwachsen | |
diesem Wunsch sehr bald. Wer jedoch, diesen Beruf ergreift, ist offenbar | |
außerstande, jenem kindlichen Wunsch zu entwachsen. Nun macht aber auch der | |
Schauspieler diese Entwicklung natürlich irgendwann durch, nolens volens – | |
aber dann klebt einem der Beruf schon an der Backe. | |
Ist die Schauspielerei nicht auch deshalb so eine Gratwanderung, weil sie | |
eine so gewagte Mischung aus Narzissmus und Selbstkritik ist? | |
So hehr und geistig-idealistisch ist die Schauspielerei nicht. Es gibt auch | |
Ärzte, die ihren Job aus Leidenschaft und mit großer Ernsthaftigkeit | |
betreiben, andere wieder tun das bloß nebenbei, um sich den besten Golfklub | |
leisten zu können. | |
Als Sie das Drehbuch von „Inglourious Basterds“ lasen, hielten Sie es | |
zunächst für zu durchgeknallt? | |
Nicht für zu durchgeknallt. Für völlig durchgeknallt! | |
Aber schrittweise erkannten Sie seine Qualitäten. Hatten Sie kein Problem | |
damit, zu Ihrem SS-Mann eine Art von Liebe zu entdecken? | |
Überhaupt nicht. Sie meinen, weil der ein Nazi ist? | |
Ja, und er ist sadistisch, regelrecht dämonisch. | |
Das ist aber kein Problem. Der Akteur tut, was zu tun ist – und nicht das, | |
was er von der Sache hält. Denn Meinung ist schwer in Aktion umzusetzen. | |
Man könnte glauben, es sei unglaublich lustig, mit Quentin Tarantino zu | |
drehen. Er selbst fand es diesmal gar nicht amüsant, weil alles so schnell | |
gehen musste. Wie war das für Sie? Lustvoll? | |
Ja. Aber ich muss gestehen, je schwieriger mir etwas erscheint, desto | |
lieber hab ich’s. Ich komme gern an den Punkt, an dem all das, was mir zur | |
Verfügung steht, gefordert ist. Weil ich immer gern wissen würde, ob mir | |
doch noch ein bisschen mehr zur Verfügung steht als das, womit ich mich so | |
begnüge. Und dafür ist im Kino letztlich mehr Platz – schlicht deshalb, | |
weil sich mehr Beteiligte dies wünschen. | |
Haben Sie beim Drehen starke Nerven? Können Sie den achten Take nach | |
gescheiterten sieben Aufnahmen noch unbelastet absolvieren? | |
Na, unbelastet hätte ja keinen Sinn. Aber versuchen würde ich’s in jedem | |
Fall. Ich hab mal stärkere Nerven, mal schwächere, aber bei Wiederholungen | |
laufe ich warm, das ist meine Spezialität. | |
Sie spielen diesen Hans Landa in Tarantinos Film mit viel komischer | |
Energie: Das ist ein Sprach- und Sprechspieler – und ein Ordnungsfanatiker. | |
Hatten Sie da Modelle? | |
Nein! Es wurde irgendwann mal modern, sich an lebenden oder toten Figuren | |
zu orientieren. Ich verweigere das kategorisch. Nicht weil es schädlich | |
wäre, die Verhaltensweisen historischer Figuren zu studieren, sondern weil | |
ich nicht weiß, was genau mir das bringen sollte. Natürlich schau ich mich | |
um; aber ich vertiefe mich nicht in konkrete Modelle. Sonst würde ich mich | |
ja immer nur an Sekundärmaterial halten. | |
Großes dramatisches Schauspiel mögen Sie demnach nicht so, oder? | |
Ich empfinde als Zuschauer dramatische Schauspielerei als Behinderung. Ich | |
will mich nicht dafür schämen müssen, mein Hirn angeschaltet zu lassen, | |
wenn ich ins Kino gehe. Als Zuschauer wird mir durch zu viel Schauspielerei | |
oft der Blick verstellt. Ich will aber als Schauspieler den Blick des | |
Zuschauers auf die Inhalte lieber frei machen. Im Grunde lässt sich mein | |
Berufsverständnis auf einen Satz reduzieren: Geh aus dem Weg – und gib den | |
Blick frei auf das, was wirklich wichtig ist! | |
NS-Dramen sind im deutschsprachigen Kino omnipräsent. Die wüste | |
Trash-Operette „Inglourious Basterds“ ist die Antithese dazu. Stehen Sie | |
scheinhistorischen Unternehmungen wie dem Film „Der Untergang“ kritisch | |
gegenüber? | |
Nicht bloß kritisch, sondern mit aller Vehemenz in Opposition. Ich halte | |
