# taz.de -- Konny: ein Bildungsroman | |
> Woher kommt Konny Gellenbecks seltene Kombination aus Gegensätzen, aus | |
> Solidarität und Eigensinn, Bescheidenheit und Selbstbewusstsein? Hommage | |
> einer Bewundererin | |
Von Elke Schmitter | |
Mit Karl Philipp Moritz ging es los, im späten 18. Jahrhundert, und von da | |
an gab es viele schöne Überraschungen (mehr männliche als weibliche oder | |
gar queere, versteht sich, bis in die jüngste Zeit) dieser Art: | |
Selbstentwicklung, Metamorphose, Emanzipation einzelner Menschen, die erst | |
den Umständen trotzten und dann in die richtigen gelangten. In denen sie | |
gedeihen konnten und blühen konnten – oder auch ein Feld bestellen, das | |
größer war als das eigene Leben. | |
Moritz, niedersächsischer Herkunft, von Pietisten gequält, ein Hungerleider | |
und Paria, dem gleichwohl eine Karriere als Schriftsteller gelang, | |
formulierte im Berliner Herbst 1784 das „Ideal einer vollkommenen Zeitung“: | |
„Sie ist der Mund, wodurch zu dem Volke gepredigt, und die Stimme der | |
Wahrheit sowohl in die Paläste der Großen als in die Hütten der Niedrigen | |
dringen kann. Sie könnte das unbestechliche Tribunal sein, wo Tugend und | |
Laster unparteiisch geprüft, edle Handlungen der Mäßigkeit, Gerechtigkeit | |
und Uneigennützigkeit gepriesen, und Unterdrückung, Bosheit, | |
Ungerechtigkeit, Weichlichkeit und Üppigkeit mit Verachtung und Schande | |
gebrandmarkt würden.“ | |
Zeitungen, auch gute, hat es seitdem viele gegeben, aber nur eine wagte den | |
Schritt, das Volk, zu dem gepredigt wurde, um Anteilseignerschaft zu | |
bitten. Sich auf diese Weise zu versichern, dass sie gebraucht, gewollt und | |
angenommen sei. Und zugleich ein gläsernes Haus zu sein und zu bleiben. In | |
dem man anders denkt und spricht und miteinander umgeht als in | |
Zeitungshäusern in Privat- oder Konzernbesitz. In dem die Macht, die man | |
andernorts kritisiert, eben keine Macht haben sollte. | |
Nur 207 Jahre hat es gedauert seit Moritz’ Idealvorstellung, da konnte eine | |
Frau aus Westfalen mit diesem Projekt an die viel gepriesene und ebenso | |
gefürchtete „Öffentlichkeit“ gehen und die Vertrauensfrage stellen: Glaubt | |
ihr, liebe deutsche Linke, dass es so eine Zeitung in euren Händen geben | |
soll, die ihr nicht nur lest, sondern die euch auch gehört? Niemand wusste, | |
wie es ausgehen würde, dieses Experiment. Aber eine gab es, die es | |
unbeirrt, „mit Leidenschaft und Augenmaß“, wie es oft heißt und hier eben | |
mal stimmt, mitentwickelt, gestaltet und seitdem vorangetrieben hat, mit | |
spektakulärem Erfolg: Und das ist Konny, ein weiblicher Bildungsroman in | |
jedem Sinn. | |
Insofern sie sich selbst und andere bildete, aber auch etwas gebildet hat, | |
das es zuvor nicht gab. Das andere inspirierte und zur Nachahmung | |
verleitete. Das international wirksam wurde, über das usrpüngliche Volk | |
hinaus. | |
Wie sie das schaffte, lässt sich in vielen Zeugnissen nachvollziehen, aber | |
wie sie es schaffte, ist auch wundersam geblieben, jedenfalls für mich. Zum | |
Bildungsroman gehören Entpuppungen, gehört das Larvenwesen, in dem man alte | |
Hüllen abstreift und eine neue Lebensform reklamiert: Schaut her, | |
vorgestern kam ich mit meiner feministischen Gruppe aus Münster zum | |
Tunix-Kongreß und diskutierte nächtens in der Merve-WG mit Foucault, | |
gestern noch war ich die Knast-Abo-Frau, heute hebe ich die Genossenschaft | |
aus der Taufe und morgen, wer weiß, gründe ich womöglich eine Stiftung, die | |
den kritischen Journalismus so sieht und stützt, wie er eben ist: extrem | |
wichtig und in vielen Ländern auch extrem gefährdet. Und auch das wird, na | |
klar, ein Erfolg. | |
Konnys Nervenstärke ist legendär, aber woher speist sich die, aus welchen | |
Quellen? Und wie kommt sie zustande, immer wieder, diese seltene | |
Kombination aus Erfindungsgabe und Disziplin, Freundlichkeit und | |
Konsequenz, Überzeugungsstärke und Dazulernenkönnen, Solidarität und | |
Eigensinn, Bescheidenheit und Selbstbewusstsein, Energie und Geduld, Anmut | |
und Kraft? | |
Ich weiß es, nach fünfunddreißig Jahren Bewunderung, noch immer nicht. Und | |
so bleibt es, in aller Rätselhaftigkeit (bei der auch Karl Philipp Moritz’ | |
„Erfahrungsseelenkunde“ nicht hilft), natürlich auch: schön. | |
Elke Schmitter war von 1989-94 Mitglied der taz Redaktion, 1992-94 | |
Chefredakteurin. | |
5 Dec 2024 | |
## AUTOREN | |
Elke Schmitter | |
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