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# taz.de -- Aus dem Magazin taz FUTURZWEI: „Raus mit diesem Abschaum“
> Wie der rechtsextreme Geert Wilders mithilfe der Mitte-Rechts-Parteien
> das gerade noch Unnormale zum neuen Normal in den Niederlanden gemacht
> hat.
Bild: Der Rechtsextreme Geert Wilders ist die neue Normalität in den Niederlan…
[1][taz FUTURZWEI] | Wie sich Standards in der politischen Debatte auch in
Demokratien verschieben können, zeigt vor allem natürlich der
[2][US-amerikanische Wahlkampf]. Wie kann ein Politiker an einer Wahl
teilnehmen dürfen, der nach der letzten offen bekannte, eine Wahlniederlage
nicht anzuerkennen und das vor dieser Wahl wiederholte?
Eine solche Haltung galt noch vor wenigen Jahren als völlig unamerikanisch,
da die friedliche, zivilisierte Machtübergabe und die Anerkennung von
politischen Mehrheiten diese Demokratie im Kern ausmachten. In wenigen
Jahren hat sich also für einen Teil der amerikanischen Gesellschaft
[3][Trumps] Haltung zur „demokratischen Normalität“ verschoben. In der
neuen Normalität ist selbst seine Verurteilung vor Gericht kein
Hinderungsgrund.
Wie sich eine solche Veränderung vollzieht, kann man auch in einem
Mitgliedstaat der EU beobachten, der immer ein besonders unverdächtiges,
positives und sympathisches Image hatte.
## Wilders und das zu positive Image der Niederlande
Heute ist das Image der [4][Niederlande] besonders in Deutschland immer
noch positiv – zu positiv. Zu wenig wird von außen thematisiert und
gespiegelt, welche negative Entwicklung das Land nimmt und wie „unnormal“
einige Tendenzen sind.
##
Die [5][aktuelle Regierung] wird von [6][Geert Wilders] dominiert, der
offen rechtsextreme Positionen vertritt und in seiner Partei keine
Demokratie zulässt. Er hatte bei der Parlamentswahl 2023 mit rund 25
Prozent die meisten Stimmen bekommen. Anders als in der Vergangenheit waren
drei Parteien rechts der Mitte bereit, mit ihm zu koalieren. Darunter ist
die rechtsliberale VVD, die Partei des Expremiers und heutigen
Nato-Generalsekretärs [7][Mark Rutte].
Die Koalitionspartner von Wilders ließen zwar nicht zu, dass er selbst
Premier wurde, dafür konnte er mit dem ehemaligen Beamten Dick Schoof eine
Marionette einsetzen, die sich als Diener der Koalitionsvereinbarung
versteht und von Wilders bereits in der ersten Parlamentssitzung recht
unfreundlich abgekanzelt wurde.
## Ein-Mann-Kader-Partei
Die Bereitschaft zur Koalition mit Wilders ist alles andere als normal. Die
Partei PVV, ironischerweise „Partei der Freiheit“, gibt es nämlich im
deutschen Sinne gar nicht. Wilders ist das einzige Mitglied und nach dem
Führerprinzip bestimmt er, wer auf welchen Listenplatz kommt und wer nicht.
Da Wilders mit dieser Konstruktion seit 2006 im Parlament in Den Haag
sitzt, hat man sich daran gewöhnt. Überraschenderweise gibt es in den
Niederlanden kein Parteiengesetz, das innerparteiliche Demokratie
vorschreibt.
Wer spricht eigentlich für die Partei in einer solchen Koalition, wenn
Wilders krank ist? Das ist weder für die Regierung noch eine breitere
Öffentlichkeit ein Thema. Vor wenigen Wochen hat nun die linksliberale
Partei D66 aus der Opposition heraus ein Parteiengesetz gefordert, das
Ein-Mann-Parteien verbieten würde. Zu spät. Dafür gibt es
selbstverständlich nun keine politische Mehrheit mehr. Man sieht daran,
dass es sich eben rächt, wenn in Demokratien das Undemokratische zu lange
toleriert wird.
## Die Normalisierung des Unnormalen
Dabei kam die Normalisierung des Unnormalen auch in den Niederlanden
häppchenweise daher. Mark Rutte hatte die PVV 2010 bereits aufgewertet, als
er sein erstes Minderheitskabinett durch Wilders tolerieren ließ. Dieser
kündigte das nach nur zwei Jahren auf und galt danach zumindest als
unzuverlässig.
Doch auch damit wurden seine rechtsextremen Positionen häppchenweise im
Lauf der Jahre „normalisiert“, sodass sie 2023 zum „Wilders“-Standard
gehörten. Beispiel: Wilders hat in seinem Wahlprogramm aufgeschrieben, dass
die Niederlande kein islamisches Land seien, weshalb es „keine islamischen
Schulen, Korane und Moscheen“ geben dürfe. Das war eine deutliche Ansage
zur Einschränkung der Religionsfreiheit.
