# taz.de -- Von Syrien ins schwäbische Rathaus: „Die Menschen haben den Aust… | |
> Ryyan Alshebl erzählt von seinem Bürgermeisteramt in Ostelsheim, | |
> Haustürenwahlkampf, überraschenden Begegnungen bei seiner Ankunft aus | |
> Syrien und dem Sturz des Assad-Regimes. | |
Bild: Alshebl versucht, mit den Leuten vor Ort ins Gespräch zu kommen | |
taz lab: Herr Alshebl, was läuft momentan gut, wie können wir weitermachen? | |
[1][Ryyan Alshebl]: Wir versuchen gerade, in Ostelsheim ein Windparkprojekt | |
zu realisieren. Deutschland ist da auf einem sehr guten Weg. Wir haben | |
jetzt sogar die 60-Prozent-Marke erneuerbarer Energien in der | |
Gesamtstromerzeugung geknackt. Und damit möchte ich in meiner | |
Kommunalpolitik weitermachen. | |
Warum wollten Sie Bürgermeister von Ostelsheim werden? | |
Ich bin von Haus aus ein politisch interessierter Mensch, und als ich aus | |
Syrien nach Deutschland gekommen bin, habe ich festgestellt, wenn man hier | |
etwas in der Politik machen möchte, ist der Weg frei. Man kann sich | |
einbringen. 2017, zwei Jahre nach meiner Ankunft in Deutschland, bin ich | |
bei den Grünen eingetreten. | |
Wie war es, in Baden-Württemberg in einer kleinen Gemeinde anzukommen? | |
Die Frage ist, wie sieht die mögliche Ablehnung aus. Spiegelt sie sich | |
wider in Form von Gewalt, Hass und Hetze, oder in Form von Skepsis und | |
Dialogbedarf? Meine Erfahrung ist eher das Zweite. | |
Haben Sie nach Ihrer Ankunft vielleicht auch selbst einen Kulturschock | |
gehabt? | |
Ich kam mit 21 hier an. Klar, erlebt man Kulturschocks am Anfang jeden Tag. | |
Gibt es Situationen, über die sie noch lachen können oder die Ihnen | |
besonders in Erinnerung geblieben sind? | |
Ja. Als wir hier angekommen sind, gab es ein sehr nettes Ehepaar, das uns | |
unterstützt hat. Einmal haben sie meinen Kumpel und mich zu sich nach Hause | |
zum Essen eingeladen und dann kam ihr Hund in den Raum, in dem wir saßen. | |
Er wurde von der Gastgeberin vorgestellt: er sei auch ein Flüchtling wie | |
wir. Mit einem Hund verglichen zu werden, das ist für jemanden, der aus dem | |
arabischen Kulturkreis kommt, die tiefste Beleidigung. Da mussten wir schon | |
zweimal schlucken. Aber das ist normal hier. | |
Auf welche Resonanz sind Sie hier mit Ihrer Kandidatur gestoßen? | |
Die Leute hier sind sehr bedacht. Sie zeigen sich nicht abgeneigt gegenüber | |
jemandem, der aus Syrien kommt und Bürgermeister werden will. Meiner | |
Erfahrung nach ist es ein Irrglaube zu denken, eine konservative Gemeinde | |
akzeptiere meine Kandidatur als Bürgermeister nicht. Außerdem ist die | |
Debattenkultur hier eine sachliche. Die sozialen Fragen, die eher | |
Metropolen betreffen, in denen es sehr arme und reiche Stadtviertel gibt | |
und Menschen teils unter prekären sozialen Umständen leiden, spielen hier | |
keine Rolle. Den Menschen geht es hier weitgehend gut. Es ist harmonisch. | |
Es findet keine politische Polarisierung statt. | |
Sie haben Haustürwahlkampf betrieben. Wurden Sie tatsächlich an den | |
Küchentisch geholt, um sich mit den Leuten zu unterhalten? | |
Zum Teil ja. Ich habe im Mittagsblatt angeboten, mich bei Redebedarf zu | |
sich nach Hause einzuladen. Meistens haben wir dann Kaffee getrunken. Die | |
Menschen waren offen und haben den Austausch gesucht. | |
Dadurch haben Sie Ostelsheim besser kennengelernt? | |
Genau, und auch ein Stück weit die Menschen dort. | |
Wie haben Sie auf den Sturz Assads reagiert? | |
Für mich, für meine Generation und sogar für die meiner Eltern war es nicht | |
vorstellbar, dass dieses Regime überhaupt stürzbar ist. Mein Vater, der | |
1955 geboren ist, war 15 Jahre alt, als der Vater von Assad die Macht | |
übernahm. Seitdem regiert dieses Regime und es hat sich ja auch mehrmals | |
retten können. Der Sturz des Regimes hat mich zutiefst beeindruckt. Ich | |
habe geweint und ich habe es nicht fassen können, dass es Wirklichkeit ist. | |
Da passiert etwas, das man nicht wirklich einordnen kann. | |
Wie könnte ein Wiederaufbau aussehen und welche Rolle können Sie dabei | |
spielen? | |
Die Themen neuer Staat, Wiederaufbau und Entwicklungshilfe in Syrien werden | |
mich natürlich persönlich beschäftigen. Und die Frage wie ich als deutscher | |
Kommunalpolitiker den Menschen dort konkret helfen kann. Ich habe ein | |
Netzwerk gegründet, das in den nächsten Tagen online gehen sollte. Wir sind | |
Bestandteil eines bereits bestehenden Vereins namens Netzwerk Globale | |
Brücke. Hauptsächlich Syrer, Deutsch-Syrer und Deutsche, die sich | |
zusammenschließen, um Projekte im Bereich der Übergangshilfe und des | |
Wiederaufbaus in Syrien zu realisieren. Gerade arbeiten wir an einem | |
Krankenhaus in Syrien, das etwa 120.000 Menschen versorgt, um es | |
wiederzubeleben. Das ist eine Mordsaufgabe. | |
■ Mehr von Begegnungen in Ostelsheim und seiner Arbeit als Bürgermeister, | |
sowie von der Lage in Syrien, wird Alshebl auf dem [2][tazlab] sprechen. Um | |
keine Ankündigungen zu verpassen, kann der [3][Infobrief] Sie auf dem | |
Laufenden halten. | |
11 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Schwaebischer-Buergermeister-aus-Syrien/!5942018 | |
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[3] /taz-lab-Infobrief/!v=ab680df0-0d2c-4892-b901-2412e0a7b8eb/ | |
## AUTOREN | |
Wilma Johannssen | |
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