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# taz.de -- dvdesk: Sie will nicht vergessen
Bild: „Chronik eines Mordes“ (DDR 1965, Regie: Joachim Hasler). Die Edition…
Eine Frau wartet im Rathausfoyer auf den frisch gewählten Bürgermeister der
Stadt, zückt einen Revolver und schießt ihn nieder. Die Vorgeschichte dazu
erzählt dann der Film. Der Ort der Handlung: eine mittelgroße Stadt im
Süden der Bundesrepublik. In dem zugrundeliegenden Roman, „Die Jünger Jesu�…
von Leonhard Frank von 1947, ist es Würzburg. Die Zeit: die zweite Hälfte
der fünfziger Jahre. Der Clou: Es ist ein Film, der für die Defa entstand,
1965 gedreht, ein Film, der das Verschweigen der Nazivergangenheit in der
Wirtschaftswunder-BRD anklagt. In manchen Motiven erinnert er an den ersten
deutschen Nachkriegsfilm, Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“.
Passen würde der Titel auch hier.
Die Frau, die den Bürgermeister erschießt, heißt Ruth Bodenheim, sie ist
Jüdin, sie hat das KZ überlebt, es spielt sie Angelica Domröse. Im
Bürgermeister hat sie den Nazi erkannt, der einst ihre Eltern erschoss. Sie
hat Dokumente, die seine Verbrechen belegen. Niemand wollte sie sehen. Drei
Zeitebenen gibt es. Man sieht die Verfolgung der Juden im „Dritten Reich“,
die Ermordung von Ruth Bodenheims Vater vor versammelter Klasse, er war
Lehrer. In der unmittelbaren Nachkriegszeit liegen die Städte in Trümmern,
Ruth Bodenheims Bruder, der später ein erfolgreicher Pianist wird, wird in
ein Kinderheim in Frankreich geschickt.
Ruth Bodenheim will und kann das Trauma (der Begriff fällt im Film) nicht
vergessen. Da ist „Chronik eines Mordes“ ganz und gar allegorisch. In dem
Drehbuch geht es um Deutlichkeit, nicht um Subtilität – einigermaßen
erstaunlich, dass dabei auf propagandistische Schablonen weitgehend
verzichtet wird. Der Bulgare Angel Wagenstein, im letzten Jahr mit hundert
Jahren gestorben, hat es nach Motiven des Romans von Leonhard Frank
verfasst.
Frank, einst Mitglied der Münchner Räterepublik, hatte es in
Westdeutschland schwer. Er war, von den Nazis verfolgt, im Exil, kehrte
zurück, blieb in der BRD, Preise und Ehren bekam er jedoch in der DDR.
Angel Wagenstein wiederum war einer der großen Drehbuchautoren der Defa,
Jude, Partisan im Zweiten Weltkrieg, Pazifist, das Gegenteil eines
Betonkopfs, in Bulgarien stand er Ende der Achtziger auf der Seite der
Revolution und reüssierte seit den Neunzigern noch als Romancier.
Joachim Hasler gehört nicht unbedingt in die erste Reihe der
[1][Defa-Regisseure], aber man sieht seinen Filmen seine Anfänge als
Kameramann an. Die Einstellungen sind originell, manchmal etwas manieriert,
manchmal brillant aufgelöst, die Figuren klug im Raum gegeneinander
verschoben. Zum Buch, das eher auf Strukturanalyse als auf psychologischen
Realismus hinauswill, passt das sehr gut. Auch die Musik, die ein jüdisches
Leitmotiv cool bis ins Jazzige dreht, ist keineswegs konventionell.
Wiederentdecken kann man den Film in einer Doppel-DVD-Ausgabe der Edition
Filmmuseum, die noch weitere Defa-Produktionen umfasst, zwei
Dokumentationen, aber auch den sehenswerten Spielfilm „Das verurteilte
Dorf“ von 1952. Durchaus Propaganda, die nicht vor dem eigenen, sondern vor
dem Nachbarhaus kehrt: gegen die USA, gegen den Kapitalismus. Aber auch
gegen ein Westdeutschland, in dem sich der Mantel des Schweigens über die
Naziverbrechen gebreitet hat. Ekkehard Knörer
5 Dec 2024
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Ekkehard Knörer
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