Was niemanden mehr überraschte. Im Jahr 2014 hatte er bereits bei einer
Parteiveranstaltung damit geprahlt, er werde für „weniger Marokkaner“
sorgen. Soll heißen, er werde Menschen, die zu einer bestimmten
muslimischen Einwanderungsgruppe gehören, aus dem Land werfen. Tausende
hatten ihn damals noch wegen Verhetzung angezeigt. In einem sechs Jahre
dauernden Prozess wurde er am Ende im Jahre 2021 wegen Beleidigung einer
Bevölkerungsgruppe verurteilt.
## Normalisierung des Rassismus
Allerdings hat wohl auch diese Verurteilung zur Normalisierung beigetragen.
Wie Trump erzählt Wilders bis heute, er sei das Opfer einer politisierten
Justiz. Die Verurteilung hat seiner Popularität – siehe Wahlergebnis im
letzten Jahr – nicht geschadet, jedoch haben sich Normalitätsvorstellungen
wieder ein Stück verschoben. Ein verurteilter Spitzenpolitiker? Kein
Problem.
Irgendwann gehörten Wilders grenzüberschreitende und anti-rechtsstaatliche
Aussagen zur neuen Normalität: die Beleidigung von Frauen mit Kopftüchern,
die Bezeichnung des Korans als „faschistisches Buch“, die Polemik über das
kaputte Rechtssystem in den Niederlanden, die Erzählung vom Nepp-Parlament
und die Forderung nach dem Entzug des Stimmrechts für Menschen mit
doppelter Nationalität.
Und wie alle Rechtspopulistïnnen hat Wilders immer vorgegeben, im Namen des
„echten“ Volkswillens zu sprechen. Einfache Lösungen für den einfachen,
hart arbeitenden Niederländer. Mit deutlichen Ansagen, wer nicht
dazugehört. Irgendwann sagte man nur noch: Wilders eben.
## Das Reale der Versammlungsfreiheit
Jetzt ist aber angesichts der politischen Macht Wilders’ diese Verschiebung
real bedrohlich. Das wurde vor wenigen Wochen deutlich, als am 7. Oktober
in Amsterdam sowohl eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des
[8][Hamas]-Terroranschlags in Israel als auch eine Demonstration gegen den
Krieg Israels in Gaza stattfand.
An diesem Gedenktag eine Pro-Palästina-Demo zu veranstalten, war erkennbar
als Provokation in Richtung der Menschen gemeint, die auf dem Dam der Opfer
des Massakers der Hamas gedachten. Die Demos genehmigt hatte die
Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema. Sie hatte das mit dem
Demonstrationsrecht begründet, aber darauf hingewiesen, dass es Grenzen
gäbe.
Deshalb ließ sie dann Teile der Pro-Palästina-Demo von der Polizei
auflösen, als eine größere Gruppe versuchte, in die Nähe der Gedenkfeier zu
kommen. Das heißt: Die Amsterdamer Bürgermeisterin musste eine schwierige,
aber nicht ungewöhnliche Abwägung vornehmen, zwischen Demonstrationsrecht
und der Gefahr einer Eskalation. Normale rechtsstaatliche Praxis, sollte
man meinen.
## Wilders proklamiert autoritären Habitus statt Versammlungsfreiheit
Nicht für Geert Wilders. Weil ihm nicht passte, dass gerade an diesem Tag
auch für [9][Palästina] und gegen [10][Israel] demonstriert wurde,
twitterte er: „Het land uit met dat tuig en Halsema mag mee.“ Übersetzt
heißt das etwa: „Raus aus dem Land mit diesem Abschaum und Halsema kann
mit.“ Der Fraktionsvorsitzende der größten Regierungsfraktion hatte also
dazu aufgerufen, Teilnehmerïnnen einer ihm nicht genehmen, aber genehmigten
Demonstration des Landes zu verweisen.
Das ist mit Blick auf [11][Bürgerrechte] und Meinungsfreiheit weit
außerhalb des niederländischen Verfassungsrahmens. Und seine Haltung zu den
Institutionen des Staates, in diesem Fall zum Amt der Bürgermeisterin von
Amsterdam, untergräbt jegliche staatliche Autorität. Die Aufforderung,
Halsema zusammen mit den Demonstrantïnnen rauszuschmeißen, ist ein Angriff
auf die Meinungsfreiheit, beschädigt den Rechtsstaat und dessen
Institutionen. Darauf hatten auch viele Bürgermeister-Kollegïnnen von
Halsema in Solidaritätsadressen hingewiesen.
