# taz.de -- Die 2.000 Kinder von Camp 65 | |
> Auf Zypern wurden auch Kinder in einem speziellen „Dorf“ eingesperrt. Es | |
> fehlte an vielem – außer an Schulbildung | |
Von Jim Tobias | |
„Ich schreibe das in dem seltsamsten Dorf der Welt“, notierte der | |
Journalist Maurice Pearlman. „Doch es ist nicht die Schönheit, die diesem | |
Dorf seine Einzigartigkeit verleiht, sondern es sind die Bewohner, die es | |
so außergewöhnlich machen“, denn hier befindet sich „die größte Ansamml… | |
von jüdischen Kindern in der ganzen Welt“. Pearlman hatte versucht, | |
zusammen mit rund 2.500 Shoah-Überlebenden an Bord der „Theodor Herzl“ im | |
April 1947 Palästina zu erreichen. Alle Passagiere wurden jedoch nach ihrer | |
Ankunft in Haifa als illegale Immigranten nach Zypern deportiert. | |
Der Journalist begann sogleich, seine Erlebnisse und Beobachtungen | |
aufzuzeichnen. Die Rede ist vom sogenannten Kfar Noar, Hebräisch für | |
Jugenddorf, im Camp 65 in der Hafenstadt Larnaka, in dem bis zu 2.000 | |
Kinder und Jugendliche eingesperrt waren. Die Mehrheit von ihnen Waisen und | |
Zeugen von Unfassbarem. | |
Ihre Betreuer, ebenfalls internierte Jugendliche und junge Erwachsene, | |
bemühten sich, den teilweise stark Traumatisierten Ersatz für das zerstörte | |
Elternhaus zu schaffen, indem sie ihren Tag strukturierten, ihnen Zuneigung | |
und Geborgenheit gaben. Es galt, die jungen Menschen ins Leben | |
zurückzuführen, ihre „Erinnerungen an die schreckliche Vergangenheit | |
auszulöschen und sie auf eine glückliche, produktive und zufriedene Zukunft | |
als Pioniere in Palästina vorzubereiten“. Das war angesichts der Zustände | |
in den Camps nicht immer einfach. „Sie sahen wie Gefangenenlager aus“, | |
schrieb die spätere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir nach einem | |
Besuch des Kfar Noar, „ein hässliches Durcheinander von Hütten und Zelten | |
mit einem Wachturm an jedem Ende – mitten im Sand.“ | |
Die Kinder hatten an fünf Tagen in der Woche Schule. Der Lehrplan umfasste | |
hebräische Grammatik und Literatur, Geschichte Palästinas, Geografie, | |
Mathematik, Musik und Sport. „Unterrichtet wird, während die Kinder in den | |
Zelten auf ihren Betten oder in den Baracken auf dem Boden sitzen“, | |
berichtete ein Zeitzeuge. Es fehlte an Tischen, Bänken, Stühlen – einfach | |
an allem. Doch die Kinder waren sehr kreativ und engagiert: Im Sommer | |
spannten sie Segeltuch oder Decken zwischen den Hütten auf. | |
So schufen sie zusätzlichen Wohnraum und konnten somit die | |
Wellblechbaracken als Klassenraum nutzen. Allerdings stand kaum | |
Lehrmaterial zur Verfügung: „Ich erinnere mich an den Besuch einer | |
Unterrichtsstunde“, notierte Pearlman, „die in einem Waschhaus abgehalten | |
wurde. Die Kinder saßen eng zusammengedrängt auf dem Zementboden, um einen | |
Blick in das einzige Lehrbuch zu werfen.“ Währenddessen nutzte der Lehrer | |
die Wand der Hütte als Tafel. Trotz dieser widrigen Umstände scheint das | |
Schulprogramm erfolgreich gewesen zu sein: „Die Bildungsarbeit für die | |
Kinder in den zypriotischen Lagern ist eines der leuchtenden Kapitel in | |
der leidvollen Geschichte dieser Stacheldrahtverhaue“, schrieb Pearlman. | |
Nach langen Verhandlungen mit den britischen Behörden erreichte Golda Meir, | |
dass die Kinder Zypern ab November 1947 verlassen durften. Im Dezember 1947 | |
wurde das Internierungscamp aufgelöst. Befreit aus einem | |
„Open-Air-Gefängnis“ für Kinder, die lediglich ohne Angst vor Verfolgung … | |
Israel leben wollten. | |
27 Jan 2025 | |
## AUTOREN | |
Jim Tobias | |
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