Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aus dem Magazin taz FUTURZWEI: Hitler brauchte nur einen Monat
> In Uwe Wittstocks Klassiker „Februar 33“ kann man nachvollziehen, wie und
> warum die Nazis die Demokratie so rasend schnell aushebeln konnten.
Bild: Das Buch „Februar 33“ erzählt die Geschichte der Literaturszene nach…
[1][taz FUTURZWEI] | Wenn es ein Zeitalter der Polykrisen gab, dann war es
am Anfang des 20. Jahrhunderts. Der erste Weltkrieg, die Spanische Grippe,
die Weltwirtschaftskrise, Millionen Tote und Verelendete. Es gibt die
These, dass Menschen nur aus Krisen lernen. Vielleicht lässt sich so das
Entstehen der Demokratie in Deutschland erklären. Und die
Fassungslosigkeit, als sie wieder abgeschafft wurde.
Der Autor und Literaturkritiker Uwe Wittstock lässt uns in Februar 33 die
dunkelste Stunde deutscher Politik miterleben. Von der Ernennung des
Nationalsozialisten Adolf Hitler zum Reichskanzler bis zur Errichtung der
Diktatur dauerte es gerade mal einen Monat. Die Kulturschaffenden schauten
erschrocken bis ungläubig zu und fanden sich – wenn sie Glück hatten – ü…
Nacht im Exil wieder. Wittstock folgt heute bekannten Leuten wie Else
Lasker-Schüler, George Grosz, Erich Maria Remarque, den Manns, Alfred
Döblin oder Brecht, deren Arbeit das Exil überlebte, und etlichen heute
Vergessenen. Er beschreibt ihre Lebens- und Leidensgeschichten und zeichnet
ein überaus intensives Zeitporträt.
Die Demokratie in Deutschland war zu diesem Zeitpunkt erst fünfzehn Jahre
alt gewesen. Was war passiert? Die Weimarer Verfassung hatte auf Betreiben
der bürgerlichen Parteien den Reichspräsidenten mit einer solchen
Machtfülle ausgestattet, dass man ihn als „Ersatzkaiser“ bezeichnete. Er
konnte den Ausnahmezustand ausrufen und daraufhin die Grundrechte außer
Kraft setzen, was sich als verhängnisvoll erweisen sollte. Mangelnde
Kompromissfähigkeit der Demokraten und persönliche Eitelkeiten der
Regierenden führten zur Sollbruchstelle Notverordnung, mit deren Hilfe die
rasch wechselnden Reichskanzler gegen das Parlament arbeiten konnten.
In der Ära der „Präsidialkabinette“, die zwar nicht parlamentarisch waren,
aber verfassungskonform, wurde das Parlament übergangen und ausgehöhlt. Als
die NSDAP gewählt und Hitler Kanzler wurde, nutzte der seine demokratische
Legitimation wie angekündigt aus, um die Republik abzuschaffen. Das gelang
mithilfe des Ermächtigungsgesetzes, das die Gewaltenteilung aufhob. Um das
zu beschließen, musste Reichspräsident Hindenburg lediglich mit der
„Reichstagsbrandverordnung“ die 81 Mandate der KPD annullieren, um die
Mehrheitsverhältnisse im Reichstag zu ändern. Die bundesrepublikanische
Demokratie hat die Schwachstellen der Weimarer Verfassung durch eine
komplexe Machtverteilung behoben. Trotzdem gibt es das Gefühl der Ohnmacht
und Hilflosigkeit.
## Gesetze können abgeschafft werden
Der heute oft gehörte Spruch „die Demokratie hält die rechtsextremen
Tendenzen aus“ stimmt nur bedingt. Alle Gesetze sind menschengemacht und
können genauso von Menschen wieder abgeschafft werden. Und auch wenn es
nicht gleich um den Systemsturz geht, aber um entscheidende Themen wie
Krieg und Frieden, Opfer und Täter, Armut und Reichtum, so kann man doch
feststellen: Zu dulden, was man ablehnt, macht hilflos.
Es drängt sich das Toleranz-Paradoxon von Karl Popper auf. Wenn es stimmt,
dass freiheitliche Prinzipien nicht verhandelbar sind, sollten Intolerante
nicht auf Toleranz hoffen dürfen. Die Nazis haben den kritischen
Rationalismus schlichtweg negiert, durch Lügen, Propaganda und schiere
Gewalt unterdrückt. Was bei ihnen der Volksempfänger war, sind heute
wahrscheinlich das Internet und seine Algorithmen, die eine maximale
Entfremdung von Realität und Rationalität befeuern. Polemik schlägt Ironie.
Skandalisierung schlägt Vernunft. Es werden Emotionen geschürt, die
gesellschaftliche Stimmungen hervorrufen. In der Weimarer Republik war der
Hass der alten Eliten auf die Republik die Antriebsfeder für ihre
Abschaffung. Zusammen mit der mangelnden Akzeptanz des verlorenen Krieges,
der Inflation bis 1923, der Deflationspolitik ab 1931 und der zunehmenden
Verarmung, begann die braune Brühe zu brodeln.
Heute sind zwei Drittel der Befragten in Ost und West mit ihren
individuellen Lebensverhältnissen zufrieden. Hass gibt es trotzdem, und
brodeln tut es auch. Warum ist das so, was ist heute so neu wie damals die
Demokratie? Könnte es die sozialökologische Transformation sein? Solange es
politischen Handlungsspielraum gibt, verbunden mit Gestaltungswillen und
Durchsetzungskraft aufseiten der Demokraten, verbietet sich jedoch der
Gedanke ans Aufgeben. Für Nicht-Politiker:innen heißt das: Öffentliche
Unterstützung von Handelnden und Rückhalt für Entscheidungsträger ist
gefragt. Und das gilt nicht nur für Kulturschaffende.
■ ANDREA PALUCH ist Schriftstellerin. Gerade erschienen (mit Illustratorin
Stephanie Marian): Hier wird Politik gemacht! – Das Reichtstagsgebäude.
Karibu 2024 – 68 Seiten, 24,99 Euro. Für Kinder, die Fragen haben, und
Eltern, die gefragt werden.
Dieser Artikel ist im September 2024 in unserem Magazin [2][taz FUTURZWEI]
erschienen. Wenn Sie zukünftig regelmäßig Leser:in von taz FUTURZWEI sein
wollen, sichern Sie sich jetzt das Abo für nur 34 Euro im Jahr. Lösungen
für die Probleme unserer Zeit – alle drei Monate neu in ihrem Briefkasten.
[3][Jetzt bestellen!]
18 Nov 2024
## LINKS
[1] http://tazfuturzwei.de/
[2] http://tazfuturzwei.de/
[3] /!v=74fecf50-f139-44d1-99d0-30c8f4f637ee/
## AUTOREN
Andrea Paluch
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.