## Wilders’ Offensive gegen Amt und Gegner
Der Angriff Wilders’ galt aber neben dem Amt vor allem auch dem politischen
Gegner. Die Groen-Links-Politikerin Halsema und der Sozialdemokrat und
Oppositionsführer Frans Timmermans sind zentrale Hassfiguren für Wilders’
Anhang. Den politischen Gegner aus dem Land schmeißen?
Damit ist nichts mehr übrig vom niederländischen Poldermodell, der
bisherigen Normalitätsvorstellung, dass verschiedene Interessen so lange
verhandelt werden, bis Kompromisse möglich sind. Feindschaft in der Politik
könnte in diesem Sinne als sehr „unniederländisch“ bezeichnet werden.
Zumindest in der alten Welt.
Die Tragik für alle Demokratïnnen und Verteidigerïnnen des
[12][Rechtsstaates] besteht nun darin, dass Wilders trotz seiner
Radikalität in den letzten Jahren nie wirklich ausgegrenzt wurde. In Medien
und Parlament wurde er als „normaler“ Politiker behandelt.
## Permanente Grenzüberschreitung
Der niederländische Journalist Tom-Jan Meeus hat in einem großartigen Essay
Duidelijkheid (Klarheit) beschrieben, wie Wilders durch eine Strategie der
permanenten Lancierung von grenzüberschreitenden und beleidigenden Aussagen
die Aufmerksamkeit der Medien auf seine Themen lenken konnte. Und dennoch
hielt sich in Politik und Medien immer noch die alte Polderkultur der
Nichtausgrenzung.
Das zeigte sich insbesondere während des Wahlkampfes im letzten Jahr. Da
erlebte das Land geradezu ein „Kuschel-Comeback“, als Wilders sich
strategisch mit Beleidigungen und radikalen Aussagen zurückhielt und
plötzlich doch zur Familie zu gehören schien.
Er sei „milder“ geworden, schrieben die Zeitungen. Und Ruttes Nachfolgerin
als Parteivorsitzende, Dilan Yeşilgöz-Zegerius, schloss plötzlich im
Wahlkampf eine Koalition mit ihm nicht mehr aus und etablierte ein neues
und fatales Lagerdenken: hier die Linken unter [13][Frans Timmermans], da
ihre rechtsliberale Partei mit Wilders im Gepäck. Ihre Rechnung ging nicht
auf, die Lager waren dadurch allerdings etabliert.
## The new normal
Nun ist Yeşilgöz-Zegerius – das Menetekel für [14][CDU/CSU] und die
europäischen Konservativen – Juniorpartnerin in Wilders’ rechtem Kabinett
und muss jeden Tag die absurden Aussagen seiner Minister rechtfertigen. Und
Geert Wilders ist derjenige, der das niederländische Poldermodell zerstört
und das Freund-Feind-Denken mit aller Macht und mit den Möglichkeiten einer
Regierungspartei etabliert. Im Fall der Migrationspolitik wollte er eine
Art Notstandsverordnung verabschieden lassen, um am Parlament vorbei
regieren zu können. Das hat bis jetzt wegen des Widerstands eines
Koalitionspartners nicht geklappt, aber auch dieser Gedanke ist ein Stück
„normalisiert“.
Was passierte sonst noch nach seiner Forderung, Halsema wegen ihres
rechtsstaatlichen Vorgehens aus dem Land zu werfen? Nichts.
Niemand aus der Opposition forderte nach dieser Entgleisung den Rücktritt
von Wilders als Fraktionsvorsitzender. Keiner forderte die anderen
Koalitionsparteien auf, die Koalition aufzukündigen. Keiner seiner
Koalitionspartner erinnerte öffentlich daran, dass ein Politiker in
Verantwortung sich nicht verantwortungslos verhalten könne. Auch „sein“
Ministerpräsident Schoof distanzierte sich nicht deutlich.
Was zeigt: Wilders ist es gelungen, den Stil des rechtsradikalen
Polit-Cholerikers aus der Opposition mit in die Regierung zu nehmen, ohne
dafür mit Konsequenzen rechnen zu müssen. In den Tagen nach seinem Tweet
war allerdings Bürgermeisterin Halsema mit Todesdrohungen konfrontiert.
Auch das gehört zum „neuen Normal“.
7 Jan 2025
## LINKS
[1] /taz-FUTURZWEI/!v=8ce19a8c-38e5-4a30-920c-8176f4c036c0/
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[4] /Niederlande/!t5009406
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[12] /Rechtsstaat/!t5264807
[13] /Frans-Timmermans/!t5585741
[14] /Union/!t5016499
## AUTOREN
Martin Unfried
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