# taz.de -- Monster im Ungefähren | |
> Albert Oehlen malt seit Jahrzehnten mit Computern. Eine Ausstellung in | |
> Hamburg zeigt: Die Entwicklungen von Künstler und Maschine sind nicht | |
> voneinander zu trennen | |
Bild: Der Raum wirkt industriell. Das passt zu den maschinenbasierten Bildern | |
Von Hajo Schiff | |
Der Raum, in dem die Bilder gezeigt werden, war Albert Oehlen immer schon | |
fast so wichtig wie seine stilistisch kaum eingrenzbare Malerei. So sei | |
zuerst die Präsentation in der Hamburger Kunsthalle erwähnt, die Direktor | |
Alexander Klar als Kurator gewählt hat. Aus der von Architekt Ungers | |
bodentief durchfensterten ersten Etage der Galerie der Gegenwart wurden | |
alle entbehrlichen Einbauten entfernt. In den industriell anmutenden Räumen | |
sind pro Flügel maximal fünf von Oehlens Computerbildern zu sehen, bei | |
Dunkelheit in verführerischer Mehrfachspiegelung in den Fenstern. | |
Der 1954 in Krefeld geborene Künstler studierte in Hamburg. Er schloss sich | |
zusammen mit seinem Bruder Markus der quirligen und respektlosen | |
Gruppierung der „Neuen Wilden“ an. Von 2000 bis 2007 war er dann Professor | |
an der Düsseldorfer Akademie und lebt heute – kommerziell durchaus | |
erfolgreich – in der Schweiz. Die aktuell gezeigte Werkgruppe begann er, | |
nachdem er sich Anfang der 1990er-Jahre eines der ersten Notebooks zugelegt | |
hatte und von den noch unvollkommenen treppigen Verpixelungen des | |
Grafikprogramms angeregt wurde. Die eigentlich eher dürftigen Ergebnisse | |
des maschinellen Zeichnens wurden dann oft per Siebdruck auf Leinwand | |
übertragen, mit Acryl und Öl von Hand ergänzt und dynamisiert. | |
Die auf Objektivierung ausgerichtete Vorstellung wird verleitet, in dem | |
Liniengewusel irgendein System zu erblicken. Ein Verweis auf das Innere des | |
technischen Geräts kann es kaum sein, denn so unaufgeräumt waren die auch | |
vor 30 Jahren nicht mehr. Sind es bei den einfarbig schwarzen oder braunen | |
Bildern etwa Röntgenbilder einer irren Höllenmaschine oder genauso seltsam | |
vielleicht codierte Pläne? Oder aus heutiger Sicht bloß ein Glitch, ein | |
bedauerlicher Systemfehler? | |
Die mehrfarbigen Leinwände lassen darüber hinaus sehr an die Abstraktion | |
gestisch-expressiver Malerei der 1950er-Jahre denken: Oehlen liebt Zitate. | |
Und er testet die Extreme aus: Aus dem Dickicht der Linienverdichtungen | |
schauen die Augen eines Spaßmonster heraus. Bei anderen Gemälden vereinzeln | |
sich die Formen zu wenigen, fast asiatisch kalligrafischen Schriftbildern. | |
Auch die Bildtitel verhelfen kaum zu einer größeren Eindeutigkeit der | |
abgesehen von den Überschneidungen der Linien strikt an der Oberfläche | |
verbleibenden Bilder. Das gerade noch in den Raum passende größte Format, | |
zur Jahrtausendwende gemalt, nennt Oehlen „Annihilator“, was übersetzt | |
„Vernichter“ heißt. Bei dem Wort handelt es sich einerseits um einen | |
mathematischen Begriff aus der Vektorgeometrie, der gut zu den | |
Linienakkumulationen passt. Es ist aber auch der Name einer kanadischen | |
Thrash-Metal-Band: Es ist möglich, dass sie den als Musiker tätigen Oehlen | |
beeinflusst hat. Außerdem könnte der popaffine Künstler auch den | |
gleichnamigen amerikanischen Science-Fiction-Film gekannt haben. | |
So oder so gelingt hier das Paradoxon, dem Unpräzisen eine Form zu geben. | |
Albert Oehlen zeigt, wie viel interessanter es ist, im sich frei | |
entwickelnden Ungefähren die Fantasie zu aktivieren, als in vorgeblicher | |
Eindeutigkeit zu schwelgen – gleich ob sie von einem akribischen | |
Bildermacher oder einem angeblich sogar intelligent werdenden Computer | |
ausgeht. | |
28 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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