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# taz.de -- berliner szenen: Tribüne für den Kleingarten
Nix los ist hier heute. Kein Fußball, kein Konzert, nix. Wir stehen am
Jahn-Stadion an, der Senat will das ja abreißen. Nistende Spatzen verzögern
das zum Glück. Aber wir wollen Schalensitze haben. Kostenlos. Gerne auch
mit Spatzenschiss.
„Hiermit räumen wir Ihnen die Möglichkeit ein, die von Ihnen angemeldete
Anzahl Stühle (Drei Stühle) abzuholen“, steht in der Mail, die ich von der
Senatsinnenverwaltung bekommen habe. „Drei Stühle“ ist fett geschrieben und
unterstrichen. Auch praktische Tipps stehen da. „Zum Abbau wird lediglich
ein 13er Schlüssel (‚Nuss‘ wird empfohlen) und ein kleiner
Schlitzschraubendreher (zum Aushebeln der Sitzkappen) benötigt.“ In meinen
Rucksack habe ich ein professionelles Handwerkerset gepackt, Fachrichtung
Stadionabbau.
Im März 1990 war ich zum ersten Mal hier. Zum einzigen Länderspiel der DDR
gegen die USA, 3:2 für die DDR, drei Tore von Ulf Kirsten. Ungefähr da, wo
ich heute die Sitze abschraube, muss ich damals gesessen haben. Die Sitze
sind so verwittert und die Schrauben teils so verrostet, dass ich bereit
wäre zu glauben, ich würde hier DDR-Bestände abtransportieren. Noch dazu in
den Westen. Stimmt aber nicht. Die Plastikstühle kamen in den Neunzigern.
Verwittert sind sie trotzdem.
Ich will die Plastikdinger für unseren Kleingarten. Die Anmutung einer
Fußballtribüne macht sich da bestimmt gut. Ein netter Mann, der sich meine
„Nuss“ ausleiht, will die Dinger zu Barhockern machen. Auch gut. „Was
verbindet ihr mit dem Stadion?“, fragt uns eine Frau. Es stellt sich
heraus, dass ich zwar der einzige Westler von uns Dreien bin, aber trotzdem
der Einzige, der hier Fußball geguckt hat. „Ich hatte Schulsportfeste
hier“, sagt der Mann. „Ich auch“, sagt die Frau, „vielleicht waren wir …
auf dem gleichen Fest.“
Martin Krauss
6 Dec 2024
## AUTOREN
Martin Krauss
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