# taz.de -- Weltreise im Jenseits | |
> Totenkulten und Bestattungskulturen erforscht eine Ausstellung in Lübeck: | |
> Sie ist ein gutes Argument, der ethnologischen Sammlung endlich ein | |
> eigenes Haus zu geben | |
Bild: Manchen ist der Tod ein schöner Freund und spaßiger Gesell. In Mexiko z… | |
Von Friederike Grabitz | |
Der weiße Oldtimer-Mercedes stammt aus Ghana und ist ein Sarg. Solche | |
Särge, etwa in der Form von Schiffen oder Tieren, lassen sich Angehörige | |
der Ga-Adangme seit 50 Jahren für ihre Verstorbenen zimmern. Sie zeigen, | |
was sie im Leben wichtig fanden. Der deutsche Mercedes-Benz ist besonders | |
beliebt, „Mama Benz“ ist in Ghana auch ein geflügeltes Wort für eine | |
erfolgreiche Business-Frau. | |
Der Leiter der Lübecker [1][Sammlung für Kulturen der Welt,] Lars | |
Frühsorge, hat das Modell in Ghana für seine Sammlung zimmern lassen. Es | |
wurde zum Herzstück einer Ausstellung, die gerade im Industriemuseum | |
Herrenwyk im Lübecker Stadtteil Kücknitz gezeigt wird. Ihr Name: | |
„Bestattungskulturen in Lübeck und der Welt – Vom Ruheort zum Coffin | |
Dance“. | |
„Coffin Dance“ ist der Titel eines Musikvideos, in dem schick gekleidete | |
Sargträger tanzen. Es ging 2020 während der Coronapandemie viral und war | |
besonders bei Jugendlichen populär. Es wird auf einem Bildschirm neben dem | |
Mercedes gezeigt. Den Service der „Dancing Pallbearers“ gibt es in Ghana | |
tatsächlich, [2][mindestens seit 2003]. | |
„Sepulkralkultur“ klingt nach Friedhof, [3][steinern-grau und traurig.] Die | |
Ausstellung zeigt, dass das in vielen Kulturen [4][nicht so ist.] Besonders | |
in Mexiko ist der Tod so schrillbunt wie die tanzenden Skelette, die zum | |
„Dia de los muertos“ Ende Oktober aufgestellt werden, oder die | |
aztekisch-katholische „Santa Muerte“, Schutzheilige der LSBTIQ-Bewegung. | |
Die Ausstellung zieht Verbindungen zwischen den Kulturen, zum Beispiel | |
durch den Umgang mit dem Element Wasser. Sie zeigt eines der „Seelenboote“, | |
die die Iban auf Borneo für die Reise ihrer Verstorbenen ins Jenseits | |
schnitzen. Neben dem Boot ist eine Urne ausgestellt, wie sie für | |
Seebestattungen in der Lübecker Bucht benutzt wird. Sie ist eine Leihgabe | |
eines Lübecker Bestatters, der norddeutsche Perspektiven zu der Ausstellung | |
beisteuert, inklusive der hier wachsenden Nachfrage nach muslimischen | |
Bestattungen. Im letzten Raum lädt ein Sarg zum Probeliegen ein. | |
Das Thema [5][geht weit über Bestattungen hinaus]. Im Eingangsbereich | |
erzählt eine Lesung aus dem Tibetischen Totenbuch von den „Sechs Arten von | |
Zwischenzuständen“ nach dem Tod. Eine Grab-Holzskulptur aus Afrika | |
überrascht mit einer Darstellung des Sexualakts. Wahrscheinlich soll sie | |
Verstorbenen den Weg in eine neue Inkarnation als Kind eines kopulierenden | |
Paars zeigen. | |
In einer Vitrine liegt ein „Feng-Shui-Kompass“. Feng Shui wurde entwickelt, | |
um den perfekten Ort für ein Grab zu finden, und erst später in der | |
Architektur genutzt. „Das ist mein Lieblingsobjekt“, sagt Frühsorge. „Der | |
Kompass zeigt, dass Tod auch immer ein Motor menschlicher Entwicklung war.“ | |
Die Ausstellung zu kuratieren, war für ihn ein Herzensprojekt. Seit vielen | |
Jahren beschäftigt sich der Ethnologe mit Bestattungen und | |
[6][Jenseits-Konzepten]. Die Auswahl aus den 30.000 Objekten der Sammlung | |
dürfte schwierig gewesen sein. „Eine Herausforderung war, dass viele | |
Objekte zum Thema in den Herkunftsgesellschaften Gefühle auslösen, weil sie | |
beispielsweise als heilig gelten oder Verstorbene repräsentieren“, sagt er. | |
Das gilt für viele sakral aufgeladene Gegenstände der australischen | |
Aborigines. Eine Ibeji-Zwillingsskulptur der nigerianischen Yoruba kann nur | |
deshalb ausgestellt werden, weil sie nie verwendet wurde. Stirbt in einer | |
Yoruba-Familie ein Zwillingskind, wird eine solche Figur (oder auch eine | |
Barbie-Puppe) stellvertretend wie ein echtes Kind versorgt. Sie enthält | |
einen Teil der Seele der oder des Verstorbenen. | |
Mit nur wenigen Dutzend Exponaten ist es gelungen, in den kleinen Räumen | |
eine Erzählung zu gestalten, die interessant, abwechslungsreich und nicht | |
überfrachtet ist. Damit konnten viel mehr Gäste als erwartet an den | |
abgelegenen Ort gelockt werden, „auch sehr viele junge Menschen“, sagt | |
Frühsorge. „80 Prozent der Besuchenden waren unter 50 Jahre alt, darunter | |
viele Jugendliche. Das haben wir bei dem Thema nicht erwartet.“ | |
Das ist ein gutes Argument, [7][der wertvollen Sammlung eigene Räume in der | |
Stadt zu geben]. Schon 2018/2019 sprach sich eine [8][Mehrheit der | |
KommunalpolitikerInnen dafür aus]. Passiert ist seitdem nichts. In einer | |
Art Diaspora ist die Sammlung in anderen Museen zu Gast. So kommt es, dass | |
nun Särge und hinduistische Tempelbilder neben Interieurs von | |
Hochofen-ArbeiterInnen vor hundert Jahren gezeigt werden. | |
27 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /!5881299&SuchRahmen=Print | |
[2] https://www.vice.com/en/article/coffin-dance-dancing-pallbearers-meme/ | |
[3] https://tuttle.taz.de/das-wird/!5941974&s=benno+sepulkralkultur&SuchRahmen=… | |
[4] /!5966667&SuchRahmen=Print | |
[5] /!6042239&SuchRahmen=Print | |
[6] /!5036357&SuchRahmen=Print | |
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## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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