# taz.de -- Der Bullshit-Wort-Check, Folge 11: „Bürgerlich“ | |
> Was taugt dieser Begriff für das Verständnis der Gegenwart? Carla | |
> Reemtsma testet Standards des politischen Sprechens. Heute: Bürgerlich. | |
Bild: Was heißt das eigentlich, „bürgerlich“? Carla Reemtsma im taz FUTUR… | |
[1][taz FUTURZWEI] | Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Politiker*innen oder | |
intellektuelle Vordenker*innen „bürgerliche Politik“ einfordern oder die | |
aktuelle Politik als den Interessen der „bürgerlichen Mitte“ zuwider | |
betiteln. Aber was soll das eigentlich sein? Das scheinen nicht einmal | |
diejenigen zu wissen, die sich ständig dieser Floskel bemühen. Aus diesem | |
Grund betritt das Bürgerliche fast immer zusammen mit seinen Floskelkumpels | |
die politische Diskussion: pragmatisch, vernünftig, unideologisch. Weil der | |
„bürgerlichen Politik“ die Inhalte und Ideen fehlen, werden die anderen als | |
unnötig kompliziert, ideologisch, unvernünftig gebrandmarkt. Hängen bleibt: | |
Die Vorschläge von Klimaaktivist*innen, Sozialdemokrat*innen oder | |
Feminist*innen seien unsinnig und dogmatisch. Auf keinen Fall bürgerlich. | |
Was aber bürgerlich ist, bleibt völlig unklar. | |
Anderswo wird zwischen dem Bürger als Staatsbürger mit bestimmten Rechten | |
und Pflichten und dem Bürger als Angehörigen des Besitz- oder | |
Bildungsbürgertums unterschieden. Die deutsche Sprache macht das nicht. | |
Stattdessen existiert das Bürgerliche als eine vage Idee, die unter dem | |
Deckmantel des angeblich Vernünftigen moralische Überlegenheit impliziert, | |
obwohl sie sich so sehr gegen das Moralisieren der anderen sträubt. Und nun | |
kommt die Pointe: Die Turbulenzen des 21. Jahrhunderts verlangen nach dem, | |
wofür das Bürgerliche zu stehen meint. | |
Denn auch, wenn es keine kohärente kollektive bürgerliche Identität gibt, | |
ja auch nie gab, sind die Grundideen einer Verantwortung, die über einen | |
selbst hinausgeht, und die Werte der Freiheit, Demokratie, Weltoffenheit | |
und Menschenrechte, heute genauso aktuell wie vor mehreren Jahrhunderten. | |
Auf dieses theoretische Erbe berufen sich die Verfechter*innen | |
„bürgerlicher Politik“, während sie gleichzeitig bei der Frage der | |
praktischen Umsetzung vor Ideenlosigkeit nur so strotzen. Übrig bleibt ein | |
regelmäßiger Rückgriff auf die Floskel, die keinen eigenen Inhalt | |
mitbringt, außer sich von anderen abwertend abzugrenzen. Das 21. | |
Jahrhundert sucht seine Bürgerlichkeit noch. | |
■ CARLA REEMTSMA ist Klimaaktivistin. | |
Dieser Artikel ist im September 2024 in unserem Magazin [2][taz FUTURZWEI] | |
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25 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Carla Reemtsma | |
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