die Behauptung, zu wissen, was wahr ist, und die Verwertung von Geschichte | |
in Spielfilmen für dubios, eigentlich sogar: für von Grund auf abzulehnen. | |
Ich sehe nicht ein, wieso ein Staatsschauspieler, dem man ein Bärtchen | |
aufgeklebt hat, mehr Anspruch auf Wahrheit haben sollte als irgendeine | |
Kasperlpuppe. | |
Martin Wuttke legt seinen Hitler in „Inglourious Basterds“ gleich offensiv | |
als eine solche Kasperlpuppe an. | |
Ich finde es nicht nur legitim, sondern nachgerade zwingend, Hitler derart | |
überzogen komödiantisch zu spielen. Sonst stünde ja auch Tarantino selbst | |
mit einem Bein in dieser vor Ergriffenheit bibbernden Wahrheitsnummer. | |
Natürlich gibt es historische Fakten. Aber in dem Moment, wo ich eine | |
Kamera aufstelle, entferne ich mich automatisch von den Fakten. Das | |
Resultat ist eine Erzählung. Und wo soll eine Erzählung, die von sich | |
behauptet, die Realität abzubilden, näher an der Wahrheit sein als die von | |
Quentin Tarantino? | |
Tarantino ist eben näher an der Obszönität der NS-Historie. Die angepasste | |
Form eines Films wie „Der Untergang“ verrät die Wirklichkeit ungleich mehr | |
als ein vulgärer Cartoon wie „Inglourious Basterds“. | |
Ja, und Filme wie „Der Untergang“ dienen nur dazu, dass wir uns ohne großen | |
Aufwand auf der richtigen, nämlich der sicheren Seite wähnen können. Unsere | |
kritischen Fakultäten müssen wir da gar nicht mehr anknipsen, weil diese | |
Filme uns bestätigen, dass eh alles in Ordnung ist. | |
Ihre Filmografie umfasst bereits an die 100 Arbeiten. Halten Sie sich für | |
einen extrem produktiven Schauspieler? | |
Weiß ich nicht, nein. Da sind ja auch viele Lebenskostenerhaltungsjobs | |
dabei. Und ich bin halt lange dabei. Da kommt schon was zusammen. | |
Am Theater arbeiten Sie bereits seit 15 Jahren nicht mehr. Warum nicht? | |
Ich komme da, ehrlich gesagt, nicht mehr mit. Ich kann nicht mehr | |
wahrnehmen, was am Theater passiert. Mein kognitiver Apparat scheint da | |
falsch verdrahtet zu sein. Ich versteh’s nicht mehr. Dabei bemühe ich mich | |
sehr, versuche, mir die Dinge unbelastet anzuschauen – so ein bisschen mit | |
Kinderaugen, wenn ich das Klischee bemühen darf. | |
„Inglourious Basterds“ ist auch ein Film über Sprache, über die Um- und | |
Abwege des Redens. Dabei haben Sie es geschafft, den Tarantino-Swing ins | |
Wienerische zu übersetzen. | |
Das kam dem US-Original am allernächsten. Denn das Wienerische hat zum | |
Glück eine etwas andere Syntax als das Hochdeutsche – und sie war mit | |
Tarantinos Text fast identisch! Im Wienerischen wird mit dem Verb am Ende | |
des Satzes ja gern ein bisschen großzügiger umgegangen – und manchmal wird | |
es in den Satz mitten hineingesetzt. Das Hochdeutsche, stelle ich fest, | |
eignet sich für Komödien weit weniger gut, gerade wegen dieser Syntax. | |
Wienerisch dagegen ist eine ungleich lustvollere, daher auch lustigere Art | |
des Deutschen. | |
In diesem dringenden Interesse an der Sprache scheinen Sie mit Ihrer Figur | |
in Tarantinos Film, Hans Landa, sehr übereinzustimmen. | |
Vielleicht, ja. Das Performative der Sprache steht bei Tarantino ja im | |
Zentrum – und dabei geht es immer auch um das Bilden einer Realität und | |
einer Art der Wahrheit. | |
Rechnen Sie sich eine Chance bei der Oscar-Verleihung 2010 aus? Sie sind | |
als Anwärter auf eine Nominierung bereits im Gespräch. | |
Selbst wenn ich meine kurzen Anflüge von Größenwahn habe, ist der Gedanke | |
an solche Auszeichnungen für mich kein Thema. Die Herumrechnerei am Erfolg | |
macht wahnsinnig schwer, behindert nur die Fantasie für andere, lohnendere | |
Dinge. | |
15 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
STEFAN GRISSEMANN | |
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