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# taz.de -- berliner szenen: Ein Trostbier für den Wütenden
Auf dem S-Bahnhof Neukölln geht ein Mann mit einer karierten Hose und einem
altmodischen Koffer auf und ab und flucht dabei vor sich hin. Die Menschen
halten Abstand, aber der Mann schreitet wie Rumpelstilzchen in unaufhörlich
großen, wütenden Schritten auf und ab und schimpft dabei. So wie er den
Koffer hält, wirkt dieser zu leicht und ich überlege, ob er leer ist.
Vielleicht hat er ihn gerade irgendwo abgeholt. Oder er fährt irgendwohin,
wo er ihn erst füllt. Ich höre ihm zu.
„Alles für Deutschland, dass ick nich lache“, flucht er. „Nach all den
Jahren. 26 Jahre, ja, da staunste. 26 Jahre hab ich da gesessen auf 5
Quadratmetern, Tach ein, Tach aus, ach, was sag ick, und die Nächte. An mir
mussten se alle vorbei und wenn ick nich wollte – ja dann!“ Er hebt drohend
den Koffer und sieht eine Frau aufgebracht an. Sie dreht sich weg und geht
in die entgegengesetzte Richtung. „Will keiner mehr wissen. Kriegst bloß
’nen feuchten Händedruck und es heißt,Danke für die Dienste'!“, schreit …
Ein Obdachloser mit einem Rucksack kommt, bleibt stehen und hört wie ich
dem Mann zu. Er setzt den Rucksack ab, kramt darin herum, befördert zwei
Flaschen Bier zutage und geht damit zu dem weiterschimpfenden Mann. „He
Mann“, sagt er. Dieser hält inne und sieht ihn wütend an. „Hier.“ Er h�…
ihm eine der beiden Flaschen hin. Der Mann steht da und reagiert nicht.
Seine Schultern hängen und er sieht sehr mutlos aus. Dann nimmt er eine der
beiden Flaschen und sagt: „Danke.“
Der Mann mit dem Rucksack öffnet die Flaschen mit dem Feuerzeug, stößt mit
ihm an und sagt: „Nützt doch nüscht.“ Der Mann mit dem Koffer nickt und
nimmt einen Schluck. Die S-Bahn kommt, und als sie abfährt, stehen die
beiden da und trinken Bier, als würden sie sich schon lange kennen.
Isobel Markus
30 Dec 2024
## AUTOREN
Isobel Markus
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