| # taz.de -- Aus dem Magazin taz FUTURZWEI: „Ich wollte nie Wut werden“ | |
| > Eine aktivistische Schule geht davon aus, dass Wut der Motor für | |
| > Veränderungs-Engagement ist. Nein, sagt Jagoda Marinić im | |
| > taz-FUTURZWEI-Interview. Wut sei eine zersetzende Kraft, die die frisst, | |
| > die wütend sind. | |
| Bild: Herkömmlichen Radikalismus setzt Jagoda Marinić sanfte Radikalität ent… | |
| [1][taz FUTURZWEI] | Es reicht nicht, Gemeinsinn zu haben, also Engagement | |
| für etwas, was über einen oder die Familie hinausgeht. Es braucht eine | |
| Methode, wie man aus Gemeinsinn erfolgreiche Projekte macht. Jagoda Marinić | |
| hat etwas entwickelt, das sie „sanfte Radikalität“ nennt. Statt | |
| „Radikalität nur dafür zu nutzen, jene verbal anzuprangern, die anders | |
| denken“, hat sie mit dieser Methode ein Projekt wirklich umgesetzt, gegen | |
| alle Widerstände. Genau gesagt: das Interkulturelle Zentrum in Heidelberg, | |
| mit dem „die Einwanderungsgesellschaft strukturell neu gedacht“ wird. | |
| Also die Sache nicht auszulagern in ein Fördervereinsprojekt und damit in | |
| eine parallele und befristete Struktur, sondern es zum dauerhaften Teil der | |
| kommunalen Verwaltung zu machen. Zunächst allerdings blockierten manche | |
| Verwaltungsbeamte die Veränderung. Sie wollten keinen Wandel. Heidelberger | |
| Bürger zischten: „Niemand braucht deine Migrantenschrotthalde.“ Es bestand | |
| die Gefahr, dass Marinić selbst zum Wutkörper werden würde. Doch dann | |
| erkannte sie, dass sie der Aggression und Verweigerung damit nicht | |
| beikommen konnte. | |
| taz FUTURZWEI: Aktivisten, Feministinnen, Progressive vertreten gern die | |
| Idee, dass am Anfang des sozialen Wandels Wut über „die Verhältnisse“ | |
| stehen müsse als dynamisierende und schöpferische Kraft. Sie verwerfen in | |
| Ihrem neuen Buch Wut und entwickeln das Konzept der „sanften Radikalität“, | |
| mit dem Sie in Heidelberg einen Change-Prozess gegen Widerstände | |
| erfolgreich vorangebracht haben. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit | |
| Wut? | |
| Jagoda Marinić: Das war ein Lernprozess. Ich hatte die Wut schon auch | |
| verinnerlicht. Seit Pink Floyds Songzeile „We don't need no education“ | |
| spätestens spürte ich wie viele, dass Institutionen auch unterdrücken und | |
| einschränken können. Im Rebellischen gefällt man sich ja auch. Vor zehn | |
| Jahren etwa wurde es dann schick, die zweite Generation, also | |
| Einwandererkinder, in Ministerien und Kulturveranstaltungen einzuladen zur | |
| simulierten Wutenladung. | |
| Sie gingen dann als Schriftstellerin und wütende Tochter kroatischer | |
| Einwanderer da hin? | |
| Ja. Wir durften unsere Thesenbücher präsentieren und einige sollten ein | |
| bisschen „Kartoffel“ sagen. Und dann klatschten die bürgerlichen Deutschen | |
| ohne Migrationshintergrund und meinten, sie hätten gezeigt, wie tolerant | |
| sie sind, konnten stolz sein auf sich, weil sie es sich angehört hatten. | |
| Sie verließen dann zufrieden den Saal und änderten letztlich strukturell | |
| nichts. Ich hatte schnell das Gefühl, ich werde zu solchen Veranstaltungen | |
| einbestellt, um die Wutdemonstration über gesellschaftliche Missstände | |
| abzuleisten. Meine Wut ist dabei letztlich ihr Feigenblatt. Man hatte auf | |
| diese Weise ein paar prominente Wütende, über die dann gern berichtet wird, | |
| und je wütender, desto besser und authentischer – und natürlich, desto | |
| toleranter diejenigen, die dieser Wut Raum gaben. Rückblickend muss man | |
| sagen, dass diese folkloristische Instrumentalisierung über die Folgen | |
| gesellschaftlicher Missstände wenig verändert hat. Alles bleibt wie davor. | |
| Das liegt aber auch an den Wütenden. | |
| Was machen die Wütenden falsch? | |
| Die Wütenden nutzten die Bühnen und spielten das mit, sie fordern jedoch | |
| selten eine Übersetzung in den bürokratischen Apparat, der eben mit Wut | |
