# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Laura Lückemeyer: Eine Schüssel Hunde … | |
Wie viel möchtest du für den Pulli haben?“, frage ich mit der leisen | |
Hoffnung, dass sie weniger als 20 verlangt. „20 Euro“, entgegnet die junge | |
Frau mit den kurzen blondierten Haaren, ohne zu zögern. „Den hat halt | |
keiner, weißt du.“ „Ich überlege nochmal“, und lege den Strickpullover,… | |
dem sich auf einer Blumenwiese eine Schafsherde tummelt, wieder auf den | |
Klamottenstapel vor mir zurück. | |
Es ist Freitagabend, nass, kalt, dunkel und eigentlich hatte ich keine Lust | |
rauszugehen. Aber meine Angst, zu einem Einsiedlerkrebs zu werden, zwingt | |
mich dann doch, meine Verabredung mit L. einzuhalten. Wir stöbern uns | |
weiter durch Berge von Klamotten, wühlen in Kisten unter den Tischen, | |
schieben an Kleiderstangen Pullis, Jacken und Hemden auf Kleiderbügeln | |
immer weiter zur Seite. „Ich kann nicht mehr, mein Arm wird langsam müde“, | |
sage ich irgendwann, als betrieben wir Höchstleistungssport. | |
30 Minuten später und befriedigt vom Konsum bestellen wir uns zwei Glühwein | |
und nehmen auf einer Holzbank draußen an einer Feuerschale Platz. Der | |
Glühwein schmeckt hier besser als auf den Weihnachtsmärkten und auch sonst | |
ist es hier angenehm leer. Ein bisschen melancholisch schwärmen wir von dem | |
warmen Septembermorgen, an dem wir uns hier im Sand liegend die warme | |
Morgensonne ins Gesicht haben scheinen lassen. | |
Am Samstagabend feiert meine Freundin S. ihren Geburtstag in einer Kneipe. | |
Ich komme circa eine Stunde zu spät und bin eine der Letzten, die | |
eintrudelt. Viele Menschen hier habe ich Jahre nicht gesehen und so gebe | |
ich immer wieder ein Life-Update und quatsche mit S.’ Schwester über das | |
Kaufen von Secondhand-Brautkleidern und so andere verrückte Sachen, die man | |
eben macht, wenn man Anfang 30 ist. Um 2 Uhr morgens stolpere ich durch die | |
immer noch nassen Straßen Friedrichshains zurück nach Hause und frage mich, | |
wann wir alle auf einmal erwachsen geworden sind. | |
Obwohl ich nicht viel getrunken habe, wache ich sonntagmorgens mit | |
Kopfschmerzen auf. Genau deswegen gehe ich nicht in Bars, denke ich – man | |
trinkt immer viel zu wenig Wasser. Um mich dem Erwachsensein weiter zu | |
entziehen, lese ich „Peter Pan“, nur um festzustellen, dass mein Hirn noch | |
nicht ganz wach ist und ich mich frage, ob das Kindermädchen wirklich ein | |
Hund ist oder ob ich da jetzt irgendwas verwechselt habe? Egal, ich muss | |
los. Die S-Bahn ist brechend voll, die Frau neben mir hat eine starke | |
Alkoholfahne und das Kind vor mir brüllt wie am Spieß. Zur Sicherheit | |
drücke ich noch einmal die Noise-Cancelling-Funktion meiner Kopfhörer und | |
versuche die Schreie des Kindes mit Rüfüs Du Sol zu übertönen. | |
Auf dem Weihnachtsmarkt in Neukölln angekommen, verbrenne ich mir meinen | |
Gaumen an einer veganen Bratwurst, esse zum ersten Mal in meinem Leben | |
Maronen, erfreue mich am Anblick von drei Alpakas, trinke sehr gut | |
temperierten Apfelpunsch, sehe den Weihnachtsmann auf seinem Schlitten und | |
verdrehe mit meinen Freunden synchron die Augen, als wir feststellen, dass | |
es auch hier kein Halten vor der Dubai-Schokolade gibt. Erneut stampfe ich | |
im Dunkeln nach Hause und frage mich, warum wir in Berlin nicht auch | |
einfach die Häuserwände bunt anmalen wie in den skandinavischen Ländern. | |
Genau in diesem Moment ploppt eine Nachricht auf meinem Sperrbildschirm | |
auf: „Hier eine Schüssel Hunde für dich“. Ich klicke auf die Nachricht und | |
sehe ein Video von Hundewelpen, die zusammen in einer Salatschüssel liegen | |
und darauf warten, nach und nach von ihrer Besitzerin gewogen zu werden. | |
Ich grinse und denke: Es sind die kleinen Dinge im Alltag und schlechtes | |
Wetter schweißt uns alle irgendwie auch zusammen. | |
10 Dec 2024 | |
## AUTOREN | |
Laura Lückemeyer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |