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# taz.de -- „Kapitalismus sabotieren wäre schön“
> Der Hamburger Rapper Jace setzt auf humorvolle Verpackung auch für ernste
> Inhalte. Sein Album „9 Leben“ gehörte im vergangenen Jahr zu den besten
> im deutschen Hip-Hop. Aufgewachsen ist der knapp einem Juristendasein
> Entgangene im leicht zu übersehenden Stadtteil Groß Borstel – ein
> Rundgang
Bild: Hat „keine Straßengeschichten zu erzählen“, sagt er selbst: Jace, R…
Von Victor Efevberha
Freitagabend, U-Bahnhof Lattenkamp, Hamburg-Winterhude. Es regnet, Menschen
strömen aus der Bahn. Unter ihnen Jace, Mütze auf, Zigarette in der Hand.
„Die letzte im Trockenen“, sagt er grinsend. Dann geht es los nach Groß
Borstel, dem benachbarten Stadtteil zwischen Eppendorf, gern als „fein“
oder „nobel“ bezeichnet, und dem Flughafen, den sie in Hamburg nach Helmut
Schmidt benannt haben. So still, so ruhig ist es hier, man könnte den
Stadtteil glatt übersehen.
„Hier passiert nix – und genau das hat mir immer gefallen“: Trotzdem wohnt
Jace – der eigentlich Jacob heißt – längst nicht mehr in diesem so ruhigen
Groß Borstel, ihn hat es vor sieben Jahren schon nach Altona verschlagen,
weiter westlich, näher an der Elbe. Jace, Abi-Jahrgang 2014, kennt die
Facetten Hamburgs, bis zur 10. Klasse ging er auf ein Elitegymnasium an der
Alster; eine Zeit, die ihn beinahe mehr prägen sollte als das Aufwachsen in
Groß Borstel. „In meiner Klasse waren nicht nur reiche Kids“, sagt er,
„aber ansonsten gab es auf der Schule schon viele schmierige Leute.“
Seine Schulzeit arbeitet er auch in seinen Songs auf: „Groß geworden
zwischen Ralph Lauren und Timbalands-Bootsschuh’n / Broke Kids werd’n hier
zum Abschuss freigegeben wie Moorhuhn“, rappt er im Song „Mohnblumen“.
Obwohl er die Zeit als Schüler nicht vermisst, ist er dankbar für die
damals gemachten Erfahrungen. Vor allem, weil er in eine soziale Schicht
hineinblicken durfte, zu der er selbst nicht gehört, die aber um ihn herum
immer existiert hat. „In Hamburg bleiben soziale Klassen oft getrennt“,
sagt Jace. „Es gibt kaum Orte, wo sie wirklich aufeinandertreffen.“
Groß Borstel polarisiert nicht wie Eppendorf, die [1][hochpreisige
Einkaufsstraße Neuer Wall] oder, in St. Georg gleich beim Hauptbahnhof,
[2][der Hansaplatz]. Es ist nicht, was häufig „sozialer Brennpunkt“ heißt,
aber auch kein Reichenghetto. Viele Probleme spielen sich hinter
verschlossenen Türen ab. Rund ein Viertel der Haushalte sind
alleinerziehend, besagen die Zahlen des Statistikamtes Nord – auch Jace ist
so aufgewachsen. „Hab den Kopf von mei’m Papa und das Herz meiner Mama /
Seitdem ich denken kann, kämpfen die gegeneinander“, rappt er in
„Gegenander“. Er spricht davon, dass seine Eltern lange ihre eigenen
„Faxen“ hatten. Er weiß aber auch, dass getrennte Eltern nicht sein
exklusives Problem sind.
In seinen Liedern schafft er es, solche Probleme in humorvollen Anekdoten
zu illustrieren, ohne wehleidig zu klingen: „Mama ist beschäftigt, ja sie
kümmert sich um alles / Kenne Pro Sieben auswendig, weil der Tag lang is’“,
heißt es in „Gegenander“. Auf seinem [3][Album „9 Leben“] ist es vor a…
dieser spezifische Humor, mit dem er es schafft, über persönliche Krisen zu
rappen – und sie zu verarbeiten. „Pradaschuhe mit dem Klettverschluss /
Mein Konto sagt, dass ich mich bessern muss“ ( „Mohnblumen“): Ein Witz und
Kapitalismuskritik in einer Zeile – es zeigt, wie man sich den Symbolen
eines Systems unterwirft, das die Menschen eigentlich ausbeutet. Ein
Dilemma, dessen sich Jace durchaus bewusst ist: „Weiß nicht, ob es da eine
Lösung gibt, außer in die Kommune zu ziehen“, sagt er. „Selbst da hast du
immer noch eine Sozialversicherungsnummer.“
Jace sieht den Humor in seinen Songs als sein Alleinstellungsmerkmal
innerhalb der Deutschrap-Szene. Die besteht zwar in Wirklichkeit gar nicht
nur aus jungen Männern, die über Drogenhandel, Mord und Totschlag rappen –
aber genau so wird sie halt doch von außen wahrgenommen. „Humor ist meine
Nische, weil ich jetzt keine Straßengeschichten zu erzählen habe.“
Jace’Zeilen spielen mit dem Komischen, klingen aber nie albern, weil er
dann durch die Blume immer wieder ernste Themen anspricht: Entfremdung in
der Großstadt, Einsamkeit, Armut. Das alles im Storytelling-Format, einer
fast ausgestorbene Kunst im zeitgenössischen Deutschrap. Durch diesen
Rückgriff steht er mit seiner Musik dann, ein wenig paradox, auch für
Fortschritt innerhalb der Szene. Jace erzählt auch die Geschichten einer
aussterbenden Mittelschicht, wie Johann Voigt es in der taz-Rezension von
„9 Leben“ feststellte. „Wurde groß, weit weg von ’nem Brennpunkt / Ja …
droh’n Mama mit Pfändung“ heißt es in „ Atlantis“.
„So sieht Groß Borstel aus: Rotklinkerblocks neben Einfamilienhäusern“: D…
Spaziergang wird immer mal wieder unterbrochen. Dann zeigt Jace etwa seine
alte Grundschule: „Viel grün, Töpferkurse“, erinnert er sich. „War sch�…
hier.“
Vor einer Fast-Food-Filiale zieht er noch mal an seiner letzten Zigarette:
„Kapitalismus sabotieren wäre schön“, sagt Jace, der mal ganz kurz Jura
studiert hat. „Aber am Ende landen wir alle doch wieder hier.“ Grinst
wieder – und geht rein.
7 Feb 2025
## LINKS
[1] /Hamburger-Musiker-Konstantin-Unwohl/!6019999/
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## AUTOREN
Victor Efevberha
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