| nicht zu managen ist. Da braucht man analytische Kraft und Beharrung. | |
| Sie waren damals aber schon wirklich wütend? | |
| Ja, klar. Ich gehörte zu den Wütenden und habe mich nach einigen Abenden | |
| aber gefragt: Warum beklatschen die eigentlich meine Wut so, statt sich | |
| angefasst zu fühlen? Warum ist meine Wut so harmlos, so billig zu haben? | |
| Wenn ich jemanden richtig treffen würde, dann fände er das ja nicht mehr | |
| geil. Offenbar traf die Wut aber nicht richtig. Ihr fehlte jeglicher Wille | |
| zur Macht und Anspruch an wirkliche Veränderung. Gleichzeitig geriet man | |
| selbst in so einen Wutkörper, ohne noch sehen zu können, wo die | |
| Stellschrauben für reale Veränderung sind. Interessant fand ich: Die | |
| älteren Generationen, die richtigen Einwanderer, die etwa im | |
| Integrationsprojekt in Heidelberg aktiv waren, also jene Einwanderer, die | |
| wirklich anfangs kaum Rechte hatten, die Hoyerswerda und | |
| Rostock-Lichtenhagen als Gemeinte erlebt hatten ... | |
| ... rassistische, ausländerfeindliche und gewalttätige Ausschreitungen | |
| Anfang der 90er ... | |
| ... die waren meistens total erpicht auf Gesetze, auf Rechte und Gelder. | |
| Meine Generation war dagegen interessiert an Begriffen, Medien und | |
| Talkshows. Konkrete Politik und Umsetzung in Verwaltungen ist halt nicht so | |
| instagrammable. Vorlagen zu lesen ist nicht glamourös. Gremien sind nicht | |
| glamourös. Die alte Forderung der Immigranten, nach dem kommunalen | |
| Wahlrecht ist fast vergessen, seit wir über Begriffe diskutieren. Dabei | |
| haben wir bald zwölf Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte und | |
| ohne Wahlrecht in Deutschland, mehr denn je. Allein dadurch gibt es ein | |
| Demokratiedefizit, das aber im Gegensatz zu früher kaum mehr Thema ist. | |
| Wie kamen Sie von der Wut zu Ihrem Konzept der sanften Radikalität? | |
| Als ich einsah, dass ich Teil einer Wutperformance war, die zwar | |
| authentisch war, die aber zwei Haken hatte: Zum einen forderte sie eben | |
| keine messbare Übersetzung in den bürokratischen Apparat. Zum anderen: | |
| Diese Wut zersetzt dich selbst. Sie frisst dich auf, jedes Ereignis wird | |
| durch die Wutbrille interpretiert. Ich habe Literatur dazu gesucht und vor | |
| allem viel Toni Morrison gelesen, weil sie als Literatin und | |
| Nobelpreisträgerin eine Sprache gefunden hatte für die Geschichte der | |
| Schwarzen in den USA, ich dachte, sie müsste etwas zu sagen haben über den | |
| Umgang mit ihrer Wut, und das hatte sie. Morrison hat gesagt: „I have no | |
| use for anger whatsoever.“ | |
| Ich kann Wut in keinerlei Hinsicht gebrauchen. | |
| Das gilt gerade heutzutage, da der Algorithmus der soziale Medien Wut | |
| kapitalisiert, die eigene Wut provoziert, um auch in anderen Wut zu | |
| steigern. Wir steigern uns so gegenseitig rein. Personalisierte | |
| Emotionalisierung verändert nur nichts. Außer dass die Energie wie zum | |
| Selbstzweck durch den Durchlauferhitzer geht. Toni Morrison sagte | |
| stattdessen, sie brauche die Klarheit ihres Verstandes, um die Missstände | |
| genau zu erkennen und zu wissen, was sie verändern will. Die Wut sehe ich | |
| heute eher als Seismograf. Sie ist wie mein McKinsey, der sagt: Hier ist | |
| eine Schwachstelle, hier musst du nochmal rein. Das mache ich dann, aber in | |
| Ruhe. | |
| Wie bringt man Leute zum Mitmachen, die mit Wut auf den Wandel reagieren | |
| oder einfach nicht wollen? | |
| Wir reden miteinander, und der andere blockiert. Dann suche ich nach | |
| anderen Ich-Qualitäten. Wir sind an einem Tag viele Rollen, eine Beamtin | |
| ist ja vielleicht auch Mutter, Schwester, Kulturliebhaberin. Welche | |
| Ressourcen habe ich, um eine Verbindung zu finden? Wenn ich selbst nur die | |
| wütende Tochter von Einwanderern bin, kann es schwierig werden. Ich bin | |
| aber mehr und suche von dort aus Bündnisse statt Gegnerschaften. Die Frage | |
