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# taz.de -- Eine Funktion, die erfüllt werden muss
> Philip Pettit verteidigt in seinem neuen Buch den Rechtsstaat mit
> funktionierender Gewaltenteilung. Ist seine Methode richtig gewählt?
Von Hanno Rehlinger
[1][Donald Trump unterschreibt pausenlos Dekrete im Weißen Haus], in Europa
ziehen rechtsradikale Parteien in die Parlamente, Israels Premierminister
Netanjahu schafft in Israel nach und nach die Gewaltenteilung ab. Was macht
Philip Pettit? Er schreibt eine Apologie des Rechtsstaats.
Der ursprünglich aus Irland kommende Philosoph ist im breiten Mainstream,
aber auch bei linken Denkern stark rezipiert worden. Unter anderem, weil
seine Theorie Freiheit von Handlungsmacht abhängig macht, nicht nur davon,
dass alle einen in Ruhe lassen. Bekannt über philosophische Kreise hinaus
wurde er vor allem durch seine enge Beziehung mit dem ehemaligen spanischen
Ministerpräsidenten José Zapatero, für dessen politische Reformen Pettit
den philosophischen Rahmen lieferte.
Im ersten Teil seines neuen Buches „The State“ versucht Pettit, den
modernen Rechtsstaat zu verteidigen, ohne eine anspruchsvolle moralische
Theorie zu bemühen. Dazu führt er die Leserin durch ein Gedankenexperiment.
Seine These: Wir Menschen hätten unter allen möglichen Bedingungen immer so
etwas wie einen Staat gegründet, um zu garantieren, dass niemand die
anderen willkürlich dominieren kann. Diese Funktion – so Pettits Argument –
kann der Staat am besten ausfüllen, wenn er ein Rechtsstaat mit
funktionierender Gewaltenteilung ist. Man muss also keine bestimmten Werte
teilen, um am europäisch geprägten Modell des Rechtsstaates festzuhalten.
Es reicht, sich darauf zu besinnen, dass er eine Funktion erfüllt, die
erfüllt werden muss.
Aus dieser Funktion lässt sich laut Pettit noch einiges anderes schließen.
In der zweiten Hälfte seines Buches argumentiert er deshalb scharf gegen
libertäre Positionen wie jene, die behauptet, dass jede staatliche
Intervention zwangsläufig gegen „natürliche Rechte“ verstoße oder in ein…
idealen Markt eingreife. So überholt diese Überzeugungen für viele Europäer
klingen, gehören sie in den USA doch vielerorts zum guten Ton.
„The State“, bereits 2023 erschienen, ist international stürmisch
aufgenommen worden, in Deutschland wird eine Debatte um das Buch erst in
jüngerer Zeit geführt. Pettit wird als Thomas Hobbes des 21. Jahrhunderts
gefeiert. Dabei ist sein Buch im Unterschied zum „Leviathan“ gerade eines
nicht: überraschend. Ihm scheint es nicht darum zu gehen, eine neue
Perspektive zu eröffnen, sondern den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung zu
verteidigen, in einer Zeit, in der sie unter Beschuss stehen. Aber ist
seine Methode für dieses Ziel richtig gewählt?
Ein Gedankenexperiment dient dazu, vom tatsächlichen Verlauf der Geschichte
zu abstrahieren, um ein teleologisches Bild zu malen. Wenn die Autoritäten
an einem bestimmten Punkt von Pettits ahistorischem Gedankenexperiment
„kaum eine andere Wahl haben“, als eine Grenzpolizei einzuführen, oder, an
einem anderen, „sich gezwungen fühlen“ eine Armee aufzustellen, dann
scheint es, als sei die Entstehung des Staates auch zu anderen Zeiten
unausweichlich gewesen. Und zwar genauso, wie er uns seine hässliche Fratze
heute entgegenstreckt: als wehrhafter Nationalstaat mit Gewaltmonopol,
Grenzschutz und stehender Armee. Die Probleme, die zu diesen Entwicklungen
führen, sind laut Pettit eben nicht kontextabhängig, sondern universell.
Dass wir bei der Frage, was ein Problem ist, genauso viel mitzureden haben
wie bei der Frage, was eine Lösung sein könnte, wird ausgeblendet.
Auf diese Weise verschwinden die Potenziale wie die Gefahren gemeinsamen
Handelns aus dem Bild. Weder hätte es je anders sein können, noch kann es
ernstlich anders werden, denkt man sich vielleicht beruhigt, wenn man
Pettits Buch ins Regal schiebt – irgendwo zwischen Platon und Hobbes und
weit weg von den Zeitungen des Tages. Vielleicht bräuchte es im Angesicht
von Trump und Co stattdessen eine Theorie, die Alternativen sichtbar werden
lässt – sowohl die, die wir uns wünschen, als auch die, vor denen wir uns
fürchten. Eine Apologie droht allzu schnell zum Abgesang zu werden.
15 Feb 2025
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## AUTOREN
Hanno Rehlinger
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