# taz.de -- Meduza Chefredaktion im Interview: „Der Journalismus in Russland … | |
> Russische Behörden stufen Meduza als „unerwünschte Organisation“ ein, | |
> wodurch die Zusammenarbeit mit Journalist:innen vor Ort fast unmöglich | |
> wird. Doch Meduza will weiter Brücken bauen. | |
Bild: Galina Timtschenko und Ivan Kolpakov in der taz Kantine im Gespräch mit … | |
taz: Meduza ist ein russisches Exilmedium. Warum ist es ihrer Auffassung | |
nach nicht nur für russische Leser wichtig, sondern auch für das deutsche | |
Publikum oder Menschen in ganz Europa? | |
Ivan Kolpakov: Nun, Medien operieren heute in einer sehr polarisierten Welt | |
und leider sind die Medien auch einer der Gründe, warum die Welt so | |
polarisiert ist. Aber wir bei Meduza glauben, dass Medien als Brücke | |
fungieren können. Meduza ist wahrscheinlich das einzige russische | |
Medienunternehmen, das eine beträchtliche Anzahl an Leser:innen in der | |
Ukraine hat. Das bringt uns in eine einzigartige Position, in der wir | |
Kommunikation zwischen zwei Gesellschaften herstellen können. Dasselbe gilt | |
für Deutschland und für Europa. Wir fungieren als ein Instrument, das | |
Menschen in Europa und Russland verbindet, trotz der Isolation und trotz | |
des Krieges. | |
taz: Meduza gibt es jetzt seit 10 Jahren. Was hat Sie dazu motiviert, | |
dieses unabhängige Medienunternehmen zu gründen? | |
Galina Timtschenko: Vor zehn Jahren wurde uns klar, dass wir keine Chance | |
haben würden, freie unabhängige Medien innerhalb Russlands zu etablieren. | |
Zuvor war ich Chefredakteurin der bedeutendsten russischen | |
Nachrichtenwebsite „Lenta.ru“. 2014 musste ich das Land verlassen, nachdem | |
ich die Zusammenarbeit mit dem Kreml verneinte. Wir zogen nach Lettland um | |
und gründeten das Medium, von dem wir geträumt hatten. Meduza. | |
taz: Mit welchen Herausforderungen sieht Meduza sich heute im Vergleich zu | |
vor zehn Jahren konfrontiert? | |
Galina Timtschenko: Vor zehn Jahren hielt sich das Putin-Regime mehr oder | |
weniger an die Regeln. Jetzt herrscht Krieg und unser Publikum wurde | |
technisch von uns getrennt. Wir sind mit Einschränkungen und Repressionen | |
konfrontiert, und unsere größte Herausforderung ist es, diese Mauer, die | |
Moskauer Mauer, zu durchbrechen, um unser Publikum zu erreichen. Solche | |
Probleme hatten wir vor zehn Jahren nicht, wir konnten frei innerhalb | |
Russlands senden. Jetzt sind wir völlig geächtet, weil wir zunächst 2021 | |
als „ausländischer Agent“ und dann 2023 als „unerwünschte Organisation�… | |
eingestuft wurden, und wir sind jetzt Gegenstand strafrechtlicher | |
Ermittlungen. | |
Ivan Kolpakov: Nun, es war eine lange Reise in diesem Jahrzehnt. Und um | |
ehrlich zu sein, hat sich alles verändert. Wir begannen in einer Welt, in | |
der wir das Gefühl hatten, dass die Apokalypse sehr nahe ist. Und dann ist | |
sie tatsächlich eingetreten. Der Journalismus in Russland ist jetzt ein | |
verbotener Beruf. Buchstäblich ein verbotener Beruf. Alle unabhängigen | |
Journalisten wurden gezwungen, das Land zu verlassen. | |
Interviewer: Sie haben es gerade erwähnt, 2021 wurden Sie als ausländischer | |
Agent eingestuft. Was hat sich dadurch verändert? | |
Galina Timtschenko: Es hat unser Geschäftsmodell zerstört. Als wir als | |
„ausländischer Agent“ eingestuft wurden, verloren wir unsere Werbekunden, | |
90 Prozent von ihnen innerhalb einer Woche. Dann starteten wir eine | |
Crowdfunding-Kampagne und sprachen absolut offen und ehrlich mit unserem | |
Publikum und sagten: Leute, wir haben nichts außer euch, bitte helft uns, | |
Meduza zu retten. Unsere Crowdfunding-Kampagne war die erfolgreichste unter | |
den russischen Medien. | |
taz: Und was geschah, als der Krieg gegen die Ukraine 2022 begann? | |