| ist also: Wie kommen wir von der blockierenden Identitätsfacette in | |
| Aggregatzustände der Kooperation? Mir geht es gerade innerhalb der | |
| Verwaltung um den Kampf für das Gemeinsame. | |
| Der teilgesellschaftliche Trend geht derzeit eindeutig zu Wut. | |
| In der Wutidentität verhärten: Damit nimmt man sich selbst die Komplexität | |
| der eigenen Identität. Meine Eltern waren als Einwanderer positiv, sie | |
| haben versucht, das Gute zu sehen. Und ich konnte das als Wutkörper nicht, | |
| obwohl ich dank meines Bildungsaufstiegs die Ressourcen hatte, zu | |
| gestalten. Um wirkmächtig zu sein, eine Politik der Teilhabe zu | |
| ermöglichen, brauchen wir Ruhe und Analysekraft. Ich will nicht in der Wut | |
| verharren. Erstens, weil es mir innen nicht guttut, zweitens, weil ich | |
| glaube, dass sie kein Change-Motor für das Außen ist. Wut als | |
| Kontrastmittel, ja, aber sich in den Superlativ von Wut hineinsteigern ist | |
| destruktiv. Es gibt dann keine Nuancierung mehr, sondern nur eine | |
| Freund-Feind-Unterscheidung. Man kann Wut spüren, aber ich wollte nie Wut | |
| werden. Ich wollte mir die Sanftheit bewahren. | |
| Sie sagen, dass Wut nicht konstruktiv ist und die Opferrolle auch nicht. | |
| Sie sehen aber auch, dass wir in einer Mediengesellschaft leben, in der | |
| starke persönliche Emotionen die harte Währung sind. Sanfte Radikalität | |
| kann doch kein Algorithmus brauchen. | |
| Warten Sie mal ab: Ich kriege zu meinem Buch sehr viel Rückmeldung und die | |
| ist auch sehr emotional. Wenn wir also über Emotionalität reden, ist die | |
| Frage auch: Welche Emotion? Brauchen wir Empörung und Wut oder nicht eher | |
| Lösungslust und Hoffnung? Letztere haben auch emotionale Auswirkungen, sie | |
| binden Aufmerksamkeit. Wer Diskurse wirklich ins Konstruktive befördern | |
| will, kommt nicht mit negativer Emotionalität durch. | |
| Gerade unsereins hat dank Adorno immer einen negativen Blick auf alles. | |
| Ja, wir wollen immer kritisch denken und wirken, weil wir gelernt haben, | |
| unsere Intelligenz so zum Ausdruck zu bringen. Ich habe als Autorin früh | |
| festgestellt, dass es vielen Menschen hier nach Veranstaltungen leichter | |
| fällt, darüber zu sprechen, was nicht gut lief oder keinen Sinn machte. Bei | |
| einer Lesereise in den USA fiel mir dann auf, dass es auch anders geht. | |
| Dort kamen die Leute und wollten über einzelne Gedanken sprechen, sie | |
| weiterentwickeln. Ich glaube, dieses öffentliche Gespräch anders zu führen, | |
| ist ein gesellschaftlicher Lernprozess, den wir jetzt brauchen. | |
| Was setzen Sie dem Negativismus entgegen? | |
| Die Frage ist: Wie verbinde ich die Emotionen, die viele Rechte derzeit in | |
| Wut lenken, mit der Lust, etwas zu lösen? Sehen Sie sich mal Bilder von | |
| rechten Demos an: Die Leute fühlen sich nur noch über diesen kollektiven | |
| Wutkörper. Dazu muss es eine Gegenwelt geben. Und die gab es auch zu den | |
| besten Zeiten von Fridays for Future. Die meisten Politiker an der Macht | |
| unterschätzen derzeit das Mobilisierungspotenzial von Lösungen und guten | |
| Emotionen. Wenn es nur Angstszenarien gibt und die anderen positiven und | |
| liebevollen Verbindungen untereinander nicht bedacht und gefördert werden, | |
| dann entsteht Politikverdrossenheit, der Zug nach rechts außen. Ich denke, | |
| dass noch immer Zeit ist, gegenzusteuern, zu lernen, wieder die Agenda zu | |
| setzen, statt die Angstmacher nachzuahmen und ein Gestern zu versprechen, | |
| das für die Probleme von heute und morgen keine Lösungen bereithält. | |
| ■ Dieser Artikel ist im Dezember 2024 in unserem Magazin [2][taz FUTURZWEI] | |
| erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°31 mit | |
| dem Titelthema „Gemeinsinn“ gibt es [3][jetzt im taz Shop]. | |
| 17 Dec 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jagoda Marinić | |
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