# taz.de -- großraumdisco: Lasst sie Kuchen essen: Subkultur kämpft an der Ka… | |
> Kurz vor Weihnachten spielen Bremer Krawall-Bands für die technische | |
> Aufrüstung eines Jugendhauses. Ein Hauch von Klassentreffen – nur lauter | |
Metal, Hardcore und Stoner Rock mit Kaffee und Kuchen? Am | |
Sonntagnachmittag? Ist das noch Hardcore? Zumindest steht es so geschrieben | |
in der Ankündigung für das vorweihnachtliche Konzert im Bremer Haus des | |
Bunds Deutscher Pfadfinder_innen ([1][bdp Haus]). Das alte | |
Backsteingebäude liegt ein wenig außerhalb der Innenstadt, ein ganzes Stück | |
weg von den Kneipen und Clubs des Steintorviertels. | |
Um 17 Uhr soll es losgehen, drei Bremer Bands stehen auf dem Programm, von | |
dröhnendem Stoner Rock über Endzeit-Krach bis zu Post Metal mit Geschrei. | |
Eingeladen hat die seit ungefähr einem Jahr aktive Konzertgruppe TNS-Shows, | |
was für „Take No Shit“ steht, sinngemäß: Wir lassen uns keinen Scheiß | |
gefallen! Am Tresen gibt es Kaffee und verschiedene hausgebackene Kuchen, | |
einige davon vegan. Außerdem stehen Glühwein und Kakao auf Hafermilchbasis | |
auf der Karte, je nach Neigung auch mit Schuss. Bier gibt es natürlich | |
auch. | |
Im Nebenraum stehen Sofas und ein Kicker, klassisches Freizeitheimambiente | |
also. Das Publikum ist dem musikalischen Spektrum entsprechend recht | |
gemischt, man kennt sich über die Szenegrenzen hinweg. Die Stimmung ist | |
entspannt und hat ein bisschen was von einem Klassentreffen. | |
Es geht nicht nur um Musik: Als Solikonzert ist die Sause angekündigt, und | |
das bedeutet in diesem Fall Geld für Infrastruktur. Das bdp-Haus soll eine | |
eigene Backline bekommen. Also Lautsprecher und so, damit die verschiedenen | |
Konzertgruppen nicht immer eine Anlage mieten müssen. Dafür verzichten | |
heute alle Bands auf Gage. | |
Der kleine Konzertraum, in den vielleicht etwas mehr als 100 Personen | |
passen, ist während der Shows gut gefüllt. Eine Bühne gibt es zwar, die | |
dient aber als Podest für das Publikum – die Bands spielen am anderen | |
Ende des Saals auf Augenhöhe mit dem Publikum. Starkult war in der Szene | |
zumindest in ihren idealistischen Anfängen so verpönt wie Fleischkonsum, | |
Kommerz und jedwede Form von Diskriminierung. Übrigens: Auch Matineen, also | |
Nachmittagskonzerte, haben in der Szene eine lange Tradition. Geradezu | |
legendär sind die Sonntagsmatineen der noch viel legendäreren New Yorker | |
Punk-Brutstätte CBGB’s in den 80er Jahren, die lokalen und durchreisenden | |
Bands eine Bühne boten. | |
Zurück nach Bremen. Skeithan eröffnet den sonntäglichen Reigen: ein Trio | |
mit Schlagzeug, Gitarre und Stimme. Die Vokalistin schreit sich zu dichten | |
Gitarrenakkorden die Seele aus dem Leib, in manchen Stücken wechselt sie in | |
eine verblüffend zarte Singstimme. Danach spielen Eta Lux im Geiste der | |
Wüstenrocker Kyuss ein Set mit rollenden Riffs und viel Wahwah-Effekt. | |
Judas Hengst eifern dann zum Abschluss mit viel Wucht Apokalyptikern wie | |
Neurosis oder Isis nach. Atempausen gibt es eigentlich nur während des | |
Umbaus. Zeit, sich beim „Merch“, wo es Tonträger und derlei mehr zu | |
erstehen gibt, umzusehen. | |
Gegen 22 Uhr endet der Abend mit einer Tombola, wo es T-Shirts, | |
Schallplatten, Eintrittsgutscheine und Tragetaschen mit den | |
programmatischen Aufdrucken „Heavy Metal is not a boys club“ und „Hardcore | |
is not a boys club“ zu gewinnen gibt. Ein kleine Erinnerung daran, dass es | |
auch im ausgehenden Jahr 2024 keine Selbstverständlichkeit ist, dass der | |
egalitäre Anspruch der Szene Wirklichkeit wird. Immerhin stehen auch an | |
diesem Sonntag vor allem Männer auf der Bühne. Wie dem auch sei: Die | |
glücklichen Losbesitzer und Losbesitzerinnen werden fast so ausgelassen und | |
liebevoll gefeiert wie die Bands. Wobei der Hauptgewinn ja eigentlich auch | |
an alle geht: Es ist nämlich genug zusammengekommen für zwei Gitarrenboxen | |
und noch ein bisschen mehr. | |
In Zeiten, in denen einige wenige Superstars Stadien füllen, während | |
subventionierte Kultur mit künstlerischem Anspruch zunehmend in den Fokus | |
sparwilliger Politik gerät, werden die Räume zusehends enger für | |
widerborstige Kultur und für Begegnungen jenseits von kapitalistischer | |
Verwertungslogik. Davon abgesehen, dass es auch um Möglichkeiten für | |
Musikerinnen und Musiker geht, Neues auszuprobieren. Andreas Schnell | |
28 Dec 2024 | |
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[1] https://bdp-hulsberg.de/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
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