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# taz.de -- taz🐾thema: Keine Chance auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung
> Jährlich erkranken 16.500 junge Erwachsene in Deutschland an Krebs. Sie
> leiden oft auch unter materiellen Sorgen. In mehr als 30 Städten tauschen
> sich Betroffene regelmäßig aus
Bild: Es geht darum, sich gegenseitig zu unterstützen und auch darum, gemeinsa…
Von Joachim Göres
„Heiraten, Kinder kriegen, Haus bauen – das ist für viele in unserem Alter
normal. Für mich und andere junge Menschen mit Krebs ist es das nicht.
Unsere Lebensumstände sind oft ganz anders“, sagt Hannah Schwier. 2019
erhielt sie erstmals die Diagnose Brustkrebs. Die heute 37-Jährige zog von
Stuttgart zurück zu ihren Eltern nach Ostwestfalen, weil sie in der ersten
Zeit mit Chemotherapie, Operation und Bestrahlung Unterstützung brauchte.
Im zweiten Therapiejahr arbeitete sie wieder in ihrem Beruf als
Schulsozialarbeiterin und Religionspädagogin in Stuttgart. Doch seit
Kurzem droht ihr erneut eine längere Zwangspause: Der Krebs ist wieder
aufgetreten, ab Mitte Februar beginnt eine viermonatige Chemotherapie.
Danach sind eine Reha und die Wiedereingliederung in den Beruf geplant.
Dauerhaft ist Schwier auf eine Antikörper- und Anti-Hormon-Therapie
angewiesen.
Heiraten, Kinder kriegen, Haus bauen – das sind eher Randthemen, wenn sich
die Frauen und Männer zwischen 24 und 39 Jahren einmal im Monat in Bars
oder Kneipen zwischen Minden und Paderborn treffen, zum Essen, Trinken,
Quatschen. Alle sind oder waren an Krebs erkrankt. Alle wissen, welche
Unsicherheit vor der Zukunft und welches Leiden damit verbunden ist. In
diesem Kreis müssen sie nicht erklären, welche körperlichen und emotionalen
Folgen eine Therapie haben kann. Und sie müssen keine Angst haben, dass
sich der Gesprächspartner überfordert fühlt. „Krankheit und Tod sind
schwere Themen. Nach Corona ist ein Teil der Freunde und des Umfelds durch
die unsichere Weltlage dünnhäutiger geworden und zieht sich schneller als
vor der Pandemie zurück, wenn sie von unserer Krebserkrankung erfahren“,
sagt Schwier, die heute in Herford lebt und zusammen mit Jennifer König den
Treffpunkt Ostwestfalen-Lippe für junge Menschen mit Krebs leitet.
Die 18 Mitglieder wissen auch, was eine langwierige Krebserkrankung
finanziell bedeutet. Nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit gibt es maximal
18 Monate Krankengeld, 70 Prozent des Bruttolohns. Ob man nach der Rückkehr
wieder an den alten Arbeitsplatz kann, ist oft ungewiss. Wer es in
eineinhalb Jahren nicht wieder in den Beruf schafft, dem droht mitunter
eine niedrige Erwerbsminderungsrente. Studierenden, die Bafög erhalten oder
sich das Studium mit kleinen Nebenjobs finanzieren, bricht die finanzielle
Basis weg. „Wir alle kennen Einschränkungen und haben dabei noch Glück,
dass uns Familie oder Partner oft finanziell unterstützen. Anderen
Betroffenen geht es schlechter“, berichtet Schwier.
Jährlich erkranken in Deutschland etwa 16.500 Menschen zwischen 18 und 39
sowie rund 2.200 Minderjährige an Krebs. Bei jungen Frauen steht an erster
Stelle Brustkrebs (33 Prozent), gefolgt von Hautkrebs (12) und
Schilddrüsenkrebs (11). Bei jungen Männern lautet die Reihenfolge:
Hodenkrebs (33 Prozent), Hautkrebs (9), Morbus Hodgkin (7). Mehr als 80
Prozent der Betroffenen können geheilt werden. Doch sie werden auch noch
viele Jahre nach der Heilung benachteiligt – darauf weist die Deutsche
Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs hin. Oftmals wird die Verbeamtung
abgelehnt, sie bekommen bestimmte Versicherungen nicht oder haben Nachteile
bei der Vergabe von Krediten. „Zur Absicherung eines Kredits sollte ich
eine Risikolebensversicherung abschließen. Aufgrund meiner mittlerweile
fast zwölf Jahre zurückliegenden Leukämieerkrankung sagte man mir, dass der
Abschluss unmöglich sei“, schildert die heute 40-jährige Miriam ihre
Erfahrungen.
Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs fordert deshalb ein
„Recht auf Vergessen“. Krebserkrankungen sollen nach der Zeit der
Heilungsbewährung – in der Regel nach fünf Jahren ohne Rückfall – keine
Relevanz mehr beim Abschluss von Finanz- oder Versicherungsverträgen haben.
Bei Fragen nach dem Gesundheitszustand sollen Betroffene die Erkrankung
nicht mehr angeben müssen. Die 2023 verabschiedete
Verbraucherkreditrichtlinie der EU sieht erstmals vor, dass alle
Mitgliedsstaaten bis Ende 2025 die Verwendung von Daten über eine
Krebserkrankung bei einer Entscheidung über einen Kredit nach einer
bestimmten Frist nicht mehr zulassen. „Acht europäische Staaten haben ein
Recht auf Vergessen auf nationaler Ebene umgesetzt. Deutschland gehört
nicht dazu“, kritisiert Felix Pawlowski, Pressesprecher der Stiftung. Er
fordert für Deutschland nicht nur die Umsetzung der
EU-Verbraucherkreditrichtlinie, sondern auch das Ende der
Benachteiligungen bei Versicherungen, Verbeamtungen oder Adoptionen.
In der Vergangenheit konnte die Stiftung bereits Verbesserungen erreichen.
So übernehmen Krankenkassen seit einigen Jahren die Kosten unter anderem
für das Einfrieren von Eizellen und Spermien vor dem Beginn einer
Krebstherapie, damit ein späterer Kinderwunsch ohne erhöhtes Risiko
realisiert werden kann.
Rund 1.000 junge Krebspatienten in mehr als 30 Städten zwischen Flensburg
und München besuchen wie Schwier regelmäßig die Treffpunkte der Deutschen
Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Man tauscht sich über aktuelle
Themen aus, die für den einzelnen gerade eine Rolle spielen. Man gibt sich
gegenseitig Tipps, zum Beispiel, wie man mit Nebenwirkungen einer Therapie
oder von Medikamenten besser zurechtkommt, spricht über Erfahrungen mit
Kliniken und Medizinern. Daneben geht es darum, gemeinsam aktiv zu sein und
ein paar schöne Stunden zu verbringen, bei einer Kanutour, beim
Minigolfspielen oder dem Besuch einer Kulturveranstaltung. Schwier: „Wir
sitzen nicht im Kreis, bei uns wird niemand gedrängt, etwas zu sagen. Wir
stützen uns gegenseitig, es herrscht eine vertrauensvolle Atmosphäre. Und
wir freuen uns über neue Gesichter.“
Mehr zu Standorten und Terminen der Gruppen unter
www.junge-erwachsene-mit-krebs.de/jung-und-krebs/treffpunkte/. Betroffene
erzählen ihre Geschichten auf
www.junge-erwachsene-mit-krebs.de/jung-und-krebs/betroffene-berichten/
1 Feb 2025
## AUTOREN
Joachim Göres
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