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# taz.de -- berliner szenen: Die Rose braucht Wasser
Die beiden sitzen nur zufällig nebeneinander im Café, aber ihr Interesse
eint sie. Beide haben einen aufgeklappten Laptop vor sich, beide scrollen
durch Modeseiten, beide vergleichen Preise. Sie wechselt manchmal zu einem
Kosmetikportal, er ruft zwischendurch einen Dienstplan auf und verschiebt
ein paar Einsätze. Ich fantasiere, dass beide Klamotten für ein Date
suchen, und wünsche mir, dass sie sich mal kurz zur Seite drehen und
einander zuwenden. Könnte doch passen.
Jetzt kommt ein Teenie rein, Typ Erstsemester, in der Hand eine einzelne
weiße Rose, er scheint wirklich ein Date vor sich zu haben, so nervös, wie
er sich umsieht. Er steuert den Nachbartisch an und fragt mich höflich nach
dem freien Stuhl. Mit Schwung zieht er ihn rüber und haut mir dabei die
Lehne gegen das Schienbein. Ich jaule eher vor Schreck als vor Schmerz, der
Arme wird knallrot. Nach einigem Hin-und-Hergeruckel hat er die beste
Sitzanordnung gefunden, den Eingang fest im Blick. Nichts tut sich. Er
guckt auf die Uhr, auf sein Telefon, auf die Uhr. Zieht die Jacke aus, ein
sorgfältig gebügeltes Hemd kommt zum Vorschein, zieht die Jacke wieder an.
Mittlerweile habe ich zwei Tageszeitungen ausgelesen, die dicke
Wochenendausgabe, und er guckt nur noch deprimiert, seine Rose macht in der
Wärme schlapp. Beim Aufstehen legt er sie auf meinen Tisch. „Als
Entschuldigung, ich hoffe, Ihr Bein tut nicht mehr weh.“ In dem Moment
kommt ein Mädel hereingestürmt, flucht über die Regionalbahn und fällt ihm
um den Hals. Während er dankbar ihre Beteuerungen glaubt, schiebe ich die
Rose unter seinen Stuhl: „Ihnen ist etwas runtergefallen.“
Die beiden Modeinteressierten sind vorangekommen. Sie studieren jetzt eine
Seite mit Clubwear – gemeinsam. Wenn es so weitergeht, fängt das neue Jahr
gut an.
Claudia Ingenhoven
6 Jan 2025
## AUTOREN
Claudia Ingenhoven
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