Galina Timtschenko: Als der Krieg begann, wurden Finanzsanktionen verhängt. | |
Unser Finanzierungsmodell, das Crowdfunding, wurde zum zweiten Mal | |
zerstört, auch weil wir ab Januar 2023 zur „unerwünschten Organisation“ | |
erklärt wurden. Als wir 2021 als „ausländischer Agent“ eingestuft wurden, | |
war es sehr beängstigend, aber jetzt ist es einfach Teil unserer Realität, | |
unseres Alltags - wir leben einfach damit. | |
Ivan Kolpakov: Seit 2022 operiert Meduza vollständig außerhalb Russlands. | |
Eben weil der Krelm uns zur „unerwünschten Organisation“ erklärt hat, was | |
bedeutet, dass unsere Aktivität in Russland verboten wurde, ist es | |
inzwischen illegal, mit Meduza zusammenzuarbeiten. Es ist illegal, Autor | |
für Meduza zu sein und Journalist zu sein. Es ist illegal, Meduza ein | |
Interview zu geben. Es ist sogar illegal, einfach nur unsere Artikel zu | |
teilen. Dennoch müssen wir unseren Lesern ein Bild von vor Ort vermitteln. | |
Das bedeutet vor allem neue Wege der journalistischen Arbeit. | |
taz: Mit welchen Formen der Repression sieht sich Meduza derzeit | |
konfrontiert? | |
Galina Timtschenko: Früher wurden unsere Journalisten festgenommen, | |
geschlagen, in russischen Gefängnissen gefoltert. Leider war ich die erste | |
russische Staatsbürgerin und die erste russische Journalistin, deren iPhone | |
mit der Pegasus-Spyware infiziert wurde. Unsere Journalisten wurden | |
vergiftet. Einige von ihnen wurden in Belarus verhaftet und gefoltert, als | |
sie dort über den Aufstand und die Bürgerproteste berichteten. Meduza hat | |
die größte Anzahl verfolgter Journalisten unter den russischen Medien. Mehr | |
als 15 unserer Journalisten haben Straf- und Verwaltungsverfahren. Und wie | |
gesagt, ich leite eine unerwünschte Organisation. Die russischen Behörden | |
haben klargemacht: Was Meduza tut, ist Hochverrat. | |
taz: Sie sprachen von der Mauer nach Moskau: Wie erreichen Sie die Menschen | |
in Russland, welche Möglichkeiten haben Sie? | |
Galina Timtschenko: Von Anfang an war uns klar, dass unsere Zensur nur eine | |
Frage der Zeit sein wird. Jetzt haben wir unsere Meduza-App, die fünf | |
eingebaute Mechanismen zur Umgehung von Blockierungen hat. Wir haben jetzt | |
1,5 Millionen Abonnenten unserer mobilen Anwendung. | |
taz: Und was ist mit den sozialen Medien? | |
Galina Timtschenko: Natürlich versuchen wir, über jede Plattform zu senden, | |
die wir haben. Aber leider haben die russischen Behörden uns auf Facebook | |
als extremistische Organisation eingestuft, auf Instagram ebenfalls. Und | |
sie haben unsere Accounts in den beliebtesten russischen sozialen Medien | |
gelöscht. | |
taz: Das Meduza-Projekt der taz Panter Stiftung heißt „Unser Fenster nach | |
Russland“. Wie gelingt es euch, als Exilmedium weiterhin Informationen aus | |
Russland zu erhalten? | |
Ivan Kolpakov: Nun, das ist das herausforderndste Problem in unserer | |
gesamten Arbeit. Ich denke, es war sogar herausfordernder als die | |
finanziellen Probleme, die wir in der Vergangenheit hatten. Das Wichtigste | |
ist die Berichterstattung vor Ort. Wie kann man tatsächlich vor Ort | |
berichten, wenn es illegal ist, wenn es ein Strafbestand ist und | |
Journalist:innen wegen der Zusammenarbeit mit Meduaz als unerwünschte | |
Organisation oder wegen Landesverrats strafrechtlich verfolgt werden | |
können? Es ist uns gelungen, ein Netzwerk von freien Mitarbeitern in | |
Russland aufzubauen. Wir nennen sie Guerilla-Reporter. Wir haben absolut | |
strenge Arbeitsregeln für diese Menschen aufgestellt. Die Hauptidee ist es, | |
sie so gut wie möglich zu schützen. Natürlich sind diese Menschen der | |
wertvollste Teil unseres Teams, weil sie unmittelbare Zeugen sind. | |
14 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Moritz Martin | |
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